Serbien: Kohleausstieg versprechen, aber Kohletechnik kaufen

    Serbien zwischen EU und China:Serbiens doppeltes Spiel mit der Kohleenergie

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert
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    Serbiens Energie stammt vor allem aus Kohle. Der EU verspricht Serbien einen Kohleausstieg - doch nun baut ihnen China ein neues Kohlekraftwerk.

    Flagge von Serbien
    Serbien ist zerrissen zwischen einer Zukunft in der EU und seiner Verbundenheit mit Russland. Jetzt baut auch noch China seinen Einfluss in Serbien massiv aus.14.06.2023 | 6:05 min
    "Wenn die Säule bricht, stürzt das Dach ein, und das kann jemanden totschlagen." Dragana Nikolić ist in ihrer Wut kaum zu stoppen. In das Haus der Familie ist über Jahrzehnte viel Geld und Herzblut geflossen und nun diese Risse überall.
    Im serbischen Dorf Drmno ist sie nicht die einzige mit diesem Ärger. Denn nebenan steht das Kohlekraftwerk Kostolac samt dazugehörigem Braunkohletagebau. 

    Bevölkerung leidet unter Kohlekraftwerk

    Grundwasserabsenkung, Schadstoffausstoß - damit leben sie hier schon seit Jugoslawien-Zeiten, mit sicht- und spürbaren Folgen: "Das sind die Medikamente für meinen Mann, das bezahle ich selbst", sagt sie und zeigt einen Karton voll mit Arzneien. "Keiner fragt mich, ob ich das Geld dafür habe." Ihr Mann hat es am Herzen und der Lunge. Und Nikolić ist überzeugt:

    Alles wegen des Kraftwerks!

    Dragana Nikolić

    Serbien will in die Europäische Union und hat deshalb seine Umweltauflagen angepasst. Und der staatliche Energiekonzern EPS will zeigen, dass er grün kann. Und das sieht so aus: Zwei der vier alten Blöcke von Kostolac haben seit 2020 eine Entschwefelungsanlage - für alle vier lohne es sich nicht.
    Man baut bald auch mehrere Solaranlagen - dafür wird extra ein Wald gerodet. Und der riesige, hochgiftige Ascheabladeplatz wird auch bald weg sein: verdeckt von einer Schicht Erde und Solarpanelen.

    China füllt eine Lücke und baut seinen Einfluss aus

    Zur eigenwilligen Art des ökologischen Fortschritts gehört auch die Erweiterung des Kohlekraftwerks. Želko Lazović leitet den Bau des fünften Kraftwerksblocks und er ist einer der wenigen Serben hier: 1.500 chinesische Arbeiter verbauen chinesische Technologie, finanziert von einem chinesischem Kredit. Wieso das? War Chinas Angebot billiger als die europäische Konkurrenz? Eher nicht - einen Wettbewerb gab es gar nicht.
    "Der Kraftwerksbau ist Teil der strategischen Partnerschaft zwischen Serbien und China", erklärt Lazović. Der Bau des Kohlekraftwerks ist also keine wirtschaftliche, keine ökologische Entscheidung, sondern eine politische.
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    Russland ist eigentlich der traditionelle Partner Serbiens, aber Russland kann nicht helfen. Bei Kohleenergie will die EU nicht helfen. Serbien will beides: Chinas Kraftwerk und EU-Standards.

    Die chinesische Technologie entspricht vollständig EU-Standards.

    Želko Lazović, Bauleiter

    Er versichert, dass die alten Blöcke dann irgendwann abgeschaltet werden. Wann genau? Unklar. Immerhin: im Moment kommt es nur weiß aus dem Schornstein dank der neuen Entschwefelungsanlage.

    Umweltschützer sprechen von Greenwashing

    Einen Tag später ein Beweis dafür, warum Umweltaktivist Zvezdan Kalmar das Greenwashing nennt. Er erzählt gerade, dass die kostenintensive Entschwefelungsanlage selten eingeschaltet würde, da quillt es wie zum Beweis dunkel-schwarz aus dem Schornstein. 
    Das Timing ist so gut, dass Zvezdan lachen muss:

    Und das, sagen sie, sei sauber! Das ist nicht sauber. Das verteilt sich jetzt kilometerweit über das Land.

    Zvezdan Kalmar, Umweltaktivist

    Chinesisches Geld statt Umweltschutz?

    Der EU verspricht Serbien den Kohleausstieg bis 2050. In Kostolac glauben sie nicht so recht daran. Denn wenn China investiert, verlieren Umweltziele oft an Bedeutung. 
    So geschehen beim Stahlwerk Smederevo und an der Kupfermine Bor. China kaufte sich dort ein, versprach viel und hielt wenig bei Umweltauflagen, erzählt Kalmar, und Proteste dagegen werden ignoriert. Auch in Kostolac habe es nie eine Umweltverträglichkeitsprüfung gegeben, keine Informationen über Luft- und Wasserqualität. 
    "Es gibt offensichtliche Interessenskonflikte mit der Rechtsstaatlichkeit, mit den Rechten der Bürger, und ihrer Meinungsfreiheit", so Kalmar.

    Die enge Freundschaft der politischen Führung von China und Serbien lässt kritische Stimmen verstummen.

    Zvesdan Kalmar, Umweltaktivist

    Eine Interviewanfrage dazu an die serbische Regierung blieb unbeantwortet.

    China bei Serben deutlich beliebter als die EU

    Seit Jahren ist die EU größter Direktinvestor in Serbien. Doch 2022 überholte China kurzzeitig erstmals. China ist auch verstärkt ein politisches Rollenmodell: Präsident Aleksandar Vučić regiert autokratisch. Und China hilft, wenn die EU ausfällt - zum Beispiel mit Impfstoffen in der Corona-Krise.
    China ginge es um Einfluss, Serbien um gute Wirtschaftszahlen, meint der Polit-Analyst Stefan Vladisavljev von der BFPE-Foundation. Inzwischen sei es aber auch ein Kampf der Narrative: Gewinnt in Serbien die demokratische EU, oder Autokratie nach Chinas Vorbild?

    Es heißt immer öfter: Die Chinesen helfen bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Das bringt eine Menge Popularität für China.

    Stefan Vladisavljev, Polit-Analyst

    Umfragen zeigen, dass China in Serbien fast so populär ist wie Russland oder sogar populärer, berichtet Vladisavljev. "80 Prozent der Serben sehen China positiv. Die EU weniger als 50 Prozent."
    Auch Dragana Nikolić in Drmno, gleich neben dem Kohlekraftwerk, hat nichts gegen Chinesen - im Gegenteil: ihre Schwiegertochter arbeitet für sie. Sie hat aber was dagegen, dass keiner reagiert auf ihre Beschwerden über das Kohlekraftwerk. In der EU wäre das anders, meint sie. Aber dass sie die EU noch erlebt, meint sie nicht.
    Britta Hilpert ist Korrespondentin im ZDF-Studio Südosteuropa.

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