Frankreich will Recht auf Abtreibung in Verfassung aufnehmen

    Schwangerschaft in Frankreich:Freiheit auf Abbruch soll in Verfassung

    von Lennart Kinck
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    Die Nationalversammlung in Paris hat für einen Paragraphen gestimmt, der die Freiheit zum Schwangerschaftsabbruch garantieren soll. Nun muss noch der Senat grünes Licht geben.

    Abgeordnete versammeln sich in der Nationalversammlung, Dienstag, 30.01.2024 in Paris.
    Jede Frau hat die Freiheit abzutreiben. Die französische Nationalversammlung nimmt diesen Grundsatz jetzt in die Verfassung auf.
    Quelle: AP

    "Heute Abend haben die Nationalversammlung und die Regierung ihre Verabredung mit der Geschichte der Frauen nicht verpasst", freute sich Justizminister Éric Dupond-Moretti. Mit einer Mehrheit von 493 zu 30 Stimmen hatten die Abgeordneten kurz zuvor für einen Entwurf der Regierungsmehrheit votiert, der Abtreibungen verfassungsrechtlich absichern soll.

    "Loi Veil" könnte relativ schnell aufgehoben werden

    Gesetzlich erlaubt sind Abtreibungen in Frankreich seit 1975. Die damalige Gesundheitsministerin Simone Veil hatte hart dafür gekämpft. Allerdings handelt es sich bei dem nach ihr benannten Gesetz "Loi Veil" bis heute um ein einfaches Gesetz, das jeder Zeit aufgehoben werden könnte.
    Zwei Demonstranten, links Frau, rechts Mann, mit Plakaten "In Deutschland wird alle 5 Minuten ein Kind abgetrieben" "Ab wann haben Menschen Rechte?"
    Die Deutschen und der Paragraf 21806.06.2023 | 9:57 min
    Neu ist: Die Aufnahme in die Verfassung würde es künftigen Regierungen deutlich erschweren, die geltenden Abtreibungsregelungen abzuschaffen. Eine Antwort auf viele Rückschritte, die Frauen in anderen Ländern zuletzt hinnehmen mussten. In den USA kippte der Supreme Court 2022 das Urteil "Roe vs. Wade", das das Recht auf Abtreibung im ganzen Land garantiert hatte. Frankreich will einen anderen Weg gehen.

    Es geht um die Formulierung

    Konkret sieht der Entwurf eine liberté garantie, eine "garantierte Freiheit zum Schwangerschaftsabbruch" vor. Um die Verfassung entsprechend anzupassen, müssen sich Nationalversammlung und Senat auf dieselbe Formulierung einigen. Die Abstimmung im Senat ist für Ende Februar geplant.
    Es ist bereits der zweite Anlauf nach heftigen Diskussionen, ob von einem "Recht auf Abtreibung" oder der "Freiheit zur Abtreibung" die Rede sein soll. Nun hofft die Regierung mit dem Kompromiss "garantierte Freiheit" die Senatsmehrheit für die Verfassungsänderung zu gewinnen.

    Der Senat als Hürde

    Doch die Vorbehalte innerhalb des rechten Lagers sind groß. Der einflussreiche Senatspräsident Gérard Larcher kritisierte die geplante Aufnahme des Paragraphen in die Verfassung: "Ich denke, dass die Verfassung kein Katalog für soziale und gesellschaftliche Rechte ist", sagte er dem Nachrichtensender franceinfo.
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    Auch der republikanische Politiker stützt sich auf Simone Veil, die 1974 in einer Grundsatzrede betonte, dass die Abtreibung eine Ausnahme bleiben müsse, "das letzte Mittel in ausweglosen Situationen". Veil sprach sich darüber hinaus für ein Gleichgewicht zwischen der Möglichkeit abzutreiben und dem Recht eines Kindes auf Geburt aus. Dieses Gleichgewicht sehen die Républicains nun bedroht.

    Die gesellschaftliche Zustimmung ist groß

    Präsident Macron versprach bereits vergangenen Oktober: "Im Jahr 2024 wird die Freiheit der Frauen, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, unumkehrbar sein." Die große Mehrheit der französischen Bevölkerung unterstützt das Vorhaben: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP sind 81 Prozent der Französinnen und Franzosen dafür, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in der Verfassung zu verankern.
    Im Jahr 2022 wurden in Frankreich 234.300 Abtreibungen vorgenommen - die höchste Zahl seit 30 Jahren. Zulässig sind sie bis zur 14. Woche. Die Kosten werden von der Krankenkasse getragen.

    6.000 Menschen protestieren gegen Verfassungsrang

    "Ohne die Kontrolle der Frauen über ihren Körper kann es keine Gleichheit zwischen Frauen und Männern geben", sagte Floriane Volt von der Fondation des Femmes dem ZDF. Die Direktorin der Rechtsabteilung des Frauenverbandes sieht aufgrund der gesellschaftlichen Zustimmung genau "jetzt das Momentum, um dieses Grundrecht anzuerkennen".
    Doch es gibt auch Gegenstimmen: Anlässlich des Jahrestages der "Loi Veil" demonstrierten vorvergangenes Wochenende mehr als 6.000 Menschen in Paris gegen das Vorhaben. Ihre Forderung: "Ja zur Prävention, nein zur Aufnahme in die Verfassung".
    Sollte das Gesetzesvorhaben durch den Senat kommen, stimmt Anfang März der Kongress in Versailles ab. Dort braucht es eine Drei-Fünftel-Mehrheit, um der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs Verfassungsrang zu geben. Frankreich wäre damit das erste Land der EU und das einzige weltweit, das so weit geht.

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