Demografischer Wandel in Italien: Bevölkerung schrumpft
Demografie-Krise:Warum Italiens Bevölkerung schrumpft
von Julian Degler, Rom
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In Italien werden immer weniger Kinder geboren und die Alterung der Bevölkerung nimmt zu. Warum ringt das Land mit einem demografischen Ungleichgewicht?
Wie in vielen europäischen Ländern altert auch die italienische Gesellschaft. Familien sehen sich derweil vor finanziellen Herausforderungen.
Quelle: dapd
Perdasdefogu - so heißt eine Gemeinde auf Sardinien mit rund 1.700 Einwohnern. Das Besondere: Die Foghesi, wie die Einheimischen heißen, stehen im Guinness-Buch der Rekorde. Denn an keinem anderen Ort auf der Welt leben prozentual auf die Einwohnerzahl bezogen so viele Hundertjährige wie in Perdasdefogu.
Zurzeit sind das sieben Einwohner der Gemeinde, in der sogar ein Platz nach der Langlebigkeit benannt ist - die "Piazza Longevità". Doch was nach einem Erfolg klingt, ist bei genauer Betrachtung ein echtes Problem.
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Italien: So wenig Geburten wie noch nie
Italien mit seinen fast 59 Millionen Einwohnern befindet sich in einer demografischen Krise. Das Land hat im vergangenen Jahr erneut den eigenen Geburten-Negativrekord gebrochen, zum elften Mal in Folge - in einem Land, in dem die "famiglia" kulturell eigentlich eine wichtige Rolle spielt. Konkret kamen 2023 sechs Geburten auf 1.000 Einwohner, bei gleichzeitig elf Todesfällen. Es starben also fast doppelt so viele Menschen, als geboren wurden.
Zum Vergleich: In Deutschland waren es acht Neugeborene und zwölf Verstorbene je 1.000 Einwohner. Der Rückgang der Geburten, der sich in Italien besonders zeigt, ist jedoch ein Trend, der ganz Europa und auch Deutschland betrifft. Aber die Geburten sind nicht das einzige Problem.
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Italien ist das älteste EU-Land
Laut EU-Statistikbehörde Eurostat ist die Hälfte der italienischen Bevölkerung über 48,4 Jahre alt. Italien ist damit das älteste Land in der EU und eines der ältesten Länder weltweit. Noch älter sind die Menschen in Japan und Monaco. So hat auch die Zahl der mindestens Hundertjährigen 2023 mit über 22.500 Personen einen historischen Höchstwert in Italien erreicht. Mit 83,8 Jahren hat Italien nach Spanien zudem die zweitlängste Lebenserwartung bei Geburt in der EU. In Deutschland sind es 81,2 Jahre.
Die Folge: In Italien geht die Zahl an Menschen im erwerbsfähigen Alter, also potenzieller Arbeitskräfte, zurück. Der Anteil potenzieller Mütter nimmt ebenfalls ab. Das ist nicht nur ein Problem für die wirtschaftliche Zukunft des Landes, sondern führe zu einem demografischen Ungleichgewicht, wie Alessandro Rosina, Demografie-Professor an der Universität Cattolica in Mailand, erklärt.
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Das erste Kind kommt in Italien immer später
Wie viele Paare haben Sara Ciampini, Ärztin, und Alessandro Di Meo, Fotograf, aus Rom ihre Kinderplanung lange aufgeschoben. Vor zwei Jahren kam ihr Sohn Achilles zu Welt. Damals waren sie 39 und 42. Das mittlere Alter italienischer Frauen bei der Geburt des ersten Kindes beträgt 32,5 Jahre und steigt seit Jahren. Zum Vergleich: In Deutschland sind Frauen bei Erstgeburt im Schnitt 30,4 Jahre alt, wie Zahlen aus 2022 zeigen.
Wir waren "gezwungen" so spät eine Familie zu gründen, weil wir vorher keinen Vertrag hatten, keine Sicherheit.
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Alessandro Di Meo, Vater
Vom Staat fühlen sich Sara und Alessandro im Stich gelassen. "Bekomme Kinder und dann ist es deine Sache", sagt Alessandro. Es brauche bessere staatliche Beihilfe für junge Familien bereits beim ersten Kind. So greifen Steuererleichterungen und Anreize der Meloni-Regierung für Familien und berufstätige Mütter, wie beispielsweise der 2024 eingeführte “Bonus Mamme” (Mütter-Bonus) erst ab zwei Kindern. Zudem stoßen die Steuererhöhungen der Regierung auf Babynahrung und Windeln zu Jahresbeginn bei Sara und Alessandro auf Unverständnis.
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Kinderplanung wird immer schwieriger
Italien hat neben Spanien und Malta auch die niedrigste Fertilitätsrate in der EU. Eine italienische Frau brachte 2022 im Schnitt 1,24 Kinder zur Welt. In Deutschland waren es 1,46 Kinder. Das liegt aber nicht etwa an einem mangelnden Kinderwunsch der Italienerinnen und Italiener, sagt Demograf Alessandro Rosina:
Kennzeichnend für Italien ist vielmehr die Diskrepanz zwischen der Zahl der gewünschten Kinder und der Zahl der geborenen Kinder.
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Alessandro Rosina, Demograf, "Cattolica" Mailand
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Familienpolitik in Italien: Kinder erhöhen Armutsrisiko
Die Kinderplanung sei für junge Paare mit zunehmend größeren Schwierigkeiten verbunden, so Rosina. Es mangele an Betreuungsplätzen und flexiblen Arbeitszeiten, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschwere. Teilzeitstellen sind in Italien selten und auch der Vaterschaftsurlaub nach der Geburt beläuft sich auf gerade einmal zehn Tage.
Mit dem ersten, aber vor allem mit dem zweiten Kind, erhöhe sich das Armutsrisiko für Familien, so Rosina. Viele Paare können es sich nicht (mehr) leisten, Kinder zur Welt zu bringen.
Wir müssen den Menschen bewusst machen, dass die Familienpolitik und damit auch die Politik zur Förderung der Geburtenrate keine Randpolitik ist, sondern im Mittelpunkt der Wohlfahrts- und Entwicklungspolitik eines Landes steht.
Denn der italienische Wohlfahrtstaat verlässt sich auf die traditionelle Familie bei der Versorgung, Pflege und Betreuung von Familienmitgliedern, wie etwa Kindern oder Großeltern.
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von Johannes Lieber
Bevölkerungsschwund als Folge
Zurück in Rom bei Sara und Alessandro. Wegen langer Wartezeiten für staatliche Betreuungsplätze mussten sie ihren Sohn für 700 Euro pro Monat in einer privaten Einrichtung unterbringen. Eine finanzielle Last, die sie stemmen müssen.
Wir würden sehr gerne ein zweites Kind haben, aber es ist einfach nicht möglich.
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Sara Ciampini, Mutter
Ihr Wunsch nach einem Geschwisterchen für Sohn Achilles ist groß, doch die staatliche Unterstützung ist zu dürftig und die finanziellen Risiken, die mit einem zweiten Kind einhergehen, zu hoch. Denn schon jetzt kommen sie am Ende des Monats mit ihren Gehältern gerade so aus. Damit sind sie nicht allein. Bevölkerungsprognosen zeigen, wie ernst die Lage ist: Sollte sich der genannte Negativtrend fortschreiben, könnte Italien bis 2030 um fast eine Million Menschen schrumpfen.
Quelle: dpa
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