Neo-Ökologie: Mehr Gemeinschaft - weniger Profit

    Neo-Ökologie nach alten Modellen:Mehr Gemeinschaft - weniger Profit

    torsten mehltretter
    von Torsten Mehltretter
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    Langfristig die Gemeinschaft stärken und dafür auf den maximalen Profit verzichten. Die Neo-Ökologie feiert das Comeback altbekannter Wirtschafts-, Arbeits- und Wohnmodelle.

    plan b: Gemeinschaft statt Profit
    Die Gemeinschaft stärken, das Wohl aller über den Profit Einzelner stellen. Viele Menschen setzen auf ein Umdenken am Arbeitsplatz, in der Landwirtschaft und beim Wohnen.23.11.2023 | 29:45 min
    Rund um die rumänische Gemeinde Zetea ist von der zerstörerischen Kraft des Menschen noch nichts zu erkennen. Alles hier gehört allen, 2.800 Bewohnerinnen und Bewohner teilen sich 12.000 Hektar Wälder, Wiesen und Hänge. Die Ländereien hat der Staat seinen Bürgern nach dem Ende des Sozialismus im Jahr 1989 zurückgegeben. Und in Zetea haben sie beschlossen, alle Flächen zusammenzulegen - so, wie es in dieser Region bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs an vielen Orten praktiziert wurde.

    Allmende im rumänischen Siebengebirge zurück

    Organisiert wird dieser Zusammenschluss durch einen Verein, der die uralten Grundsätze von Allmenden umsetzt. Danach dürfen alle Mitglieder einer Gemeinde die gemeinsamen Flächen nutzen - nach Regeln, auf die sich alle geeinigt haben.
    Der Vereinsvorstand sorgt dafür, dass alle von diesem Zusammenschluss profitieren. So bekommt jedes Mitglied Feuerholz für den Winter, Schafskäse sowie Lamm- und Rindfleisch und Geld aus den erwirtschafteten Gewinnen. Der Verein beauftragt Schäfer, Hirten und Waldarbeiter, die idealerweise selbst Mitglieder sind.

    Fast alle EU-Länder weisen Allmendeflächen auf

    Allmenden waren im Mittelalter weit verbreitet. Bauern durften ihr Vieh auf die Gemeindeweiden lassen und mussten dafür Milch oder Fleisch an die anderen Bewohner abgeben. Die Gemeinde hat festgelegt, wieviel Vieh weiden kann, sodass die Wirtschaftskraft der Gemeindeflächen nicht geschwächt wird - weil eine Ausbeutung der natürlichen Ressourcen die Gemeinschaft schwächen würde. Doch im Laufe der Jahrhunderte begann ein Ausverkauf der Gemeindeflächen, weil sich die Verwaltung hohe Steuereinnahmen durch den Verkauf erhoffte.
    Zwar finden sich nach einer Erhebung von Eurostat noch in fast allen EU-Ländern Allmendeflächen, aber im Vergleich zu früher sind sie verschwindend gering. Auch in Deutschland gibt es noch ein paar wenige wie zum Beispiel im Schwarzwald, in einigen Alpenregionen und auf der Nordseehallig Gröde.

    Übertragung der Allmendeprinzipien auf die Arbeitswelt

    Die uralten Allmendeprinzipien, die eine Stärkung der Gemeinschaft über den Profit Einzelner stellen, haben die Arbeiter der mailändischen Firma Rimaflow in ihr Unternehmenskonzept übernommen. Sie haben einen selbstverwalteten Recyclingbetrieb gegründet: Eine Genossenschaft ohne Chef, mit gleichem Lohn für alle.
    Die Firmengeschichte begann mit der Pleite ihres früheren Arbeitgebers, einem Zulieferbetrieb der Autobranche, im Jahr 2013. Über 300 Mitarbeitende standen damals auf der Straße. Viele wehrten sich gegen die Kündigung und kämpften um ihre Arbeitsplätze. Sie besetzten das Firmengelände und demonstrierten in der Öffentlichkeit. Tausende Mailänder solidarisierten sich mit ihnen. Schließlich half ihnen das sogenannte Marcora-Gesetz. Auf dessen Grundlage können Firmenübernahmen durch Arbeiter legalisiert werden.

    1. Konkurs des Arbeitgebers
    2. Die Arbeiterinnen und Arbeiter bringen das ihnen zustehende Geld aus der Arbeitslosenversicherung in das Grundkapital der neuen Firma ein.
    3. Die "neuen Besitzer" gründen eine Genossenschaft.
    4. Die italienische Genossenschaftsbank akzeptiert den Businessplan.

    Seit zehn Jahren ist Rimaflow am Markt. Luca Federici war von Anfang an dabei. Der Erfolg des Unternehmens zeigt für ihn, dass Arbeit mehr ist als ein Gehalt am Monatsende:

    Ich glaube an eine Gesellschaft, die Arbeitsplätze schafft, die sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigt, wie zum Beispiel ein Gehalt, aber genauso auch den Bedürfnissen der Allgemeinheit entspricht.

    Luca Federici

    Die Arbeit der Zukunft müsse die Auswirkungen auf die Umwelt und auf die soziale Gerechtigkeit berücksichtigen und nach gesundheitsschonenden und demokratischen Grundsätzen organisiert werden.

    Schleswig-Holstein: Wohnprojekt nach Allmendeprinzipien

    Die Gemeinschaft stärken - darum geht es auch in den meisten Wohnprojekten, die in Deutschland immer beliebter werden. Nach einer Schätzung des Forums gemeinschaftlichen Wohnens gibt es derzeit etwa 5.000 davon in Deutschland. Im schleswig-holsteinischen Ahrensburg haben sich über 80 Gleichgesinnte zusammengefunden, um ihr eigenes kleines Dorf zu schaffen. Die 3,7 Hektar Fläche teilen sich etwa 180 Bewohnerinnen und Bewohner.
    Die Gemeinschaft hat sich klare Regeln und Strukturen für das Leben miteinander geschaffen, die sich jedoch in einem ständigen Wandel befinden. Einmal im Monat treffen sie sich, diskutieren und entscheiden über Anträge, die das Zusammenleben regeln sollen. Diese werden mit einer Dreiviertelmehrheit beschlossen. Oder es kommt durch ein Vetorecht zu einer erneuten Diskussions- und Abstimmungsrunde.

    Ja, das dauert manchmal länger und das ist auch manchmal anstrengend, aber der Gemeinschaft hilft es, alle mit ins Boot zu holen und jedem das Gefühl zu geben - ja, ich werde gehört und auch meine Stimme zählt.

    Mitbewohnerin Jule Lawall

    Die Organisationsform von Allmenden ist fast in Vergessenheit geraten, die damit verbundenen Ideen eines anderen gemeinschaftlichen Zusammenlebens aber nicht. Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit sind längst zur gesellschaftlichen Bewegung geworden und damit zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor. Die Neo-Ökologie, eine Wirtschaftsform, die Konsum und Umweltschutz vereint, ist nach Meinung des Zukunftsinstituts der Megatrend schlechthin.

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