Interview
Ohne Frühstück in die Schule:Wenn der Bauch im Unterricht knurrt
von Steffi Moritz-Möller
|
In Deutschland gibt es immer mehr Kinder, die morgens ohne Frühstück aus dem Haus gehen und hungrig im Unterricht sitzen. Ein Verein kämpft dagegen an.
Ein Frühstück, dazu noch ein gesundes, ist nicht in jeder Familie Teil der täglichen Routine vor dem Unterricht.
Quelle: dpa
Es ist schon zeitig, wenn Martina, Monika und Gerlinde früh um 6 Uhr in die Schule gehen. Nicht, um noch im Rentenalter zu lernen, sondern um Kindern beim Lernen zu helfen. Das machen die drei Frauen, indem sie ihnen ein Frühstück vorbereiten. "So früh aufzustehen ist nicht gerade toll, aber wenn ich dann hier bin, ist alles vergessen", sagt Monika Gerlach.
Jedes fünfte Kind kommt hungrig in die Schule
Die Frauen sind nur drei von vielen Ehrenamtlichen, die für den Verein "brotZeit" arbeiten. Die bundesweite Initiative wurde vor 15 Jahren gegründet, um Kindern, die ohne Frühstück in die Schule kommen, etwas zu essen zu geben. Mit leerem Magen lernt es sich nunmal schlecht.
Dass der Bedarf von Jahr zu Jahr so zunimmt, erschreckt aber selbst Hans-Jürgen Engler, den Vorstandschef von "brotZeit": "Wir kommen uns manchmal vor wie der Tropfen auf dem heißen Stein, denn in Deutschland gibt es etwa 1.500 bedürftige Schulen, aber wir schaffen derzeit nur 313." Die Entwicklung mache ihm ein Stück weit Angst, sagt Engler.
Lebensmittelpreise sind seit Monaten auf einem hohen Niveau. Das hat Auswirkungen vor allem für diejenigen, die sich gesundes Essen nicht mehr leisten können.27.03.2023 | 5:13 min
Die Ergebnisse der IGLU-Studie bestätigen das: Jedes fünfte Kind kommt hungrig zur Schule, und jeder zweite Lehrer beobachtet, dass die Zahl dieser Kinder im vergangenen Jahr zugenommen hat. Mangelnde Konzentration, schlechte Noten, soziale Ausgrenzung und weniger Chancen auf Bildung sind die traurigen Folgen.
Die Kinder kommen nicht nur wegen des Essens
Im Essensraum der Makarenko-Schule in Dresden steht ein langer Tisch, darauf Brot, Butter, Wurst, Marmelade, Joghurt, Müsli, Käse, Obst und Gemüse, Teller und Besteck: All das, was oft in den Familien der Kinder nicht zum Standard gehört. An dem Buffet sollen die Kinder probieren können, was sie noch nicht kennen.
Der 11-jährige Willi freut sich über das Angebot: "Das macht hier solchen Spaß, es gefällt mir, und ich hab mehr Energie für den Tag." Und der 9-jährige Justin hat keine Bauchschmerzen mehr, seit der Bauch morgens voll ist:
Der 10-jährige Luka kommt nicht allein wegen des Essens. Er liebt es, morgens mit seinen Freunden am Tisch nicht nur zu frühstücken, sondern auch zu quatschen.
Vereinsvorstand: "Geld wird anderweitig verwendet"
Die Helferinnen freuen sich, zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln: "Es gibt schon Dinge, die einem sehr nahe gehen", sagt Martina Siegmund. Sie erzählt von einem kleinen Jungen aus schwierigen familiären Verhältnissen. Anfangs mussten die Ehrenamtlichen ihm die Brote schmieren, heute macht er das selbst.
"Das ist ein Zustand, der für unser reiches Land eine Schande ist und den wir überwinden müssen", sagt SPD-Parteivorsitzende
Saskia Esken dazu, dass 20 Prozent der Kinder in Deutschhland von Armut betroffen sind.04.04.2023 | 5:30 min
Wichtig für die Kinder sei dabei auch, in Ruhe in der Schule anzukommen und zu merken, dass sich jemand um sie kümmert. "Das Ganze ist weniger ein finanzielles Problem der Familien, denn es gibt ja eine Grundsicherung für Kinder. Nur wird das Geld wohl anderweitig verwendet. Es ist in erster Linie eine soziale Verwahrlosung", sagt Vereinsvorstand Engler.
Mehr Ruhe und Konzentration im Unterricht
Der Direktor der Makarenko-Förderschule, Matthias Kranz, merkt deutliche Verbesserungen durch das Frühstücksangebot.
Anfangs kamen in seiner Schule etwa 30 Kinder jeden Morgen, inzwischen sind es doppelt so viele. Ein Trend, der sich in allen Schulen widerspiegelt. Der Verein "brotZeit" lebt hauptsächlich von Helfern und Spenden eines Discounters. Nur wenige Bundesländer geben finanzielle Mittel dazu.
Die drei ehrenamtlichen Helferinnen Martina, Monika und Gerlinde gehen auch an diesem Tag um 8 Uhr zufrieden nach Hause. "Da kann ich meinem Mann sagen", sagt Martina Siemund: "Ich habe heute wieder 51 Kinder glücklich gemacht."
Mehr zu Ernährung und Armut
mit Video
Trendreport Ernährung:Die Krisen auf dem Teller
von Christina-Maria Pfersdorf