Ausstellung "Sechzehn Objekte" aus Yad Vashem in Berlin

    Yad Vashem stellt Objekte aus :"Ein Klavier, das den Holocaust überlebt hat"

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    Ein Piano, ein vergilbtes Tagebuch: Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt erstmals einige ihrer Artefakte in Deutschland. Die Ausstellung erinnert an Flucht und Vertreibung.

    Puppe "Inge" von Lore Stern, bekleidet mit demselben Schlafanzug, den Lore in der Nacht des November-Pogroms trug
    Tagebuch von Marion Feier aus Erfurt, in dem sie ihr Leben von 1935 bis zu ihrer Ausreise aus Deutschland festhielt
    Klavier der Familie Margulies aus Chemnitz, das sie bei ihrer Flucht nach Eretz Israel mitnahm
    Aktentasche von Josef Wolf aus Greifswald, in der er auf der Flucht seine Habseligkeiten aufbewahrte

    Puppe Inge von Lore Stern (geboren 1937)

    Die kleine Lore nahm Puppe Inge 1941 mit auf die Flucht. Inge trägt den gleichen Schlafanzug, den Lore in der Nacht des November-Pogroms trug und ist in der Ausstellung im Bundestag zu sehen.

    Quelle: dpa


    Es waren gefährliche Zeiten, als die jüdische Familie von Menashe Margulies aus Nazi-Deutschland floh. Der 15-jährige Sohn des Textilhändlers aus Chemnitz, Szalay ergatterte im März 1939 für 2.544 Reichsmark vier Flugtickets der Lufthansa von Berlin nach Haifa.
    Blieb noch ein großes Hindernis: Das Familienklavier sollte keinesfalls zurückbleiben. Tatsächlich gelang es den Flüchtenden irgendwie, das Instrument nach Palästina zu verschiffen.
    84 Jahre später ist das Piano zurück in Deutschland. Wenige Tage vor dem diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird es in der Ausstellung "Sechzehn Objekte" im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags zu besichtigen sein.

    Rückkehr nach einer sehr langen Reise

    Es sind 16 Stücke aus einer Sammlung von 42.000 Artefakten der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Diese bringt zu ihrem 70. Bestehen erstmals eine kleine Auswahl in das Land, in dem ihre Besitzer einst zuhause waren, aus dem sie vertrieben oder verschleppt und ermordet wurden. Es ist eine berührende Rückkehr nach einer sehr langen Reise.
    "Ich wollte natürlich ganz unterschiedliche Objekte haben, nicht nur jüdische Artefakte", sagt Ruth Ur, die Kuratorin der Ausstellung und Geschäftsführerin des deutschen Freundeskreises von Yad Vashem. "Es geht nicht um jüdische Menschen, es geht um Deutsche in erster Linie."
    Gerade da Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas werde, könne es keine passendere Botschaft geben:

    Ein Klavier, das den Holocaust überlebt hat, kommt zurück nach Deutschland, um zu zeigen, wie wichtig Musik ist.

    Ruth Ur, Ausstellungskuratorin

    Überlebt hat in Israel auch der damals 15-jährige Szalay, heute Shlomo, geboren 1923, vor fast hundert Jahren.

    Leiter von Yad Vashem: "Das Erinnern verstärken"

    "Es ist wichtig zu zeigen, dass zwischen jedem einzelnen Objekt und Deutschland eine Verbindung besteht", sagt der Leiter von Yad Vashem, Dani Dajan. Sie stünden exemplarisch für je ein Bundesland.
    Zur Eröffnung der Ausstellung und zu politischen Gesprächen kommt der 67-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben nach Deutschland.
    Er hatte sich eigentlich geschworen, nie deutschen Boden zu betreten - um nie zu vergessen, was mit jüdischen Menschen in Deutschland passiert sei. "Es hatte nichts mit Hass zu tun, es hat nur mit Erinnern zu tun", sagt Dajan.
    Doch sei es der "gleiche Grund, der mich jetzt nach Deutschland bringt: das Erinnern". Mit seiner Reise wecke er Aufmerksamkeit, "und so werden wir das Erinnern verstärken und dazu beitragen, dass es nie wieder passiert".

    Was nimmt man mit, wenn man geht?

    Wenn man geht, unter Zwang, wahrscheinlich für immer, was nimmt man mit? Für die 1937 geborene Lore Stern aus Kassel war es ihre Puppe Inge, die 1941 mit ihr nach Portugal und schließlich in die USA reiste. Von dort wanderte Lore Stern 1991 nach Israel aus und mit ihr die Puppe.
    Auch für Anneliese Dreifuss aus Stuttgart war es ein Spielzeug, eine winzige Keramikküche, die die Emigration in die Vereinigten Staaten überlebte.
    Als der Hamburger Leon Cohen ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, wollte er auf eines nicht verzichten: seinen selbst gefertigten Thora-Schrein. Als ihn die Nazis weiter nach Auschwitz verschleppten, ließ Cohen den Schrein dann doch zurück. Die Leiterin eines Kinderheims verwahrte ihn. So kam der Schrein nach Yad Vashem und nun nach Berlin.

    Fragmente einer zerstörten Welt

    Eine Vitrine zeigt einen unscheinbaren Fetzen Stoff - ein Fragment der Fahne des Jugendbunds Maccabi Hatzair. Als Mitglieder 1943 deportiert werden sollten, zerrissen sie die Fahne und versprachen sich, sie zusammenzusetzen, wenn sie sich in Israel wiedersähen.
    Eine von ihnen, Anneliese Borinski, schaffte es, ihr Stück Stoff im Vernichtungslager Auschwitz und auf einem Todesmarsch bei sich zu behalten. Sie war die einzige, die ihren Teil der Fahne nach Israel bringen konnte.
    Dinge des Erinnerns, wenn niemand mehr aus erster Hand erzählen kann: "Wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit", sagt Yad-Vashem-Leiter Dajan.

    Wenn die Zeitzeugen nicht mehr unter uns sind, dann müssen wir sicherstellen, dass wir ihre Erinnerung weitertragen.

    Yad-Vashem-Leiter Dani Dajan

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    Quelle: Christina Storz und Verena Schmitt-Roschmann, dpa