Kurz vor Gericht: Es wird ernst für Österreichs Ex-Kanzler

    FAQ

    Prozess in Wien:Warum Ex-Kanzler Kurz vor Gericht steht

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert, Wien
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    Sebastian Kurz hat als Politiker eine kometenhafte Karriere hingelegt: Mit 37 Jahren ist er Österreichs jüngster Ex-Kanzler der Geschichte - und steht nun vor Gericht.

    Der Ex-Kabinettschef im Bundeskanzleramt, Bernhard Bonelli, und der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor Prozessbeginn, am Mittwoch, 18. Oktober 2023 am Wiener Landesgericht.
    Der Gerichtsprozess gegen Österreichs ehemaligen Kanzler Kurz hat begonnen. Ihm wird vorgeworfen, in einem Untersuchungsausschuss Falschaussagen gemacht zu haben.18.10.2023 | 0:15 min
    Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz muss sich ab diesem Mittwoch vor dem Landgericht Wien verantworten. Der 37-Jährige ist wegen des Verdachts der Falschaussage angeklagt.
    Worum es geht - ein Überblick:

    Wie kam es dazu?

    Das Ibiza-Video stand am Anfang dieses Verfahrens: Im Gespräch mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte zeigte sich der spätere Koalitionspartner von Kurz, Heinz-Christian Strache von der FPÖ, offen für Bestechlichkeit.
    Anlass für die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen einzuleiten und Beweismittel sicherzustellen. Aus diesen Beweismitteln, unter anderem Chats von Politiker- und Beamten-Handys, ergaben sich weitere Ermittlungen. Schließlich geriet auch Sebastian Kurz in Verdacht, Straftaten begangen zu haben. Es wurden die ÖVP-Zentrale und das Bundeskanzleramt durchsucht.

    Um welche Straftaten geht es?

    Sebastian Kurz hatte in dem sogenannten Ibiza-Untersuchungsausschuss Fragen zu seiner Einflussnahme auf Postenbesetzungen beantwortet. Die Staatsanwaltschaft meint, er habe dabei die Unwahrheit gesagt. Das ist strafbar.
    Konkret ging es um den Chefposten der ÖBAG, der Staatsholding für Unternehmensbeteiligungen der Republik Österreich. Ein ebenso mächtiger, wie gut dotierter Posten. Thomas Schmid, zuvor Generalsekretär im Finanzministerium, wurde am 27. März 2019 zum OBAG-Vorstandschef bestellt. Sebastian Kurz wurde dazu im U-Ausschuss am 24.6.2020 befragt. Ein Auszug:
    Jan Krainer (SPÖ): "Waren Sie an Gesprächen beteiligt, dass Herr Schmid da der Alleinvorstand werden soll?"
    Kurz: (…) "Ich habe immer gewusst, dass er ein potenzieller Kandidat ist, aber ich habe die Entscheidung nicht getroffen, sondern die Entscheidung hat der Aufsichtsrat getroffen."
    Krainer: "Waren Sie im Vorfeld eingebunden?"
    Kurz: "Eingebunden im Sinne von informiert, ja."
    Die Staatsanwaltschaft sieht einen Widerspruch zu diesem Chat zwischen Sebastian Kurz und Thomas Schmid vom 13. März 2019:
    Schmid: "bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate."
    Kurz: "Kriegst eh alles was du willst"
    Schmid: "Ich bin so glücklich :-))) … Ich liebe meinen Kanzler"
    Nach Meinung der Staatsanwaltschaft erweckt der Chatverlauf den Eindruck, Kurz habe bei der Bestellung mitgeredet und Einfluss ausgeübt. Einfluss auszuüben, wäre an sich nicht strafbar. Die Falschaussage darüber aber schon.

    Die objektive Unwahrheit einer Aussage reicht aber nicht für einen Schuldspruch, es braucht einen Vorsatz (zumindest einen bedingten Vorsatz), etwas Falsches zu sagen: Der kann fehlen, wenn man sich nicht mehr richtig erinnert, oder auch wenn man Fragen eine andere Bedeutung zumisst als es vom Fragesteller gemeint war. Nicht nötig ist, dass Kurz wissentlich die Unwahrheit gesagt hat.

    Klaus Schwaighofer, Professor für Strafrecht der Uni Innsbruck

    Sebastian Kurz.
    In seinen Aussagen bezeichnete Thomas Schmid, Ex-Spitzenbeamter im Wiener Finanzministerium, Sebastian Kurz als Auftraggeber für steuerfinanzierte und manipulierte Umfragen. 19.10.2022 | 2:00 min

    Ist es das einzige Verfahren gegen Kurz?

    Nein, es gibt ein weiteres Verfahren, die sogenannte "Inseratencausa" - da geht es um mutmaßlich bestellte positive Umfragen und Berichterstattung über Kurz. Es ist noch kein Termin dafür bekannt.
    Zu diesem Verfahren sagte Sebastian Kurz im Oktober 2021: "Es sind konstruierte Vorwürfe, mit derselben Systematik, es werden einige SMS-Fetzen aus dem Zusammenhang gerissen".
    Strafrechtlich wiegt die "Inseratenkorruption" schwerer, denn es geht um den Verdacht der Untreue, , Bestechlichkeit, Bestechung und Missbrauch der Amtsgewalt gegen insgesamt neun Beschuldigte und einen Verband.
    Zu Kurz' Anteil daran meint der Strafrechtler Schwaighofer: "Der Vorwurf der WKStA beruht auf Annahmen, weil die veröffentlichten Umfragen Kurz nützten. Aber objektive Beweise aus den Chats gibt es dafür, soweit sie mir bekannt sind, nicht."

    Wann fällt ein Urteil?

    Ein Urteil ist nicht bald zu erwarten, denn es geht neben Kurz um zwei weitere Beschuldigte und mehr als zwei Dutzend Zeugen. Politberater Thomas Hofer meint, allein das Verfahren wegen Falschaussage dauere wohl bis Dezember
    Ein Freispruch würde ein politisches Comeback von Sebastian Kurz befördern, meint Hofer: "Aber um da wirklich mit "weißer Weste" wieder auf die politische Bühne zurückzukehren, bräuchte es wirklich die Ausräumung aller juristischen Vorhalte. Und insofern würde ich meinen, dass ein solches vielleicht dann bei der übernächsten Wahl realistischer ist als dann schon kommendes Jahr."

    Was bedeutet ein Schuldspruch für Kurz und für Österreich?

    Bei einem Schuldspruch wird Kurz höchstwahrscheinlich in Berufung gehen. Denn immer wieder betont er seine Unschuld, zuletzt so in dem Dokumentarfilm "Kurz - der Film", dort sagte er: "Ich finde immer noch nicht die eine Nachricht, die problematisch gewesen wäre."
    Politberater Hofer meint, Kurz werde bis in die letzte Instanz für einen Freispruch kämpfen.

    Ein Schuldspruch wäre natürlich ein massiver Rückschlag, nicht nur für ihn [Sebsatian Kurz] persönlich, sondern auch für sein potenzielles politisches Comeback.

    Politberater Thomas Hofer

    Ein Schuldspruch würde auch für die Wahlen im Herbst 2024 eine Rolle spielen: "Natürlich wäre das auch Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen FPÖ", so Hofer, "denn die liegt ohnehin in den Umfragen schon vorne und könnte möglicherweise aufgrund einer möglichen Verurteilung dann noch einmal zulegen".
    Insofern entscheidet das Verfahren gegen Sebastian Kurz mittelbar auch darüber, wer ab nächsten Herbst in Österreich den Kanzler stellt.
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