50 Jahre ZDF-auslandsjournal: Berichte nah an den Menschen

    Trotz Diktaturen und Propaganda:Wie das aj Menschen weltweit eine Stimme gibt

    Stefanie Schoeneborn, Archivbild
    von Stefanie Schoeneborn
    |

    Wie berichtet man aus Diktaturen, in denen die freie Presse kein Zuhause hat? Das ZDF-auslandsjournal berichtet seit 50 Jahren aus aller Welt - trotz wachsender Herausforderungen.

    Politiker
    ZDF-Korrespondenten blicken auf fünf Jahrzehnte Weltgeschichte: Seit 50 Jahren immer aktuell im ZDF-auslandsjournal. 29.09.2023 | 8:33 min
    "Denk gut darüber nach, welches Dein Mutterland ist, wohin Du gehörst. Wem Du Dich verpflichtet fühlen musst", flüsterte der Mann vom chinesischen Geheimdienst in dunkelblauer Bomberjacke und mit breiten Schultern meinem Kollegen zu.
    Es war eine Drohung, leise gezischt, die meinen Kollegen so nervös machte, dass er diese angstgetriebene Anspannung nicht mehr verlieren wird.

    Einschüchterung, Gehirnwäsche und Zwangssterilisation

    Ich war Korrespondentin im Studio Peking, wir drehten in Xinjiang. Jene Provinz im Norden Chinas, die wegen ihrer sogenannten "Umerziehungslager" nicht mehr aus den Schlagzeilen kommt.
    Uiguren, Kasachen, muslimische Minderheiten, Andersdenkende, Kritiker der kommunistischen Partei: Sie alle bekommen eine Gehirnwäsche, ihre Kinder werden in Internate gebracht, die aus ihnen "gute Chinesen" und Anhänger der kommunistischen Partei machen werden. Frauen werden zwangssterilisiert, Kinder müssen abgetrieben werden.
    Soldaten mit Gewehren
    Kriege, Krisen und Konflikte: Weil die Welt keine friedliche ist, schauten ZDF-Reporter oft in Kasernen weltweit und förderten Erstaunliches zu Tage.28.09.2023 | 50:39 min
    Die demokratischen Länder sind empört. Ich spüre die ganze Wucht Chinas, die Diktatur hat eine hässliche Fratze, auch wenn sie sich gerade hier oftmals lächelnd präsentiert, mal flüsternd droht, mal ganz offen, laut, schubsend.

    Wenn der chinesische Staatsapparat die Kita der Kinder besucht

    Die Nachricht ist immer die eine: Wir haben die Macht, wir sind überall. Passt auf, was ihr sagt. "Ihr" meint vor allem unsere chinesischen Kolleg*innen.
    Aber auch für uns Korrespondent*innen gibt es Zeichen. Da wird die Leiterin des Kindergartens unserer damals knapp zweijährigen Kinder befragt. Der Geheimdienst fragt die Kindergärtnerin über uns aus, die Journalistinnen aus Deutschland, über das Lehrprogramm der Kita, ob auch wirklich alle Lizenzen stimmen. Eine Drohung. Wieder. Diesmal steht der chinesische Überwachungsapparat gefühlt in unserer Wohnung, mitten im Kinderzimmer.
    Frau
    Dauerthema seit Beginn der Zeitrechnung: Gleichberechtigung. Was hat sich wohl in der Lebensspanne des auslandsjournals diesbezüglich entwickelt? 28.09.2023 | 43:39 min
    Wie können wir berichten, ohne zu gefährden? Die Antwort ist: Wir können es nicht. Nicht in diesen Ländern. Wir tun, was möglich ist: Wenn wir drehen oder Interviews führen, versuchen wir, unsere Protagonisten zu schützen und uns an geheimen Orten zu treffen.

    Krisen, Kriege, Klimawandel: Berichterstatten wird schwieriger

    Wir zerlegen unsere Handys, legen sie in andere Räume, damit uns niemand tracken und abhören kann. Manchmal hilft es. Und manchmal nicht. Da kommt dann später die Nachricht, dass der Interviewpartner verschwunden ist, offiziell festgenommen wurde. Oder uns anfleht, alles zu löschen, da seine Familie bedroht wird.
    Seit 50 Jahren berichtet das auslandsjournal in Zeiten von Aufstieg und Bedrohungen, Kriegen, gesellschaftlicher Liberalisierung im Westen und Osten, Gleichstellung von Frauen und Minderheiten, Klimawandel und -katastrophen.
    Und jetzt scheinen wir mitten in einer teilweisen Gegenbewegung angekommen: mehr Konservatismus, Nationalismus, weniger Pluralismus und Vielfalt. Antiliberale Demokratien werden mehr. Darüber zu berichten wichtiger und schwieriger.

    Hohes Risiko für Interviewpartner und Protagonisten

    Das gilt genauso für Russland, Iran, Belarus - im Club der Diktatoren hat die freie Presse kein Zuhause. Die Selbstherrschaftssysteme wollen keine unabhängige Berichterstattung. Die Akkreditierungsvergabe ist mitunter so willkürlich wie das System autokratisch, aus dem unsere Kolleg*nnen berichten.
    Die Menschen, die wir getroffen haben, um ihre Geschichte zu erzählen, ob in China oder Kolleg*innen in Russland, hoffen, dass ihre Stimme doch irgendwie noch gehört wird.
    So wie die Künstlerin in Sankt Petersburg die sich noch traut zu sprechen, und noch während des Interviews weiß, dass man sie wieder verhören wird. Wenn alles gut geht, "nur" verhören, vielleicht gibt es eine Geldstrafe, vielleicht wird sie eingesperrt.

    Mehr Propaganda, Trolle und Desinformation

    Es ist gar nicht so einfach, die Stimmen nicht nur hörbar zu machen, sondern ihnen auch noch eine Reichweite zu verschaffen.
    Mann in Uniform
    Was haben Putin, ein indischer Guru und der Schah von Persien gemeinsam – sie üben Macht über andere aus. Unsere Reporter auf den Spuren der Herrscher. 28.09.2023 | 33:38 min
    Mit dem Krieg nimmt die Propaganda und Desinformation zu. Der Angriffskrieg auf die Ukraine spaltet Länder, Gesellschaften, Familien. Die Nachrichtenflut im Netz ist dicht, schnell, breit und mitunter mieft es.
    Da gibt es Trolle, die versuchen, weg vom eigentlichen Inhalt, einfach nur den Shit stürmen zu lassen. Dann gibt es die gezielten Falschmeldungen, Desinformationen, die versuchen, ein so lautes Grundrauschen zu erzeugen, dass keine Ruhe mehr da ist, auf das Eigentliche zu schauen, es zu hören, verstehen und zu durchdenken.
    Und dann scheint der Fanclub der Autokratien auch noch immer größer zu werden.

    Zunehmender Populismus und "neue Normalität"

    In dieser wunden Zeit, wo die Welt in Unordnung ist, haben die Putins dieser Welt gerade viel Raum, sich zu entfalten. Manch einer spricht bei der Ukraine auch von einem Entscheidungskrieg zwischen Demokratie und Autokratie. Dabei geht es auch um die Zukunft liberaler Gesellschaften.
    Flagge von China und USA
    China und USA sind auf Konfrontationskurs. Die zwei größten Wirtschaftsmächte ringen um die Vorherrschaft. Wachsende Spannungen schüren Ängste vor einem neuen Konflikt.01.02.2022 | 59:26 min
    China will genau solche Gesellschaften nicht haben. Unsere Dreharbeiten in Xinjiang waren 2018. Seitdem haben wir immer wieder über diese Region berichtet. Mittlerweile sind die meisten Familien auseinandergerissen. Wer konnte, ist nach Kasachstan und weiter weg geflohen.

    Trotz Drohungen weiter hinschauen

    China versucht, der Region ein neues Image zu verpassen. Manch einer folgt der Erzählung der kommunistischen Partei, spricht von einer neuen Normalität. Das ist gekonnte Desinformation, von einem gut organisierten Propagandaapparat vorbereitet.
    Manch einer fragt sich: Was stimmt denn jetzt? Unsere Kontakte sagen uns: Die Unterdrückung und die Menschenrechtsverletzung gehen weiter. Die Drohungen werden immer noch ausgesprochen, leise flüsternd mit teils lebensbedrohlichen Konsequenzen in China, in Russland, in Belarus, in Afghanistan.
    Wir werden weiter hinschauen. Vor allem auch die kleinen Geschichten hinter der großen Politik suchen, gemeinsam mit allen Auslandskorrespondent*innen.
    Stefanie Schoeneborn ist Leiterin der ZDF-Redaktion auslandsjournal.

    Mehr vom auslandsjournal