Gewalt und Drogen - die Misere von Marseille

    Mehr als 40 Mordopfer in 2023:Gewalt und Drogen - die Misere von Marseille

    Antje Pieper
    von Antje Pieper
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    Marseille ist berüchtigt für seine massiven sozialen Konflikte und die Gewalt, die vor allem von Jugendgangs ausgeht. Dieses Jahr droht ein besonders blutiges zu werden.

    Ein Mann läuft an einem Gebäude in Marseille vorbei, auf dem ein Graffiti ist.
    Die französische Stadt Marseille kämpft gegen Drogen- und Bandenkriminalität.
    Quelle: AFP

    Schon über 40 Tote seit Anfang des Jahres in Zusammenhang mit Drogenkriminalität. So viele gab es noch nie in Marseille, erzählt Sylvain Souvestre. Der Bezirksbürgermeister spricht von einem blutigen Bandenkrieg und fordert, dass der Staat härter durchgreifen müsse: "Heute haben wir auch ein Respektproblem gegenüber der staatlichen Autorität."
    Frankreichs Präsident Macron hat eine Sonderkommission zur Bekämpfung der Drogennetzwerke in Marseille angeordnet. Doch bis heute ist die Situation nicht unter Kontrolle. Von Terror spricht der Polizist Rudy Manna:

    Diese Leute kommen mit einer Kalaschnikow an und zielen oberhalb des Bauches des Gegners. Und manchmal zielen sie auf Menschen, die mit ihnen überhaupt nichts zu tun haben.

    Rudy Manna, Polizist

    Problemviertel im Norden der Stadt

    Vor allem in den Hochhausghettos im Norden der Stadt, im Quartier Nord, ist die Gefahr, Opfer einer Schießerei zu werden, groß. Manche Anwohner wie die junge Verkäuferin Nargesse trauen sich abends nicht mehr auf die Straße: "Abends habe ich Angst. Ich arbeite im Lebensmittelladen. Aber zur späten Stunde ist niemand auf der Straße, keiner geht mehr raus. Früher haben wir bis halb zwei Uhr nachts gearbeitet. Jetzt bin ich gezwungen, schon nachmittags zu schließen, da keine Kunden mehr kommen."
    Graffiti
    Gewalt, Rassismus und Drogen prägen ganze Stadtteile in der französischen Metropole Marseille. Und das schon seit Jahrzehnten – die Menschen kämpfen um ein Leben in Sicherheit.04.10.2023 | 13:02 min
    Im Quartier Nord ließen sich über Generationen hinweg die meisten Einwandererfamilien nieder. Heute gilt es als Problemviertel. 40 Prozent der Anwohner sind arbeitslos. Ein Ort, wo bereits sehr junge Menschen in die Drogenszene abrutschen. Wo es regelmäßig zu Bandenkriegen, zu tödlichen Schießereien kommt. Wo Eltern ihre Kinder beerdigen müssen - wie Wassila Kessaci.
    Vor drei Jahren starb ihr Sohn Brahim im Alter von 21 Jahren. Einen Großteil seiner Kindheit verbrachte er im Quartier Nord. "Es ist genau diese Zeit, die ich in meinem Leben bedauere. Die Tatsache, dass ich eine Wohnung im Quartier Nord akzeptiert habe. Und ich frage mich, warum ich das gemacht habe. Diese Zeit hat mich wirklich sehr, sehr viel gekostet. Sie hat mich das Leben meines Sohnes Brahim gekostet."
    Brahim habe mit Drogen nichts zu tun gehabt. Doch mit einem Kumpel aus der Drogenszene saß der Familienvater an einem Dezemberabend im Auto. Am falschen Ort, zum falschen Zeitpunkt, erzählt Wassila:

    Er ist gegangen, er hat mir einen Kuss gegeben und gesagt: Bis später, Mama. Diese Jugendlichen sind sich gar nicht bewusst, dass sie eine ganze Familie töten. Ein Kind zu verlieren auf diese Weise: Das ist unerträglich.

    Wassila Kessaci

    "Schnelles Geld" zieht Jugendliche an

    Der Sozialarbeiter Kader Belkacem versucht, die Jugendlichen im Quartier Nord davon abzuhalten, ins Drogenmilieu abzurutschen. Seine eigenen Eltern sind wie so viele 1963 aus Algerien nach Frankreich gekommen.
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    Kader ist selbst im Quartier Nord aufgewachsen, lebt noch immer hier. Sein Zuhause habe sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert, erzählt er, vor allem für Jugendliche:

    Das Problem, das sie hier haben: Dass sie vom Geld angezogen werden. Das schnelle Geld aus dem Drogennetzwerk. Diejenigen, die Geld brauchen, werden immer jünger und werden da hineingezogen.

    Kader Belkacem, Sozialarbeiter

    Vom schnellen Geld sprechen hier alle, wenn 12-13-Jährige bereits 50 Euro am Tag verdienen. Hunderte von Euro fließen hier für den Drogentransport.
    Einer, der aus dem Problemviertel herausgekommen ist, ist der Künstler Nzo CDG. Inzwischen arbeitet und malt er in der Innenstadt von Marseille. Seine Leidenschaft für die Kunst hat ihm dabei geholfen, seinen eigenen Weg zu gehen: "Wir sind es, die sich an das Leben hier anpassen müssen. Wenn wir etwas ändern wollen, dann müssen wir etwas an uns ändern."
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