Bundesarbeitsgericht: Frau will gleichen Lohn wie Kollege

    FAQ

    Bundesarbeitsgericht:Gleicher Lohn: Urteil stärkt Frauen

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    Gleicher Job, 1.000 Euro weniger? Schlecht verhandelt, sagte der Arbeitgeber. Eine Frau in Sachsen sah sich diskriminiert und zog vor das Bundesarbeitsgericht. Sie bekam Recht.

    Ihr wurden 3.500 Euro monatlich in der Einarbeitungszeit angeboten - die Frau sagte Ja. Doch bald kamen ihr Zweifel und der Verdacht, dass ihr Kollege, der zwei Monate früher eingestellt wurde und den gleichen Vertriebsjob machte, deutlich mehr verdiente.
    Die 44 Jahre alte Dresdnerin sah sich wegen ihres Geschlechts benachteiligt und zog für Lohngerechtigkeit durch die Arbeitsgerichtsinstanzen. Am Donnerstag hatte sie vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht in Erfurt Erfolg.
    Ihre Anwältinnen sprachen von einem Meilenstein und hoffen auf Rückenwind im Streit um gleiche Löhne und Gehälter von Frauen und Männern in Deutschland. 2022 lag der geschlechterspezifische Verdienstabstand laut Statistikamt die Differenz bei 18 Prozent.

    Wie lautet das Urteil des Bundesarbeitsgerichts?

    Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschied, dass Arbeitgeber Verdienstunterschiede von Frauen und Männern nicht mit deren unterschiedlichem Verhandlungsgeschick begründen könnten (8 AZR 450/21).
    Er sprach der Dresdnerin eine Gehaltsnachzahlung von 14.500 Euro und eine Entschädigung von 2.000 Euro zu. Ihr Arbeitgeber habe "die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt", sagte die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing.
    Luftballon mit Aufschrift "equal pay day"
    07.03.2022 | 3:57 min
    Frauen sind oft die Verliererinnen. Sie verdienen in Deutschland im Durchschnitt immer noch 18 Prozent weniger als Männer.
    Wenn Frauen und Männer wie im verhandelten Fall bei gleicher Arbeit unterschiedlich bezahlt werden, begründe das die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts. Diese Vermutung könnten Arbeitgeber nicht mit dem Argument widerlegen, der Mann habe besser verhandelt oder er sei perspektivisch für einen Leitungsjob vorgesehen, begründete Schlewing die Entscheidung. Die Bundesrichter kippten damit Urteile der Vorinstanzen in Sachsen in großen Teilen.

    Wie groß war der Lohnunterschied?

    Pech gehabt, war der Diplomkauffrau beschieden worden, als sie vom Chef der Metallfirma nahe Dresden die gleiche Bezahlung wie ihr kurz zuvor eingestellter männlicher Kollege verlangte.
    Immerhin betrug der Unterschied beim Grundgehalt in der Probezeit stattliche 1.000 Euro monatlich, später nach Einführung eines Tarifvertrags immer noch etwa 500 Euro - bei gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnissen, wurde vor Gericht betont.

    Wie begründete der Arbeitgeber die unterschiedliche Bezahlung?

    Ihr Arbeitgeber begründete den großen Gehaltsunterschied damit, dass sie bei ihrer Einstellung schlechter verhandelt habe als ihr männlicher Kollege. Beiden sei zunächst das gleiche Gehaltsangebot gemacht worden, der Mann habe mehr gefordert, um den Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Zudem sollte er eine Leitungskraft ersetzen.
    Der Arbeitgeber berief sich bei der unterschiedlichen Bezahlung auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit - und hatte damit Erfolg - zumindest beim Arbeits- und Landesarbeitsgericht in Sachsen.

    Wie wurde die Klage begründet?

    Verhandelt wurde vom Achten Senat des BAG wegen Entgeltdiskriminierung über mehrere Jahre. Er sollte prüfen, ob es sich um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz handelte - und bejahte das. Unterstützt wurde die Klägerin von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nur wenige Frauen würden diesen langwierigen Weg gehen, sagen auch Gewerkschafterinnen.
    Die Rentnerin Theres Nieder sitzt an ihrem Esstisch und füllt ein Formular aus.
    Jede dritte Frau, die zurzeit in Vollzeit arbeitet, erwartet eine zu geringe Rente. Auch Theres Nieder, 82 Jahre alt, lebt in Altersarmut. 11.02.2023 | 1:41 min
    Unterstützt wurde sie auf ihrem Weg durch die Gerichtsinstanzen von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nur wenige Frauen würden diesen langwierigen Weg gehen, heißt es bei der Gesellschaft, aber auch bei Gewerkschafterinnen.

    Wie relevant ist das Urteil?

    Ein Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts und damit Equal Pay sind durch das Gleichbehandlungsgesetz, das Entgelttransparenzgesetz und das Grundgesetz geregelt. Nur objektive, geschlechtsneutrale Gründe wie Qualifikation oder Berufserfahrung können bei gleicher Tätigkeit eine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen.
    "Nun ist klar, Verhandlungsgeschick kann nicht den Ausschlag für Verdienstunterschiede geben", sagte Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

    Die Entscheidung hat eine riesige Praxisrelevanz.

    Sarah Lincoln

    Das seit 2017 bestehende Entgelttransparenzgesetz hält Lincoln für "zu schwach, um Frauen zu schützen". Demnach bestünden Auskunftsrechte zum Gehalt nur in Unternehmen ab 200 Beschäftigten. Sie hofft daher auf eine neue Richtlinie der EU.
    Euro Scheine und Münzen
    22.08.2022 | 1:56 min
    Wie wirksam ist das Entgelttransparenzgesetz?

    Wie ist die allgemeine Situation in Deutschland?

    Noch ist die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern keine Seltenheit in Deutschland - der geschlechterspezifische Verdienstabstand lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr bei 18 Prozent. Frauen erhielten demnach 2022 mit durchschnittlich 20,05 Euro einen um 4,31 Euro geringeren Bruttostundenverdienst als Männer mit 24,36 Euro.
    Gender Pay Gap wird kleiner

    Knapp zwei Drittel der Lohnlücke erklärt das Statistikamt mit höheren Teilzeitquoten und geringeren Gehältern in frauentypischen Berufen. Es bleibt eine bereinigte Lücke von rund sieben Prozent des Brutto-Stundenlohns ohne eindeutige Erklärung. 2006 hatte der Abstand noch 23 Prozent betragen. In Ostdeutschland, wo der Fall spielt, ist die Lohnlücke kleiner als in Westdeutschland: sieben Prozent, im Westen 19 Prozent.
    Quelle: Simone Rothe, dpa

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