Crystal Meth: Drogen im Irak "gefährlicher als Terrorismus"

    Handel mit Crystal Meth:Drogen im Irak "gefährlicher als Terrorismus"

    Anna Feist
    von Anna Feist
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    Crystal Meth stürzt den Irak immer tiefer in die Drogenkrise. Während Drogenfahnder den Iran verantwortlich machen, sehen Dealer eine Mitschuld bei der eigenen Regierung.

    Kokain. Symbolbild
    Iraks Jugend fehlt die Perspektive. Nach Krieg und Wirtschaftskrisen entfliehen Jugendliche dem Alltag häufig mit Drogen. Das Geschäft mit der Sucht reicht weit in irakische Regierungskreise hinein. 06.09.2023 | 10:48 min
    Die Klimaanlage röhrt auf Hochtouren in dem viel zu heißen Container-Büro des Pressesprechers der Drogenfahndung Bagdad. Herausgeputzt in einem für den Ort etwas überkandidelten Anzug weiß der irakische Kommissar Belal Sobhy nichts Gutes zu berichten:

    Die Drogen sind heute gefährlicher als der Terrorismus und der IS. Denn den IS kann man sehen und bekämpfen aber die Drogen sind plötzlich da - völlig unsichtbar.

    Belal Sobhy, Drogenfahndung Bagdad

    Wenn er von Drogen spricht, dann meint er vor allem Crystal Meth, also Methamphetamin, das größtenteils über die iranisch-irakische Grenze das Land flutet. Die irakische Regierung hat den Kampf gegen Drogen in diesen Tagen zur obersten Priorität erklärt. Doch auch, wenn die Festnahmen steigen - 16.800 seien es vergangenes Jahr gewesen, erzählt Kommissar Sobhy uns mit einem gewissen Stolz - gewonnen habe man diesen Krieg noch längst nicht.
    Proteste im Irak
    Von der Terrorherrschaft des IS wurde der Irak befreit. Doch die Menschen leben noch immer in einem Staat, der noch keine dauerhafte Stabilität gefunden hat.25.07.2023 | 2:33 min

    40 Prozent der irakischen Bevölkerung konsumieren Drogen

    Ärzte schätzen, 40 Prozent der irakischen Bevölkerung konsumieren Drogen. Insbesondere die junge Generation, die 16- bis 30-Jährigen. "Ich war neugierig und wollte das einfach mal ausprobieren", erzählt uns ein junger Mann, der jahrelang Crystal konsumierte: "Wenn ich Druck spürte oder Probleme hatte, dann nahm ich Crystal. Damit konnte ich vergessen und mich entspannen".
    Erst der Krieg, nun Wirtschaftskrise und Inflation. Eine kurze Alltagsflucht durch Drogen. "Doch irgendwann war da keine Entspannung mehr, sondern nur noch Angst, Zweifel und Depression. Ich hatte Halluzinationen. Ich war misstrauisch gegenüber allem und jedem. Meine Probleme wurden immer größer." Im Irak gäbe es keine Zukunft, fügt sein Freund hinzu:

    Ich bezeichne das Leben im Irak als Leben in der Hölle.

    Iraker

    Besetzung der schwedischen Botschaft in Bagdad durch Muslime, nach der Ankündigung einer Koran-Verbrennung in Stockholm
    Nachdem in Stockholm eine weitere Koran-Verbrennung angekündigt wurde, besetzten Protestierende im Juli die schwedische Botschaft in Bagdad.20.07.2023 | 1:39 min

    Sucht für Frauen im Irak lebensgefährlich

    Dass die beiden Männer abhängig waren, wissen die wenigsten in ihrem Umfeld: Sucht ist in der irakischen Gesellschaft geächtet - Abhängigkeit ist eines der Tabuthemen im Irak. Und für abhängige Frauen ist es lebensgefährlich, erzählt uns die 25-jährige Esra. Ihr Mann wurde vor drei Tagen verhaftet, er ist ein Dealer. Weil die junge Frau nicht wusste, wie sie an neuen Stoff kommen soll, entscheidet sie sich zum Entzug.
    Wir treffen sie in einer staatlichen Entzugsklinik: "Es ist wirklich nicht erlaubt in unserer Gesellschaft, dass eine Frau Crystal nimmt. Es ist nicht erlaubt. Aber es ist sehr verbreitet."

    Mit Crystal Meth kam Gewalt in die Ehe

    Bis zu zwei Gramm Crystal pro Tage habe sie über fünf Jahre konsumiert. Doch das wolle sie nun hinter sich lassen, denn mit dem Crystal kam auch die Gewalt in ihre Ehe, erzählt Esra:  "Es gab viele, viele Male, wo mein ganzer Körper geschwollen war, weil er nach zwei, drei Tagen auf Drogen aggressiv wurde. In diesen Momenten wollte ich ihn verlassen, aber weil ich abhängig bin, konnte ich ja nicht zu meiner Familie zurück." Was passiert, wenn die Familie von ihrer Abhängigkeit wüsste, wollen wir von ihr wissen:

    Sie würden mich töten, weil einer Frau darf das nicht passieren. In unserer Kultur ist das schon für einen Mann schwierig aber für Frauen ... Sie würden mich köpfen.

    Esra, Crystal-Abhängige

    14 Tage dauert die Behandlung, danach, so sagt Esra, will sie neu anfangen. Ihre Chancen nicht rückfällig zu werden, lägen bei 75 Prozent, sagen die Ärzte.

    Iran wird für Drogenproblem verantwortlich gemacht

    Dass Esra einen Platz im Krankenhaus bekommen hat, ist nicht vielen vergönnt. Es gebe viel zu wenige Behandlungsmöglichkeiten, beklagen insbesondere die Ärzte im Süden des Landes in der Region Basra. Nirgends im Land, so erzählt man uns, sei mehr Crystal im Umlauf, gebe es mehr Abhängige als hier. Das örtliche Drogendezernat hat sich deshalb eine Doppelstrategie einfallen lassen: Kriminelle jagen auf der Seite, Jugendarbeit auf der anderen.
    Denn für Drogenfahnder Ali Shaya steckt eine klare Strategie hinter der Drogenflut von Seiten des Irans: "Die wollen die irakische Jugend um ihr Leben und ihren Erfolg bringen. Die wollen eine Generation schwächen, eine ganze Generation." Dazu komme der Alkohol-Bann, den die irakische Regierung im Frühjahr erlassen hat:

    Die Drogen verbreiten sich auch deswegen in diesem großen Ausmaß, weil Alkohol verboten wurde und die Jungs sehr einfach an die Drogen rankommen.

    Ali Shaya, Drogenfahnder

    Regierung des Irak involviert?

    Nach langen Vorgesprächen kommen wir schließlich in Kontakt mit einem Dealer. Wir wollen von ihm wissen, warum das Problem mit dem Crystal nicht in Griff zu kriegen sei. Er behauptet, die Regierung selber sei involviert im Drogenhandel:

    Die Regierung ist kaputt. Komplett kaputt, die meisten Drogendealer kommen doch aus der Regierung. Es sind hohe Offiziere.

    Crystal-Dealer

    Überprüfen können wir nicht, was er sagt. Fest steht: Crystal Meth, da sind sich Strafverfolgungsbehörden, Dealer, Ärzte und Abhängige einig, stürze das Land immer tiefer in die Krise.

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