Venezuela: Wie abgeschnittene Haare einen See säubern sollen

    Umweltaktion in Venezuela:Wie Haare einen See säubern sollen

    von Jakob Vahlensieck
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    Der Maracaibo-See ist stark mit Öl verschmutzt. Bedrohte Tierarten sind gefährdet, Tausenden Fischern droht der Ruin. Nun sollen Haare helfen, das Öl einzufangen.

    Freiwillige schneiden den Spendern die Haare während einer Haarspendeaktion der Umweltbewegung "Proyecto Sirena" an der Zentraluniversität von Venezuela (UCV) in Caracas am 06.10.2023.
    In Venezuela lassen sich Hunderte Freiwillige die Haare schneiden, um den See zu säubern. Manche kommen auch mit ihren Hunden - mit Tierhaaren klappt das auch.
    Quelle: AFP

    Der Maracaibo-See in Venezuela gehört zu den ältesten und größten Seen der Erde. Aber er gilt auch als einer der schmutzigsten - denn er birgt die reichhaltigsten Erdöl- und Erdgasvorräte seines Landes. Seit Jahrzehnten werden aus seinem Untergrund Millionen Tonnen gefördert. Doch viele der insgesamt 25.000 Kilometer Unterwasser-Pipelines sind mittlerweile marode. Und die Industrie schaut weg. Behörden taten die Entwicklung lange als "keine große Sache" ab.
    Für die 28-jährige Selene Estrach aber ist es eine große Sache: Ohnehin bedrohte Arten wie rosa Flussdelfine oder Seekühe sind durch die Ölverschmutzung massiv gefährdet. Auch Tausenden Fischern droht der Ruin. Die Umweltaktivistin Estrach will nun mit ihrer Organisation Projecto Sirena für einen sauberen See kämpfen.
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    Haare binden Öl, saugen es aber nicht auf

    Das Mittel der Wahl lässt aufhorchen: Haare. Kostengünstig, ökologisch, wiederverwertbar und trotzdem effektiv. Weil Haare Öl nicht absorbieren - also nicht aufsaugen -, sondern adsorbieren. Das bedeutet, dass Haare Öl zwar an ihrer mikroskopisch rauen Oberfläche binden können, sich aber nicht mit dem Öl verbinden. Da das Öl also nur an den Haaren "klebt", lässt es sich rückgewinnen und die Haare können mehrmals verwendet werden.
    Das weiß auch Emidio Gaudioso, Friseurmeister aus Bückeburg. Vor fast zwei Jahren gründete er mit seinem Partner Thomas Keitel die Organisation "Hair help the Oceans", die Haare sammelt, um sie maschinell in lange Schläuche zu packen, die dann als Öl einfangen können und als Barrieren verhindern, dass sich Ölteppiche weiter ausbreiten.

    Das Schönste ist, es ist ein Naturprodukt, und ganz ehrlich: Wir haben einen Rohstoff, der immer wieder nachwächst, wir haben hier keinen Ressourcenmangel, das ist unser größter Vorteil.

    Emidio Gaudioso, Friseurmeister aus Bückeburg

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    Viele Haarsalons unterstützen die Sammelaktion

    Heute unterstützen fast 2.000 sogenannte Partnersalons im deutschsprachigen Raum diese Initiative. Über ihre Website lässt sich herausfinden, welche Friseurläden ihre Haare spenden - und dafür sogar bezahlen. 21 Euro im Monat kostet die Salons die Mitgliedschaft.
    Dafür werden die Haarberge von der Post abgeholt und nach Bückeburg transportiert, dort von Fremdkörpern gereinigt und in bis zu 50 Meter lange Schläuche gestopft.

    Die Berufsfeuerwehr in Düsseldorf ist begeistert von dem Material, das wir haben. In der Regel braucht das jede Feuerwehr, jedes Technische Hilfswerk, jede Hafenmeisterei. Letztendlich sind wir noch bei der Zertifizierung.

    Emidio Gaudioso, Friseurmeister aus Bückeburg

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    Prinzip seit über 30 Jahren bekannt

    Auch wenn dieses Genehmigungsverfahren in Deutschland noch eine Weile dauern wird - die Grundidee dafür ist schon über 30 Jahre alt. Ein amerikanischer Friseur testete schon 1989 in seiner Garage, ob Haare Öl binden konnten.
    Mit erstaunlichem Ergebnis: Die Nasa bestätigte wissenschaftlich seine Beobachtungen, im Jahr 2000 wird das Verfahren in den USA patentiert und 2001 erstmalig erfolgreich bei einer Ölkatastrophe rund um die Galapagosinseln eingesetzt.

    Forschungsprojekt in Oldenburg
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    Plastikmüll schwimmt im Wasser.

    Haare und Öl können wiederverwendet werden

    Über 20 Jahre später würde Selene Estrach gern ähnliches erreichen. Seit Kurzem laufen Tests ihrer Version der Haar-Schläuche im Maracaibo-See. Zeitgleich forscht ein Team an einer Methode, das Öl aus den Haaren wiederzugewinnen und die Haare selbst zu recyceln.
    Bis zu achtmal soll das möglich sein, vermutet die deutsche Initiative "Hair help the Oceans". Ökonomischer als die üblichen Verfahren sind die Haare allemal - und gut fünfmal günstiger, schätzte die Nasa bereits Ende der Neunziger.

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