Gewichtheben: Der besondere Dopingfall von Vicky Schlittig

    Gewichtheberin Vicky Schlittig:Was diesen Dopingfall besonders macht

    von Christoph Schneider
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    Der Verdacht wog schwer: Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz. Doch strafrechtlich wird Gewichtheberin Vicky Schlittig freigesprochen. Trotzdem könnte ihr eine Strafe drohen.

    Gewichtheben - Hantel
    Wie entscheidet der Internationale Sportgerichtshof CAS im Dopingfall der Gewichtheberin Vicky Schlittig? (Symbolbild)
    Quelle: AP

    Am Ende waren sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig. Sie forderten in ihren Schlussvorträgen im Strafverfahren vor dem Amtsgericht (AG) Chemnitz Freispruch für die Gewichtheberin Vicky Schlittig. Dem folgte dann auch Richter Karlheinz Gräwe. Er sah "vernünftige Zweifel" an der Schuld Schlittigs und verkündete den Freispruch.

    Schlittig positiv auf anaboles Steroid getestet

    Ende September 2021 wird die junge Gewichtheberin bei der Junioren-EM in Finnland positiv auf ein anaboles Steroid, Dehydrochlormethyltestosteron, getestet, besser bekannt als Oral-Turinabol.
    Vicky Schlittig
    Gewichtheberin Vicky Schlittig vor Gericht in Chemnitz
    Quelle: imago

    Dieses Uralt-Dopingmittel, aus DDR-Zeiten bekannt, bewirkt durch dauerhafte regelmäßige Einnahme Leistungssteigerungen und ist inzwischen leicht nachweisbar, auch noch Monate nach der Einnahme. Doch rätselhaft: Sowohl die Doping-Tests kurz vor als auch kurz nach der positiven Dopingprobe waren bei der Athletin negativ.  

    Keine leistungssteigernde Wirkung

    Schlittig beteuert ihre Unschuld, bestreitet vorsätzliches Doping. Daraufhin werden weitere Kontrollen der sichergestellten Probe in namhaften Labors durchgeführt. Ein weiteres Gutachten ordnet auch das AG bei einem Kontrolllabor in Kreischa bei Dresden an. Merkwürdig bei den weiteren Untersuchungen: Der Dopingwirkstoff ist nur in einer sehr geringen Dosierung vorhanden, so dass er eigentlich keinerlei leistungssteigernde Wirkung gehabt hätte.
    Denn die Wirkweise bei Oral-Turinabol ist normalerweise so, dass dieses erst über einen längeren Zeitraum hätte eingenommen werden müssen, um wirklich leistungssteigernd zu wirken. Daneben fanden sich bei der Probe keine typischen Abbauprodukte der Dopingsubstanz, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass das Mittel erst ganz kurz vor der Proben-Entnahme in ihren Körper gelangte. Eine wirklich leistungssteigernde Wirkung auf die Wettkampfleistung hätte sich damit eher nicht ergeben.

    Positiver Dopingtest durch Hautkontakt möglich

    Doch wie konnte das Mittel dann überhaupt nachgewiesen werden? Eine Möglichkeit ist, dass positive Dopingtests auch durch Hautkontakt mit Dritten hervorgerufen werden können. Das zeigte schon vor einiger Zeit ein Experiment der ARD-Doku "Geheimsache Doping: Schuldig", inzwischen auch untermauert durch eine Studie der Sporthochschule Köln.
    Diese These stützt auch ein renommierter Doping-Analyst, der Niederländer Douwe de De Boer, der auch davon ausgeht, dass sich Schlittig das Mittel nicht selbst verabreicht hat.   

    Umgekehrter Grundsatz im Sportrecht  

    Für die Staatsanwaltschaft ist das insgesamt alles doch sehr vage für eine Schuldfeststellung - sie kann die Umstände der Aufnahme der verbotenen Dopingsubstanz nicht zweifelsfrei klären und muss feststellen, dass Vicky Schlittig durch die geringe Menge des Dopingmittels auch keinen Vorteil hatte.
    So positiv das strafrechtliche Verfahren für Schlittig ausging, so negativ könnte sich ihr positiver Dopingbefund noch sportrechtlich auswirken. Denn im Strafrecht gilt der Grundsatz, dass einem Täter die Tat nachgewiesen werden muss - nicht er muss seine Unschuld beweisen, sondern die Anklagebehörde muss ihm die Tat nachweisen. Im Sportrecht gilt aber der umgekehrte Grundsatz, die des Dopings überführte Beschuldigte Vicky Schlittig muss ihre eigene Unschuld beweisen.

    Wie entscheidet der CAS?

    Für Dopingverstöße ist der Internationale Sportgerichtshof CAS im schweizerischen Lausanne zuständig, bei dem der Fall Schlittig auch auf dem Tisch liegt. Normalerweise droht bei Dopingverstößen eine regelmäßige Sperre von vier Jahren. Doch wie der CAS mit einem Fall umgeht, der strafrechtlich in einem Mitgliedsland mit einem Freispruch endete, ist völlig offen.
    Dass die Beweislastumkehr im Sport (Athlet muss Unschuld beweisen) gekippt wird – sicher nicht. Vielleicht gibt es aber eine Einzelfall-Entscheidung, bei der eine Sperrenverkürzung oder -aufhebung möglich wäre. Sollte aber eine vierjährige Sperre ausgesprochen werden, wird sich Schlittig sicher weitere juristische Möglichkeiten offenhalten, vielleicht auch den Gang vor ein deutsches Zivilgericht prüfen. Die Entscheidung, des CAS, sie wird in den nächsten Wochen erwartet.
    Christoph Schneider ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz
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