Wirtschaftskrise: Immer mehr Fälle von Cholera im Libanon

    Auswirkung der Wirtschaftskrise:Immer mehr Fälle von Cholera im Libanon

    von Stella Männer, Beirut
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    Seit Anfang Oktober verbreitet sich Cholera im Libanon. Auslöser ist die mangelnde Infrastruktur des Landes, das die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte erlebt.

    Ein Junge im Libanon bekommt die Cholera-Impfung. Die WHO hat dem Land 600.000 Dosen des Impfstoffs versprochen.
    Ein Junge im Libanon bekommt die Cholera-Impfung. Die WHO hat dem Land 600.000 Dosen des Impfstoffs versprochen.
    Quelle: AP

    Angefangen hatte alles mit einer überwältigen Müdigkeit. Mitten am Nachmittag fühlte sich Amal auf einmal so schlapp, dass sie sich hinlegen musste. Kurze Zeit später bekam sie Durchfall. "So schlimm Magen-Darm hatte ich noch nie", erinnert sich die 43-Jährige. "Ich musste ständig zur Toilette und kein Hausmittel half."
    Als der Durchfall nicht besser wurde, ging die Mutter von fünf Kindern zum Arzt und bekam eine für sie überraschende Diagnose: Sie hatte Cholera. "Ich hatte Angst, was die Leute über mich denken würden", sagt sie zwei Wochen nach ihrer Genesung.

    Cholera als Begleiterscheinung der Wirtschaftskrise

    Seit Anfang Oktober verbreitet sich Cholera im Libanon. Das Gesundheitsministerium hat 663 bestätigte Infektionen und mehr als 5.400 Verdachtsfälle registriert. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, der Großteil der Infektionen verläuft symptomfrei. Die Durchfallerkrankung gilt in vielen Ländern als ausgerottet, auch im Libanon trat sie seit drei Jahrzehnten nicht mehr auf. Dass die Krankheit nun zurück ist, zeigt, dass die Wirtschaftskrise des Landes ein neues Ausmaß erreicht hat.
    Cholera wird durch das Bakterium Vibrio cholerae übertragen. Menschen infizierten sich durch kontaminiertes Trinkwasser oder Lebensmittel. In den meisten Fällen verläuft eine Infektion harmlos, doch unbehandelt kann sie innerhalb weniger Stunden zur Dehydrierung und zum Tod führen.
    Auch Amal hat sich wahrscheinlich über das Trinkwasser angesteckt. Weil der bankrotte Staat nur noch selten Wasser in die Leitungen pumpt, bezieht ihre Familie wie so viele Libanes*innen Wasser von privaten Anbietern. Vor dem Haus steht eine Zisterne, die von einem Lkw aufgefüllt wird. Kurz vor ihrer Infektion sei die Familie auf einen anderen Anbieter umgestiegen, weil dieser nur halb so viel für eine Tankfüllung wollte, wie ihr bisheriger Anbieter, erklärt Amal. Die Inflation von fast 160 Prozent lässt die Preise für Lebensmittel täglich steigen.

    Milchprodukte können wir uns nicht mehr leisten, ich koche hauptsächlich Bohnen oder Reis.

    Amal

    Krankheiten treffen auch Geflüchtete aus Syrien

    Wenige Kilometer von Amals Haus entfernt läuft Koutaiba Aayouch zwischen weißen Zelten entlang. Sie gehören zu einem Camp für Syrer*innen, die vor dem Krieg im Nachbarland geflohen sind. Am Vorabend wurde hier ein Cholera-Fall gemeldet. Zusammen mit der NGO "Aktion gegen Hunger" übernimmt Koutaiba nun die Aufgaben, die der libanesische Staat nicht mehr leisten kann.
    "Guten Morgen, was habt ihr heute geplant?", beginnt Koutaiba das Gespräch mit einer Bewohnerin. Nach einigen Minuten Smalltalk erzählt er ihr von dem Cholera-Fall in der Nachbarschaft und fragt, ob sie weiß, wie sie sich vor einer Infektion schützen kann. Dann sprüht sein Kollege Hussein das Zelt und die Latrine mit einer Chlorlösung ab.

    Investitionen in Abwassersysteme sind zwingend nötig

    In den schlecht ausgestatteten Camps verbreitet sich der Keim besonders schnell. Libanesische Medien stellten Cholera deshalb lange als Problem syrischer Geflüchteter dar, doch die Epidemie trifft das ganze Land. Auslöser ist die mangelnde Infrastruktur des Landes. 42 Prozent aller libanesischen Haushalte sind nicht an eine Kanalisation angeschlossen. 92 Prozent des Abwassers wird ohne Aufbereitung in der Natur entsorgt. In den Litani-Fluss, der auf 140 Kilometern durchs Land fließt, speisen 18 Krankenhäuser ihr Abwasser ein. Wenn Koutaiba mit Libanes*innen über Cholera spricht, muss er oft darüber aufklären, dass der Keim keine Nationalitäten kennt.
    Mitte Dezember verkündete der Übergangsgesundheitsminister, Firas Abiad, die Epidemie dank einer Impfkampagne unter Kontrolle zu haben. Besiegt ist sie aber noch nicht. Kritiker bemängeln außerdem, dass ohne Inventionen ins Abwassersystem die Ursache des Problems nicht behoben wird.
    Koutaiba Aayouch bereitet die Situation Sorgen: Gerade haben sie noch gegen die Ausbreitung von Corona kämpfen müssen, erzählt er, nun gebe es schon wieder eine Epidemie.

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