Krieg im Sudan: Extremer Hilfsbedarf für Menschen in Not

    Interview

    Krieg im Sudan:Extremer Hilfsbedarf für Menschen in Not

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    Die Kriegsgegner stürzen den Sudan ins Chaos. Mohammed Alfa-qeeh von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen gibt Einblicke in eine Arbeit unter Extrembedingungen.

    Zu sehen sind Frauen auf der Flucht vom Sudan in den Tschad.
    Durch den Krieg im Sudan sind Tausende Menschen in Lebensgefahr und auf der Flucht.
    Quelle: ZOHRA BENSEMRA/Reuters

    ZDFheute: Sie befinden sich mit Ihrem Team von Ärzte ohne Grenzen in der sudanesischen Region Nord-Darfur. Wie ist die Sicherheitslage bei Ihnen in der Stadt El Fasher drei Monate nach Ausbruch der Kämpfe im Land?
    Mohammed Alfa-qeeh: Derzeit kontrollieren der Gouverneur von Darfur und die sudanesische Armee die Stadt, aber es gibt eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen in der Region und jeden Tag Angriffe; vor allem auf den Markt und einige Gebiete im Osten von El Fasher. Das heißt für uns: jeden Tag neue Verwundete.

    Mohammed Alfa-qeeh
    Quelle: MSF

    ... … ist Projektkoordinator der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in El Fasher in der Region Nord-Darfur im Sudan. Alfa-qeeh stammt aus dem Jemen und arbeitet seit 13 Jahren für die Organisation.

    ZDFheute: Welche Verletzungen haben diese Menschen?
    Alfa-qeeh: Viele haben Schussverletzungen, aber auch Knochenbrüche und schwere Verbrennungen. Es werden Menschen mit Hirn- und Rückenmarksverletzungen eingeliefert, Patienten mit Nervenschäden und Lähmungen. Andere haben durch die Kämpfe Gliedmaßen verloren.
    ZDFheute: Wie werden diese Schwerverletzten medizinisch versorgt?
    Alfa-qeeh: Wir arbeiten im Südkrankenhaus der Stadt. Die Klinik ist eine der wenigen medizinischen Zentren, die noch geöffnet sind. Andere mussten schließen: Das Kinderkrankenhaus etwa wurde geplündert. Die Folge: Das Südkrankenhaus ist völlig überlastet. Im Einzugsbereich dieser Klinik leben schätzungsweise 600.000 Menschen.
    Khartum, 19.06.2023: Menschen versuchen dem Krieg im Sudan zu entfliehen.
    Über 30.000 Menschen sind wegen des Krieges im Sudan schon ins Nachbarland Tschad geflohen. Weitere zehntausende Geflüchtete werden erwartet.20.06.2023 | 2:52 min
    Zu Beginn des Konflikts gab es nur 36 Krankenbetten, und obwohl das Krankenhaus heute über 110 Betten verfügt, sind alle Stationen belegt. Patientinnen und Patienten werden immer noch auf den Fluren behandelt, weil der Platz nicht ausreicht.
    ZDFheute: Wie werden die Notfälle behandelt?
    Alfa-qeeh: Wir haben dafür gesorgt, dass das Krankenhaus nun über eine sichere Strom- und Wasserversorgung und zwei voll funktionsfähige Operationssäle verfügt, in denen Verwundete und Verletzte chirurgisch versorgt werden können. Wir haben 140 Mitarbeitende eingestellt, um auf eine große Zahl von Verletzten reagieren zu können.
    ZDFheute: Wie steht es um den nötigen Materialnachschub?
    Alfa-qeeh: Mitte Mai haben wir es geschafft, zehn Tonnen chirurgisches Material über den Tschad ins Krankenhaus zu bringen, was wesentlich dazu beigetragen hat, dass seitdem viele Leben hier gerettet worden sind.
    Insgesamt haben wir gemeinsam mit den Kräften des sudanesischen Gesundheitsministeriums mehr als 1.000 Kriegsverwundete behandelt. Die Lage ist aber weiter äußerst angespannt.
    ZDFheute: Was bereitet Ihnen vor allem Sorge?
    Alfa-qeeh: Ein Beispiel: Der Mangel an Treibstoff hat kürzlich die Strom- und Wasserversorgung für drei Wochen unterbrochen.
    Wir wissen, dass in der Region Darfur 100 Dialyse-Patienten gestorben sind, die nicht mehr die lebensrettende Behandlung erhalten konnten. Derzeit können wir zwar das Dialysezentrum mit Treibstoff versorgen, um die Geräte am Laufen zu halten.

    Wenn der Konflikt aber weiter eskaliert, wird die Lieferung von Treibstoff, Medikamenten und Wasser immer schwieriger - und wir brauchen täglich Nachschub.

    ZDFheute: Mit welchem Gefühl blicken Sie in die nähere Zukunft?
    Alfa-qeeh: Das Leben der Menschen hier ist von extremer Unsicherheit und Gewalt geprägt. Besonders besorgniserregend sind Plünderungen. Es gibt kaum noch Lebensmittel und Wasser.

    Der Mangel an Hygieneartikeln erhöht das Risiko der Ausbreitung von Infektionskrankheiten.

    Die bald beginnende Regenzeit wird die Lage noch verschärfen.
    Nazan Gökdemir im Gespräch mit Golineh Atai
    Die Lage im Sudan sei "am Tiefpunkt angekommen", sagt ZDF-Korrespondentin Golineh Atai. Es gebe kaum noch Strom, Wasser oder Lebensmittel. Es bestehe die Gefahr eines ethnischen Konflikts.03.05.2023 | 3:47 min
    ZDFheute: Was erwarten Sie?
    Alfa-qeeh: Während der Regenzeit, die in der Regel Mitte August beginnt, gibt es in Darfur eine Reihe von Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber. Wegen der Kämpfe sind Präventionsmaßnahmen ausgeblieben und es gibt kaum noch humanitäre Hilfsorganisationen vor Ort, die den Menschen zur Seite stehen.
    In der Regenzeit wird sich zudem das Risiko einer Cholera-Epidemie und anderer durch Wasser übertragener Krankheiten erhöhen.
    ZDFheute: Die Kriegsgegner im Sudan stehen sich weiter unversöhnlich gegenüber. Was bedeutet das für die Menschen in El Fasher?
    Alfa-qeeh: Das Krankenhauspersonal ist jetzt geschult darin, mit einer Massenankunft von Verletzten umzugehen. Aber unsere Kräfte sind begrenzt.

    Wenn die Kämpfe noch weiter an Härte zunehmen, wird die Lage katastrophal.

    Für uns alle heißt es jetzt: auf das Beste hoffen und auf das Schlimmste vorbereiten.
    Das Interview führte Marcel Burkhardt.
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