Wirtschaftsweise rät zu "radikaler Zukunftsorientierung"

    Interview

    Wirtschaftskrise in Deutschland:Ökonomin: "Radikale Zukunftsorientierung"

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    Was tun gegen die Wirtschaftskrise in Deutschland? Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier rät bei ZDFheute live zu mehr Mut und Experimenten mit neuen Industrien.

    Die Hiobsbotschaften zur deutschen Wirtschaft reißen nicht ab: In den kommenden Monaten sei keine Belebung der Konjunktur in Sicht, hieß es heute erst aus dem Wirtschaftministerium. Die deutsche Industrie- und Handelskammer warnt, dass immer mehr Unternehmen ins Ausland abwandern, weil die Bedingungen hierzulande zu schlecht sind.
    Verbände beklagen hohe Abgabenlasten, überbordende Bürokratie, Fachkräftemangel. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass Deutschland 2023 schrumpft - als einzige große Volkswirtschaft weltweit.
    Woran liegt das - und was ist jetzt zu tun? Dazu sagt Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier bei ZDFheute live, ...

    ... dass Deutschland 2022 gut durch die Energiekrise kam:

    Malmendier relativiert zunächst die negativen Wirtschaftszahlen: Diese kämen auch daher, dass Deutschland im vergangenen Jahr sehr viel besser durch die Energiekrise kam, als zunächst gedacht.
    So manche Experten hätten einen Einbruch von bis zu sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Das sei ausgeblieben - und dadurch seien auch die Nachholeffekte viel geringer und dadurch die Wachstumsrate nicht so groß, erklärt Malmendier.

    Prof. Ulrike Malmendier
    Quelle: Imago

    ... gilt als eine der renommiertesten Ökonominnen der Welt. Die studierte Juristin und Volkswirtschaftlerin ist Professorin für Finanzmarktökonomie an der University of California in Berkley. Zudem gehört sie zu den fünf sogenannten Wirtschaftsweisen. Das Gremium berät die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen.

    ... dass die Politik nur bedingt für die Konjunktur verantwortlich ist:

    Sowohl die Merkel-Regierung als auch die Ampel-Koalition seien für die wirtschaftliche Lage nur bedingt verantwortlich: Die Umstände seien entscheidend zunächst durch die Corona-Krise und dann durch den Angriffskrieg auf die Ukraine beeinflusst worden.
    Menschen würden schnell dazu neigen, der Politik etwas zuzuschreiben, was in Wirklichkeit konjunkturell oder strukturell bedingt ist, so Malmendier - also Umstände, auf die die Politik unmittelbar kaum Einfluss hat.

    ... dass es einer "radikalen Zukunftsorientierung" bedarf:

    Dennoch würden die aktuellen Zahlen "nicht toll aussehen". Teilweise sei das konjunkturell bedingt und "teilweise gibt es mittel- und langfristige Probleme die angegangen werden müssen", erklärt Malmendier.
    Ihr Rat an die Politik: Es sollten "drastischere Entscheidungen, Experimente mit neuen Industrien" gewagt werden - alles im Sinne einer "radikalen Zukunftsorientierung".
    Konkret: Subventionen für traditionelle Industrieproduktion sollten auf den Prüfstand, rät Malmendier. Die Politik müsse sich immer fragen: "Wäre das nicht besser in junge, innovative Unternehmen investiert? Wäre das nicht besser in den Ausbau der Energiekapazitäten investiert?" Mehr Geld sollte auch in die Anwerbung von Fachkräften gesteckt werden, "sowohl in den Behörden, als auch in den Unternehmen".
    Fabrikarbeiter bei der Autoproduktion
    In der Politik wird das Thema nun stark diskutiert - mit unterschiedlichen Plänen der Parteien. 08.08.2023 | 1:43 min
    Die Zahlen in der deutschen Wirtschaft stehen schlecht:

    ... dass die Politik mehr Mut brauche:

    Und es gibt noch mehr zu tun für die Politik, so Malmendier:

    Entbürokratisierung, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, mehr Planungssicherheit - das sind Themen, die für alle Bereiche der Industrie wichtig sind.

    Ulrike Malmendier, Wirtschaftsweise

    Malmendier fordert auch eine bessere wirtschaftliche Evaluation von Subventionen, beispielsweise bei den staatlichen Förderungen der Chipfabriken in Ostdeutschland:

    Man kann sich anschauen, wie sich denn in einem Jahr, in fünf Jahren, in zehn Jahren in Magdeburg oder Dresden die wirtschaftliche Situation verändert hat. Wie sieht es mit dem Zuzug aus, wie sieht es mit den Steuern aus?

    Ulrike Malmendier, Wirtschaftsweise

    Entscheidend für die Wirksamkeit solcher Subventionen wäre am Ende unter anderem auch der Vergleich mit einer Stadt von ähnlicher Größe, in der es diese Unterstützung nicht gab. "Dann können wir sehen: War es die zehn Milliarden wert?"
    Eine radikale Orientierung an der Zukunft fordert Malmendier auch von der Privatwirtschaft: So habe beispielsweise Deutschlands Automobilindustrie zu lange auf ihre alten Stärken gesetzt und es versäumt, eine Führungsrolle bei der Elektromobilität zu übernehmen. Malmendier wünscht sich auch hier ein generelles Umdenken und vor allem: mehr Mut.
    Olaf Scholz vor einem Graphen, der nach unten deutet.
    Sehen Sie hier die gesamte Sendung ZDFheute live in voller Länge.14.08.2023 | 42:17 min
    Quelle: ZDF

    Zur Lage der deutschen Wirtschaft