CSD: Wofür die LGBTQ-Community heute kämpft

    Interview

    Christopher Street Day:Wofür die LGBTQ-Community heute kämpft

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    Wie ist es heute, queer zu sein? Und wie war es früher? Im Interview erzählen drei queere Menschen von ihren Erfahrungen - und wofür sie sich aktuell einsetzen.

    Gruppenbild mit Monique, Stella und Nora
    Nora, Stella und Monique (v.l.n.r.): "Alle verdienen es, sich zugehörig zu fühlen."
    Quelle: ZDF Digital/Gary Denk

    Drei Menschen, drei Geschichten - und ein gemeinsames Ziel: sichtbar machen. Nora, Stella und Monique gehören dem Team an, das die Christopher-Street-Day-Parade in Berlin organisiert (2023 am 22. Juli). Anlässlich des 28. Juni, als 1969 in New York ein Aufstand gegen diskriminierende Polizei in der Christopher Street in Manhattan begann, erzählen sie, was die Bewegung in Deutschland bereits erreicht hat - und warum sie weiter auf die Straße gehen.
    Auf Wunsch der drei Gesprächspartner*innen wurde das Gespräch per du geführt.
    ZDFheute: Nora, wie war dein Coming-Out für dich?
    Nora: Ich würde sagen, ich habe Glück, in Berlin aufgewachsen zu sein. Es ist einfach eine internationale Großstadt, in der alles relativ locker gesehen wird. Als ich mich in der Schule und vor meinen Freund*innen als lesbisch geoutet habe, war alles eigentlich cool. Dann wollten plötzlich alle mit mir zu tun haben. Ich würde sogar sagen, dass es fast "positive Diskriminierung" war. Leute, mit denen ich vorher nichts zu tun hatte, wollten auf einmal mit mir befreundet sein.
    Nora
    Nora ist 25 Jahre alt und in Berlin aufgewachsen. Als 13-Jährige läuft sie erstmals bei der Parade vom Christopher Street Day mit.
    Quelle: ZDF Digital/Gary Denk

    Als ich dann später erkannt habe, dass ich bisexuell bin, wurde es für mich kompliziert. Ich bin aktuell in einer Beziehung mit einem Mann. Damit fühle ich mich manchmal ein bisschen fehl am Platz. Ich habe sehr viel mit anderen queeren Personen zu tun - und fühle mich auch total queer. Und dann fange ich an zu grübeln: Darf ich hier überhaupt sein? Bin ich als bisexuelle Person queer genug für die anderen?
    ZDFheute: Monique, du bist ja bereits 54 Jahre alt. In deiner Jugend war mit Sicherheit vieles anders. Was waren für dich prägende Momente?
    Monique: Viel von meiner Kindheit habe ich, wenn ich ehrlich bin, verdrängt. Ich bin in der Nähe von Wien aufgewachsen - und kannte damals so Wörter wie "queer" oder "lesbisch" nicht. Als ich dann in meinen Teenager-Jahren im Internat meine ersten Erfahrungen mit einer Frau hatte, wurde mir immer deutlicher klar, dass ich lesbisch bin.
    Monique
    Monique, 54, engagiert sich schon seit Jahrzehnten beim Christopher Street Day.
    Quelle: ZDF Digital/Gary Denk

    Bis ich mich dann auch wohl in der Community gefühlt habe, war es aber ein langer Weg. Auf meiner ersten Queer-Party in Wien habe ich mich sehr unwohl gefühlt. Es war gruselig, so angeglotzt zu werden. Mit meinem Umzug nach Berlin - da war ich so 20 - wurde es besser. Da habe ich dann zum ersten Mal auch mit lesbischen Personen zu tun gehabt. Da fing dann auch so richtig mein Coming-out an.
    In den letzten Jahren gab es ein weiteres Coming-out für mich: Ich sehe mich jetzt als non-binär, also keinem der beiden Geschlechter zugehörig. Es hat mich schon lange gestört, dass ich wählen muss, ob ich irgendwie weiblich oder männlich bin. Jetzt weiß ich: Das muss ich nicht. Und das ist gut so.
    ZDFheute: Wie war das bei dir, Stella?
    Stella: Ich bin in einem Dorf im Norden Frankreichs aufgewachsen und ging auf eine katholische Schule. Dort wurde ich ausgegrenzt, beschimpft und gemobbt.
    Stella
    Stella, 29, engagiert sich seit letztem Jahr im Vorstand des Christopher Street Days in Berlin.
    Quelle: ZDF Digital/Gary Denk

    Denn als Kind habe ich gerne mit Mädchensachen gespielt und lieber mit Mädchen zu tun gehabt. Begriffe wie "trans" oder "non-binary" gab es in meinem Umfeld einfach nicht. Es ist wirklich schwer, wenn man kein Label hat, mit dem man sich identifizieren kann.
    Schon mit zehn habe ich irgendwie gewusst, dass ich schwul bin - mit 16 wurde es mir aber so richtig klar. Als ich mich vor meiner Mutter geoutet habe, war es schwierig: Sie hat erstmal geweint. Das hat für viele Jahre eine emotionale Distanz geschaffen.
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    Und auch bei mir gab es ein zweites Coming-out: Als ich vor sechs Jahren nach Berlin gezogen bin, habe ich immer wieder Drag-Shows besucht und das hat etwas mit mir gemacht. Ich habe erkannt: Ich bin nicht-binär. Ich identifiziere mich nicht komplett als Frau - aber auch nicht komplett als Mann.
    Es war wie ein Erwachen - und aufregend, aber auch eine Identitätskrise. Denn in all dieser Zeit habe ich mit dem gekämpft, wie ich mein ganzes Leben sozialisiert wurde. In dieser Zeit bin ich selbst mein größter Feind gewesen.
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    ZDFheute: Monique, du bist schon seit Langem in Berlin. Wie nimmst Du die Stadt wahr?
    Monique: Es kommt darauf an, wo man ist und zu welcher Zeit. Letztens war ich mit meiner Frau auf der Straße und wir haben uns geküsst. Ein Mann, der an uns mit seinem Fahrrad vorbeigefahren ist, schrie lauthals: "Bäh!" Ich bin mein Leben lang auf der Hut - und ich wurde auch schon einige Male körperlich angegriffen. In der Öffentlichkeit gucke ich mich immer um. Ich weiß genau, wo ich mit meiner Frau Händchen halte, und wo ich das lasse. In Neukölln mache ich das einfach nicht.
    Nora: Bei mir ist das anders, weil ich als Cis-Frau einfach nicht auffalle - vor allem, wenn ich jetzt mit meinem Partner durch Berlin laufe. Ich fühle mich überall recht sicher. Aber mir ist auch nichts Negatives passiert - auch dann nicht, wenn ich mit einer Frau herumlaufe. Berlin ist sehr anonym. Ich habe das Gefühl, ich kann meine sexuelle Identität ausleben - und kann alles machen, ohne dass es jemand so richtig mitbekommt.
    Stella: Ich glaube, es gibt generell keine sicheren Orte - vor allem nicht für Frauen. Als Trans-Person habe ich Diskriminierung erfahren - Mansplaining und sexuelle Belästigung. Und das war erstmal ein Schlag ins Gesicht. In Berlin ist die Gewalt angestiegen. Und es gibt mehr homophobe Gewalt. Wenn ich feiern gehe und mich sehr weiblich anziehe, dann ziehe ich für den Weg zum Club Männer-Kleidung drüber. Was zählt, ist nicht, wie du dich identifizierst, sondern wie andere Leute einen bewerten.
    ZDFheute: Ihr engagiert euch alle für die Organisation des CSD - du schon sehr lange, Monique. In welchen Zeiten hast du angefangen?
    Monique: Es waren sehr gruselige Zeiten. Damals war das HI-Virus neu - und hat die queere Community sehr erschüttert. Es war krass, weil man so wenig wusste - und dann wurde das auch nur auf Schwule projiziert. Die Anfeindungen gegen die queere Community in dieser Zeit waren schlimm. Und: Da sind viele an Aids gestorben, die ich kannte - gerade auch hier in Berlin. Mir war wichtig, dass wir da füreinander einstehen und Haltung zeigen.

    Mahnung zur Gewaltlosigkeit am Stonewall Inn
    Quelle: Getty Images

    Die CSD-Parade geht auf die Ereignisse Ende Juni 1969 in New York zurück: Polizisten stürmten damals in Manhattan die Homosexuellen-Bar "Stonewall Inn" in der Christopher Street und lösten einen Aufstand von Schwulen, Lesben und Transsexuellen gegen willkürliche Kontrollen und Schikanen aus.

    ZDFheute: Was ist euch beim diesjährigen CSD besonders wichtig?
    Stella: Mir ist wichtig, dass den Menschen klar wird: Es gibt nicht nur männlich und weiblich. Denn es gibt Systeme, die gegen non-binäre Menschen gehen. Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau. Das Selbstbestimmungsgesetz verlangt von mir aber, mich zu entscheiden.
    Die Krankenkasse hat sich bei mir geweigert, Kosten für Behandlungen zu übernehmen, weil die Transsexualität nicht bestätigt wurde. Es ist irgendwie herablassend, wenn man dazu gezwungen ist, zu lügen, wenn man Leistungen von der Krankenkasse in Anspruch nehmen möchte.
    In dem System jetzt muss man sich fast umbringen, um von der Krankenkasse etwas zu bekommen. Und am besten lügen, dass man sich klar als ein Geschlecht definiert. Und im besten Fall soll das schon das ganze Leben lang klar gewesen sein.
    Ich würde niemals sagen, dass ich im falschen Körper geboren wurde. Ich mag meinen Körper.
    Nora: Mir ist wichtig, zu zeigen, dass man auch queer sein kann, wenn man in einer heteronormativen Beziehung ist. Ich möchte, dass die Menschen das verstehen. Viel wurde schon gemacht - und dafür bin ich früheren Generationen dankbar. Wir sollten hier aber nicht aufhören!
    Stella: Absolut! Sichtbarkeit ist da ein wichtiges Stichwort. Uns ist sehr wichtig, dass die queere Community inklusiver wird. Alle verdienen es, sich zugehörig zu fühlen.
    Monique: Es ist total wichtig, dass es die CSDs überhaupt gibt. Es ist auch ein schöner Feiertag für uns. Aber es muss sich noch viel tun. Solange wir in einer Welt leben, in der queere Menschen getötet werden, einfach dafür, dass sie queer sind, dann leben wir in keiner sicheren Welt - und dafür müssen wir auf die Straße gehen. Und das werde ich auch mein Leben lang tun.
    Das Interview führte Gary Denk.

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