Zukunft der jungen Ukrainer: Ihre Gedanken und Träume

    Tagebuch-Gedanken:Wie junge Ukrainer in die Zukunft blicken

    von Anna Lishchynska und Ann-Kathrin Hegger
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    Junge Ukrainer suchen inmitten von Zerstörung, Unsicherheit und Verlusten eine eigene Identität. Was denken sie über ihre Zukunft? Vier von Ihnen erzählen.

    Junge Menschen gehen in Borodyanka in Kiew in der Nähe von zerstörten Wohngebäuden vorbei.
    Während einige Ukrainer gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, haben andere beschlossen, trotz der schwierigen Umstände im Land zu bleiben.
    Quelle: imago/Aziz Karimov

    Zhanna, Studentin (22), Mainz

    Ich lebe derzeit in Mainz, bin aber aus Borodjanka hierher gekommen. Ich bin in Borodjanka geboren und habe mein ganzes Leben dort gelebt. Für mein Studium bin ich nach Kiew gezogen. Am ersten Kriegstag bin ich nach Hause zu meiner Familie gefahren. Wir haben die Besatzung gemeinsam überstanden. Nachdem wir überlebt hatten, zogen wir in die Westukraine und wollten dort einen bestimmten Zeitraum leben. Aber als die Sirenen zu heulen begannen, merkten wir, dass es dort auch gefährlich war. Wir beschlossen, mit meiner Mutter und meinem Bruder ins Ausland zu ziehen.
    Ich fühle mich in der Ukraine nicht sicher. Es ist sehr schwierig einzuschlafen, wenn man weiß, dass man vielleicht nicht mehr aufwacht. Jetzt versuche ich, einen normalen Lebensrhythmus herzustellen.
    Ein Bild von Zhanna, die als Psychologie-Studentin in Mainz lebt.
    Zhanna lebt in Mainz, Rheinland-Pfalz. Hier kann sie ihr Psychologie-Studium beenden, obwohl sie nicht in der Ukraine ist. Ihr Fernstudium macht das möglich.
    Quelle: Privat

    Deutschland bin ich unendlich dankbar, weil ich viele Möglichkeiten und Unterstützung habe, die ich im Moment wirklich brauche. Ich habe mich für Deutschkurse angemeldet. Ich möchte an einer deutschen Universität studieren. Ich möchte mich weiterentwickeln, zum Wohle dieses Landes und der Ukraine.

    Trotzdem gebe ich die Ukraine nicht auf. Ich werde zurückkommen und als Psychologin in Kiew arbeiten. Viele unserer Soldaten befinden sich derzeit in Rehabilitationskliniken. Es werden qualifizierte Fachkräfte benötigt.

    Zhanna, Psychologie-Studentin, Mainz

    Egal, wie viele Psychologen es gibt, es wird einen Mangel geben, weil die Ukraine Schwierigkeiten und Probleme mit der psychischen Gesundheit hat."

    Oleksandr, Schüler (16), Ukraine

    Ich arbeite und lerne. Ich versuche, alles zu kombinieren. Weil ich ein guter Videograf bin, habe ich beschlossen, damit Geld zu verdienen. Früher habe ich kurze Videos nur für mich selbst gedreht oder bei Familienurlauben mit Freunden.

    Während des Krieges fing ich an, das professioneller zu machen. Vor dem Krieg planten wir, ein neues Projekt zu starten, bei dem wir und das Team prominente Persönlichkeiten zuerst aus unserer Region und später aus der ganzen Ukraine interviewen würden. Leider wurde alles durch den Krieg unterbrochen.

    Klar mache ich mir große Sorgen um meine Zukunft. Ich mache mir Gedanken über die Fragen: Wohin gehe ich nach der Schule? Wie sichere ich meine Zukunft? Nun geht es auch darum, sich zu behaupten und voranzukommen.

    Oleksandr, Schüler

    Ein Bild von Oleksandr mit einer Kamera in der Hand.
    Oleksandr lebt in Iwano-Frankiwsk, Ukraine. Der Schüler besucht die zehnte Klasse. Videos zu filmen, ist sein Hobby.
    Quelle: Privat

    Das ist keine einfache Zeit. Mich motivieren Menschen, die etwas erreicht haben und dieses Leben nicht umsonst gelebt haben.

    Nach dem Krieg werde ich zuerst unseren Sieg feiern. Ich werde an verschiedenen Wohltätigkeitsveranstaltungen teilnehmen, die helfen, Spenden für den Wiederaufbau von Städten und Infrastruktur im Staat zu sammeln. Außerdem möchte ich mich einer Friedensmission anschließen, die versucht, den Frieden im Land wiederherzustellen. Ich glaube, dass jeder von uns zur Wiederherstellung von Frieden und Ordnung in unserem Land beitragen kann."

    Norair, Student (21), Denver, USA

    Natürlich fällt mir das Studieren hier schwer, weil englisch nicht meine Muttersprache ist. Hier herrscht die coole Atmosphäre einer amerikanischen Universität: Alles ist wie in den Filmen. Aber amerikanische Filme zeigen nicht, wie viel man hier studieren muss.

    Es gibt hier viele ausländische Studenten und ich habe viele Freunde aus Österreich, aus Indien, aus China. Die Kommunikation mit ihnen liegt mir besonders am Herzen, weil ich Internationale Beziehungen studiere. Es ist sehr interessant, die Meinung und Perspektiven anderer Menschen aus anderen Ländern zu hören. Ich brauchte Zeit, um zu verstehen, dass Amerika vielleicht mein Land sein kann.

    Hättet ihr mich vor sechs Monaten gefragt, ob ich hierbleiben möchte, hätte ich vor Entsetzen geschrien: "Nein! Ich gehe zurück!" Jetzt gehe ich alles entspannter an, weil ich schon einige Freunde und Bekannte gefunden habe. Meinen Lebensrhythmus habe ich angepasst und viele bürokratische Hindernisse überwunden.
    Ein Bild von Norair vor der Universität.
    Norair studiert in den USA.
    Quelle: Privat

    Ich habe Angst, dass die Ukraine, die ich vor dem Krieg kannte, nicht mehr dieselbe sein wird. Dass ich in die Ukraine komme und dann bereits ein Tourist bin.

    Norair, Student

    Obwohl im Land Krieg herrscht, verändert sich dort doch Vieles, und zwar radikal. Ich stelle mir manchmal die Frage, was passiert, wenn es mir in der Ukraine nicht mehr gefällt und ich dann zurück nach Amerika will. Der Krieg hat die Menschen, ihre Mentalität und ihre Einstellung zu vielen Dingen dramatisch verändert. Aber ich verstehe auch, dass ich mit einer amerikanischen Ausbildung viel in mein Land bringen kann. Wer sollte die Ukraine wieder aufbauen, wenn nicht wir?
    Der Krieg aus den Augen junger Ukrainerinnen und Ukrainer von ihnen selbst erzählt: Ein sehr persönlicher Blick auf das erste Jahr einer neuen Kriegsgeneration mitten in Europa.
    Der Krieg durch die Augen junger Ukrainerinnen und Ukrainer – von ihnen selbst erzählt. Ein sehr persönlicher Blick auf das erste Jahr einer neuen Kriegsgeneration mitten in Europa.18.01.2023 | 29:35 min

    Elisabeth, Social Media Managerin (21), Ukraine

    Alles wurde buchstäblich an einem Abend entschieden. Ich wusste überhaupt nicht, was passieren würde. Ich fuhr einfach mit der Maschine. Ich verstand nicht einmal, wohin ich ging, warum ich ging, wo wir leben würden. Ich nahm nur meinen kleinen Koffer, der fast halb leer war. Zuerst ging ich mit meiner Familie nach Litauen, dann nach Polen. Dort besuchte ich Kurse und fing an, Polnisch zu lernen. Und dann machte es in meinem Kopf "klick" und ich wollte zurück in die Ukraine. Denn es sind keine russischen Soldaten in der Nähe von Odessa.

    Zuerst entschied ich mich, für mindestens einen Monat in die Ukraine zu gehen, aber dann blieb ich bis zum Ende hier. Ich habe meinen Verwandten gesagt, dass ich in der Ukraine bleiben möchte, und das war's. Anfangs war es natürlich ungewohnt, wegen des Fliegeralarms konnte ich nicht schlafen. Ich hatte Angst, aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Ich versuche, ein normales Leben zu führen, weil ich nicht mehr die Kraft habe, in ständiger Anspannung zu leben.
    Ein Bild von Elisabeth, die als Social Media Managerin in Odessa arbeitet.
    Elisabeth arbeitet in Odessa, Ukraine. Als der Krieg begann, flüchtete sie, kehrte dann aber doch in die Ukraine zurück.
    Quelle: Privat

    Der Krieg hat mich zum Besseren verändert. Ich bin offener für andere Menschen geworden, ich teile nicht nur meine Probleme, sondern auch die von anderen. Ich mache mir keine Sorgen um Kleinigkeiten, denn der Krieg hat gezeigt, was wirklich ernste Probleme sind.

    Elisabeth, Social Media Managerin

    Die Hoffnung, dass wir so schnell wie möglich gewinnen, gibt mir Energie und Kraft. Die Ukraine ist kein so rückständiges Land, wie Viele dachten. Jetzt braucht das Land stützendes und kompetentes Personal. Bald wird es viele Arbeitsplätze und anständige Gehälter geben. Ich habe vor, weiterhin in der Ukraine zu bleiben. Egal, was passiert.
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