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Banden-Handlanger im Verdacht:Explosionen in NRW: Wohl doch nicht "Mocro-Mafia"
von Ralph Goldmann
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Hinter den Explosionen in Nordrhein-Westfalen steckt wohl keine organisierte Struktur aus den Niederlanden. Die Polizei sieht Einzeltäter - von deutschen Drogenbanden angeheuert.
Bei einer Serie von Gewalttaten in Nordrhein-Westfalen, die die Menschen nicht nur im Rheinland in Angst und Schrecken versetzen, hatte die Polizei bisher die brutale "Mocro-Mafia" im Verdacht. Nun hat sie neue Erkenntnisse, die sie auf einer Pressekonferenz bekannt gab.
Raub im Drogenmilieu und Geiselnahmen
Die Gewalttaten hatten im Juni vergangenen Jahres begonnen. Aus einer Lagerhalle in Hürth bei Köln verschwand etwa die Hälfte von 700 Kilogramm Cannabis, die eine Drogenbande dort versteckt hatte. Drei Tage später beendete die Polizei dort eine Geiselnahme. Drei Männer hatten fünf andere im Verlauf von mehreren Stunden in ihre Gewalt gebracht und gefesselt.
Nur kurze Zeit später sorgte eine weitere Entführung für Schlagzeilen. Beamte eines Spezialeinsatzkommandos stürmten Anfang Juli 2024 ein Haus in Köln-Rodenkirchen. Das Haus war wohl eigens dafür angemietet worden, um zwei Geiseln hierhin zu verschleppen und zu foltern - als Racheakt für eine nicht gezahlte Drogenlieferung.
Die beiden wurden vom SEK befreit und dabei verletzt. Drei schwer bewaffnete Täter ließ man offenbar ziehen, aus Angst vor einer Schießerei mitten im Wohngebiet.
Explosionen und Schüsse auf Häuser
Es folgten insgesamt elf Straftaten in Nordrhein-Westfalen - Sprengstoff-Explosionen und Schüsse auf Häuser -, hinter denen die Ermittler zunächst die sogenannte "Mocro-Mafia" vermutete, eine Gruppierung, die vor allem in den Niederlanden aktiv ist und dort in der Vergangenheit auch vor zahlreichen Morden nicht zurückschreckte.
Sieben von ihnen sollen auch für den Tod des Journalisten Peter R. de Vries verantwortlich sein. Obwohl dem Netzwerk nicht mehr nur marokkanisch-stämmige Mitglieder angehören, wird der Begriff in den Niederlanden weiter verwendet.
Polizei spricht nicht mehr von Mocro-Mafia
Seit Donnerstag jedoch ist von einer Beteiligung der "Mocro-Mafia" an den Taten in NRW keine Rede mehr. Das jedenfalls war Tenor einer Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft, die die Ergebnisse einer grenzüberschreitenden Fahndung mithilfe von Europol präsentierten: 46 laufende Ermittlungsverfahren, 35 Tatverdächtige, davon sitzen nun 23 Personen in Haft.
"Das hat aber nichts mit Mafia-Strukturen zu tun und von daher verwehren wir uns auch gegen diesen Begriff, den hier zu verwenden", sagt Michael Esser, Leiter der Kriminalpolizei Köln. Staatsanwalt Ulrich Bremer ergänzt:
Wir haben keine Hinweise darauf, dass sich niederländische Tätergruppierungen in Köln breitgemacht hätten.
Ulrich Bremer, Staatsanwalt Köln
Neues Phänomen: "Violence-as-a-service"
Die Kölner Ermittler sprechen jetzt vielmehr von einem neuen Phänomen namens "Violence-as-a-service"- quasi Gewalt als Dienstleistung. Drogenbanden im Rheinland bedienen sich junger Männer aus den Niederlanden im Alter zwischen 18 und 30 Jahren als Handlanger, die hier im Auftrag der Banden Sprengsätze zünden.
Die Männer bieten sich über Soziale Netzwerke wie Apps oder Messengerdienste an. "Die ausführenden Täter, zum Beispiel die sogenannten "Sprenger", kennen dabei in der Regel den Auftraggeber nicht. Auch die eigentlichen Hintergründe der Tat sind diesen nicht bekannt", sagt Esser.
Pool junger, gewaltbereiter Männer
Der Kriminalitäts-Experte Robin Hofmann von der Universität Maastricht kennt das vor allem aus den Niederlanden und Schweden. Es gebe in den Niederlanden einen ganzen Pool junger Männer - die sein bereit, solche Taten auszuführen.
Die Täter sind nicht besonders gut oder intelligent, stammen meist aus prekären Verhältnissen, sind aber wild entschlossen.
Robin Hofmann, Kriminalitätsexperte
Hofmann ergänzt: "Die machen die Drecksarbeit für ein paar hundert Euro." Meist verwendeten sie sogenannte Cobra-Böller, die in den Niederlanden verboten seien und deshalb in Deutschland hinter der Grenze gelagert und dann für die Taten modifiziert würden, erläutert Hofmann.
Experte vermutet doch Verbindungen zu Mafia
Während die Kölner Ermittler derzeit keine Anhaltspunkte dafür sehen, dass bei all dem auch die "Mocro-Mafia" eine Rolle spielt, vermutet Hofmann durchaus Überschneidungen. Zwar mache sie sich nicht in NRW breit, er hält es aber für wahrscheinlich, dass einzelne Mitglieder wohl als Vermittler aufgetreten sein könnten.
Die aktuellen Zahlen von Polizei und Staatsanwaltschaft dürften nur eine Zwischenbilanz sein, denn weitere Ermittlungen laufen noch. Wer zum Beispiel hinter zwei Explosionen in der Kölner Innenstadt oder einem Tötungsdelikt in Köln-Kalk steckt, ist noch offen, sagt Esser: "Wir setzen alles daran, weitere Beteiligte zu identifizieren und beweiskräftig zu überführen."
Ralph Goldmann ist Reporter im ZDF-Studio Düsseldorf
Quelle: dpa
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