Heil will Arbeitszeiterfassung zeitnah regeln

    Beschluss Bundesarbeitsgericht:Heil will Arbeitszeiterfassung zeitnah regeln

    von Samuel Kirsch
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    Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. Wie genau, ist bislang nicht geregelt. Arbeitsminister Heil will noch im Frühjahr einen Vorschlag machen.

    Eine elektronische Stechuhr hängt in einem Museum. Archivbild
    Eine elektronische Stechuhr - eine von mehreren Möglichkeiten zur Arbeistszeiterfassung.
    Quelle: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

    Es war eine Gerichtsentscheidung mit unmittelbaren Folgen für Millionen Menschen in Deutschland. Im September 2022 verkündete das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass Arbeitgeber schon jetzt verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen.

    Ende der Vertrauensarbeitszeit?

    Seitdem ist die Verunsicherung groß. Die Befürchtung: Das Gericht könnte mit seinem Beschluss die von vielen geschätzte Vertrauensarbeitszeit abgeschafft und eine Rückkehr zur Stechuhr verordnet haben.
    Dem ist nicht so, stellte diese Woche die Präsidentin des BAG, Inken Gallner, beim Jahrespressegespräch des Gerichts klar.

    Die Entscheidung schafft Vertrauensarbeitszeitmodelle nicht ab.

    Inken Gallner, Präsidentin Bundesarbeitsgericht

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    Diese müssten sich aber innerhalb der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit bewegen. Das heißt: Solange die gesetzlichen Ruhevorgaben eingehalten und die Arbeitszeiten dokumentiert werden, sind flexible Modelle, wann gearbeitet wird, weiterhin möglich.

    Arbeitszeiterfassung: Ministerium will Regelung vorschlagen

    Wie genau Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten in der Praxis erfassen sollen, liege "in den gestaltenden Händen des Gesetzgebers", so die Gerichtspräsidentin. Angesprochen ist damit zunächst Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Sein Ministerium kündigt auf ZDFheute-Anfrage hin an, "voraussichtlich im ersten Quartal 2023" einen "praxistauglichen Vorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz" zu machen.
    Das Arbeitszeitgesetz schreibt bislang lediglich für Überstunden und Arbeit an Sonn- und Feiertagen vor, dass sie aufzuzeichnen sind und die Dokumentation zwei Jahre aufbewahrt werden muss. Diese Regelung könnte auf sämtliche Arbeitszeiten erweitert und genauer ausgestaltet werden.

    Viel Gestaltungsspielraum für Erfassung von Überstunden

    Eine bestimmte Form ist für die bisherige Überstunden-Zeiterfassung nicht vorgegeben. Möglich sind beispielsweise Stundenzettel, Stempeluhrkarten oder digitale Erfassungssysteme. Es spricht einiges dafür, dass der Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums zur erweiterten Arbeitszeiterfassung den Unternehmen und Arbeitnehmervertretungen Spielräume für passgenaue Lösungen belassen könnte.

    Zweck der Regeln zur Arbeitszeit ist der Arbeitnehmerschutz. Arbeitnehmer sollen davor geschützt werden, mehr zu arbeiten als ihnen guttut - vor Arbeitgebern, die zu viel Arbeit einfordern, aber auch vor sich selbst. Deswegen dürfen Beschäftigte auch nicht freiwillig länger arbeiten.

    Das Arbeitszeitgesetz schreibt etwa vor, dass Arbeitnehmer nach Arbeitsende eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden einhalten müssen, bevor sie erneut an die Arbeit gehen. Die maximale Arbeitszeit pro Tag beträgt acht Stunden, unter bestimmten Voraussetzungen sind zehn Stunden erlaubt. Bei einem Acht-Stunden-Tag sind mindestens 30 Minuten Ruhepause einzuhalten.

    Auch zukünftig könnte es möglich sein, dass Arbeitgeber die Dokumentation der Arbeitszeiten an die Beschäftigten delegieren, etwa durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Vereinbarung im Arbeitsvertrag. Verantwortlich dafür, dass die Arbeitszeit auch tatsächlich erfasst wird, bleibt aber der Arbeitgeber. Der Gesetzgeber könnte verpflichtende Stichprobenkontrollen der Arbeitgeber vorschreiben, um dies sicherzustellen.
    Offen ist, ob die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch für Führungskräfte gilt. Die europäische Arbeitszeit-Richtlinie, auf der die Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung beruhen, lässt Ausnahmen für Führungskräfte zu. Klarheit, was für leitendes Personal in Deutschland gelten soll, muss der Gesetzgeber schaffen.
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    Sie gehen davon aus, dass das BAG die europäische Arbeitszeitrichtlinie und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019 dazu überinterpretiere - und dass die EU-Richtlinie keine Pflicht für den deutschen Gesetzgeber enthalte, dafür zu sorgen, dass alle Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten tatsächlich erfassen. Der Spielraum des Gesetzgebers, um die Arbeitszeiterfassung zu regeln, sei größer als vom BAG angenommen.
    "Flexible Arbeitsmodelle zu ermöglichen", ist auch erklärtes Ziel der Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag. An den rechtlichen Vorgaben, aber auch an dieser Zusage wird sich der Vorschlag von Arbeitsminister Heil messen lassen müssen.
    Samuel Kirsch ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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