VW-Werk in Xinjang: Menschenrechtsreport voller Mängel

    Exklusiv

    Umstrittene Fabrik in Xinjiang:Menschenrechtsreport zu VW-Werk voller Mängel

    von Peter Kunz und Thomas Reichart
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    Hat VW die Öffentlichkeit und Investoren getäuscht? Recherchen von ZDF, "Der Spiegel" und "Financial Times" legen das nah. Im Fokus: Ein Prüfbericht zu Zwangsarbeit in China.

    Ein chinesisches VW-Werk
    Der Menschenrechtsbericht über das VW-Werk in der chinesischen Region Xinjiang weist nach Recherchen von ZDF, "Der Spiegel" und "Financial Times" erhebliche Mängel auf.19.09.2024 | 1:49 min
    Wenn Volkswagen in Erklärungsnot kommt, dann verhält sich der Konzern gern wie die berühmten drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts oder kaum etwas sagen. So war es beim von VW verschuldeten Dieselskandal 2015 - und so könnte es jetzt wieder sein. Wollte Deutschlands wichtigstes Industrieunternehmen seine Anleger hinters Licht führen?

    Werk in der chinesischen Region Xinjiang im Fokus

    Seit Jahren wird das Engagement von Volkswagen in der Unruheregion Xinjiang kritisiert. Dort unterdrückt Peking systematisch die Minderheit der Uiguren. Mit einem Prüfbericht wollte Volkswagen beweisen, dass in seinem Werk in der Stadt Ürümqi keine Menschenrechte verletzt werden. Doch der Report von Ende 2023 ist voller Mängel.
    Chinese President Xi Jinping looks on during meeting with Russian President Vladimir Putin at the Great Hall of the People in Be
    Vor zwei Jahren wurden die „Xinjiang Police Files“ veröffentlicht, mit Fotos von chinesischen Umerziehungslagern, in denen muslimische Minderheiten – wie die Uiguren – unterdrückt werden. Ein ZDF-Team reist im Jahr 2024 nach Xinjiang. 24.05.2024 | 2:52 min
    Dabei war es die vielleicht wichtigste Betriebsprüfung in der Geschichte des Konzerns, mit Folgen für den Wert des Unternehmens. Die für Anleger wichtige US-Ratingagentur MSCI hatte die Volkswagenaktie wegen des chinesischen Joint Ventures von VW und möglicher Diskriminierung uigurischer Mitarbeiter auf "rot" gesetzt.
    Daraufhin entfernte zum Beispiel die Investmentbank Deka VW-Wertpapiere aus ihrem nachhaltigen Portfolio. Ein schwerer Schlag für das Unternehmen - sowohl für die Reputation als auch für die ohnehin strauchelnde Aktie.

    Ürümqi: VW-Standort mit großer politischer Bedeutung

    Anfang Dezember 2023 lädt Volkswagen deshalb eilig eine handverlesene Gruppe von Journalisten zum Hintergrundgespräch ein. Das ZDF ist nicht eingeladen, ebensowenig kritische Journalisten von "Der Spiegel". Der Konzern will die Ergebnisse seiner Aufklärungsarbeit am umstrittenen Standort Ürümqi in positivem Licht präsentieren.
    Das Werk hat nach Einschätzung von Fachleuten geringen ökonomischen Wert, ist aber von großer politischer Bedeutung für Volkswagen. Die chinesische Führung legt viel Wert auf VWs Präsenz in Xinjiang.
    Mit der Prüfung seiner Arbeitsverhältnisse dort hat Volkswagen einen Mann beauftragt, der über jeden Zweifel erhaben sein sollte: Markus Löning (FDP), ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung.

    Volkswagen in der Krise
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    VW Prüfbericht erscheint - Ratingagentur stuft Konzern wieder hoch

    Volkswagen und Löning präsentieren im Dezember 2023 ein klares Ergebnis: Es gebe keine Hinweise auf Zwangsmaßnahmen oder Menschenrechtsverletzungen gegenüber den knapp 200 Beschäftigten des Werks. Und siehe da: Eine Woche nach dem vollmundig veröffentlichten Prüfergebnis und entsprechender Unbedenklichkeitserklärung durch Volkswagen und Berater Löning entfernte MSCI die geschäftsschädigende "rote Flagge" für Volkswagen.
    Was Löning und Volkswagen allerdings nicht verrieten, ist der Name der chinesischen Anwaltskanzlei, die für die Prüfung vor Ort eigentlich zuständig war. Und auch deren Audit-Report wurde geheim gehalten.
    Wie sich jetzt zeigt, ist der Bericht ein frappierendes Flickwerk und offenbart gravierende Mängel. ZDF, "Der Spiegel" und die "Financial Times" wurde das 71 Seiten lange Dokument von der Organisation Campaign for Uygurs (CFU) zugespielt, einer globalen Interessenvertretung der Uiguren.
    Adrian Zenz
    VW möchte einen Abstand zwischen dem eigenen Werk in China und Zwangsarbeit von Uiguren herstellen. Dieser Abstand sei aber nicht groß, sagt Adrian Zenz.06.12.2023 | 1:29 min

    Arbeitsexpertin: "Kein angemessener Prozess"

    Volkswagen berief sich bei der Veröffentlichung der Ergebnisse auf die angeblich große Erfahrung der Prüfer. Gräbt man tiefer, dann fällt auf, dass den Autoren ganz offensichtlich eben diese Expertise für solche " Audits" fehlt.
    Judy Gearhart, Forschungsprofessorin an der American University und Fachfrau für die Evaluierung von Arbeitsbedingungen und sozialen Standards in Unternehmen, hat das geleakte Dokument analysiert. Sie hält die Unschuldsbehauptung, die Volkswagen daraus ableitet, für mehr als gewagt.

    Ich denke, dass sie keinen angemessenen Prozess und Ablauf befolgt haben, um das wirklich zu untermauern.

    Judy Gearhart, Forschungsprofessorin an der American University

    Als Beruhigungspille für die Aktienmärkte wirkte die mit viel Aufwand betriebene Überzeugungsarbeit trotzdem.

    VW-Betriebsrat sieht Klärungsbedarf

    Volkswagens Konzernbetriebsrat ist alarmiert von den Rechercheergebnissen von ZDF, "Der Spiegel" und "Financial Times" - und sieht Klärungsbedarf. Ein Sprecher: "Die Kernfrage dabei lautet: Wie belastbar sind die Feststellungen des Audits überhaupt noch?" Man erwarte vom Unternehmen eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe sowie Transparenz bei den Verantwortlichkeiten in Top-Management und Vorstand.
    Hätte den Volkswagen-Verantwortlichen die offenkundigen Mängel in dem Prüfbericht auffallen müssen? Volkswagen beruft sich darauf, die Prüfung sei nach dem international anerkannten Verfahren SA-8000 durchgeführt worden, eine Art Güteseigel für Investoren.
    Die auf chinesischer Seite beauftragte Anwaltsfirma in Shenzhen gehört aber offensichtlich nicht zu den international gelisteten SA8000-Auditoren, auch werben sie selbst nicht damit. Einer der drei Prüfer ist in der Hauptsache Experte für Investitionen in Bitcoins, ein anderer führte vor seiner Beratertätigkeit ein einschlägiges Lokal namens "Drunken Chef" in der Stadt Suzhou westlich von Shanghai.

    Vertrauliche Befragung per Livestream

    Die eigentlich vertrauliche Befragung der Mitarbeiter im Werk in Ürümqi wurde per Livestream in die gut 3.400 Kilometer entfernte Zentrale der Anwaltskanzlei übertragen. Ein Team von Führungskräften sollte dort "bei der Analyse des Interviews" assistieren, heißt es in dem Report.
    In einem Überwachungsstaat wie China können die Behörden solche Livestreams leicht einsehen. Volkswagen teilt mit, man habe die "bestmöglichen Vorkehrungen" getroffen, um Vertraulichkeit zu gewährleisten. Expertin Judy Gearhart spricht dagegen von einer einschüchternden Situation:

    Die Interviews sind wertlos, keine wirkliche Bestätigung dafür, dass in dieser Fabrik alles in Ordnung ist.

    Judy Gearhart, Forschungsprofessorin an der American University

    Wie unabhängig war eine beauftragte Anwaltskanzlei?

    Woher auch immer die Prüfer der chinesischen Kanzlei ihre Prüfexpertise für soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit nach internationalen Standards mitbrachten: In Wolfsburg war man offensichtlich zufrieden. Sonst hätte man sich auch die Frage nach der Unabhängigkeit der Anwaltsfirma stellen können.
    In einem Social-Media-Post vom Juli dieses Jahres gratulieren deren Mitarbeiter zum Geburtstag der Kommunistischen Partei, mit der Hymne "Ohne die kommunistische Partei gäbe es kein neues China". Dasselbe patriotische Lied gehört zum Umerziehungsprogramm für uigurische Häftlinge in Xinjiang.
    Kameras an einer Straßenlaterne
    Vor zwei Jahren kamen bis dahin nie gesehene Fotos von chinesischen Umerziehungslagern ans Licht. Wie ist die Situation im Uiguren-Gebiet heute?22.05.2024 | 6:55 min

    VW weist Vorwurf der Täuschung zurück

    Was im Reich der Mitte von solch einem angeblichen Firmenaudit nach internationaler Norm SA8000 zu halten sei, beschrieb einer der VW-Auditoren, der Brite und frühere "Drunken Chef"-Betreiber Clive Greenwood, auf seinem eigenen LinkedIn-Account. "Was ist ein Verfahren nach SA8000 in China wert?", fragt er da. Dazu ein Bild von Erdnüssen. Peanuts. Wenig mehr als nichts also.
    Der von Volkswagen beauftragte ehemalige Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning will Fragen zu seinem Report nicht beantworten - es würden Vertraulichkeitspflichten gelten. Der Wolfsburger Konzern weist den Vorwurf der Täuschung zurück: "Volkswagen hält sich bei seiner Kommunikation stets an die rechtlichen Vorgaben. Eine Täuschung von Investoren oder der Öffentlichkeit hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden."

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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