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Analyse
Argentinischer Präsident:Was hat Mileis radikaler Sparkurs gebracht?
von Valerie Hayer
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Seit einem Jahr ist Javier Milei Präsident von Argentinien. Er versprach, das Land mit einer radikalen Austeritätspolitik aus der Krise zu führen. Hat das funktioniert? Eine Bilanz.
Reinaldo Urcola sitzt in einer Suppenküche in Buenos Aires und isst zu Mittag. Jeden Tag von Montag bis Freitag kommt der 78-jährige Rentner hierher, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Sein ganzes Arbeitsleben lang war er als Ingenieur tätig.
Trotzdem reicht seine Rente von 241.000 Pesos im Monat - umgerechnet 225 Euro - nicht einmal für das Nötigste, denn die Lebenshaltungskosten in Argentinien sind hoch, vergleichbar mit denen in Europa.
Wir werden bloßgestellt und gedemütigt. Denn was die Regierung uns wegnimmt, ist nicht nur das Finanzielle und Materielle. Sie nimmt uns unsere Würde.
Reinaldo Urcola
Die Lebenshaltungskosten steigen, die Renten aber nicht. Anfang September legte Präsident Javier Milei sein Veto gegen ein Gesetz ein, das die Renten entsprechend der Inflation nach oben angepasst hätte.
Seitdem protestieren Rentner wie Reinaldo Urcola immer wieder in den Straßen von Buenos Aires. Die Polizei geht dabei hart gegen die Protestierenden vor. Reinaldo habe das selbst schon oft mitbekommen, erzählt er.
Wieder positive Haushaltszahlen
In seinem ersten Amtsjahr kürzte Javier Milei nicht nur den argentinischen Sozialstaat massiv zusammen. Im Zuge seiner radikalen Sparpolitik setzte er an nahezu jeder staatlichen Ausgabe den Rotstift an, ließ etwa die Subventionen für Strom und rund ein Zehntel der öffentlichen Stellen streichen.
Das Ergebnis: Nach Jahren im Minus erzielt der argentinische Staat nun seit mehreren Monaten wieder positive Haushaltszahlen. Zeitgleich verzeichnet Argentinien im ersten Halbjahr die höchsten Artmutszahlen seit 20 Jahren. In der Regierungszeit Mileis bis Ende Juni ist die Armutsquote um 11 Prozent auf rund 53 Prozent gestiegen.
Der radikal liberale Kurs und seine Folgen
Adrián Barravecchia betreibt eine kleine Werkstatt in San Martín, einem Vorort von Buenos Aires. Er stellt Motorenteile aus Metall für die Industrie her. Der Unternehmer ist vorsichtig optimistisch, die Lage auf dem argentinischen Markt sei schon besser geworden, erzählt der Unternehmer, er habe Hoffnung, dass es auch weiterhin so bleibt.
Trotzdem macht er sich Sorgen, dass der radikal liberale Kurs von Milei auch negative Auswirkungen haben könnte.
Wir brauchen dringend eine Politik, die die Industrie fördert.
Adrián Barravecchia
"Ansonsten wird es uns schon bald nicht gut gehen, denn wir können nicht mit Produkten konkurrieren, die billig aus dem Ausland importiert werden", sagt Adrián Barravecchia.
Inflationsbekämpfung - Milei hat geliefert
Was die Inflationsbekämpfung angeht, hat Milei in seinem ersten Regierungsjahr geliefert. Die Inflationszahlen sinken seit April kontinuierlich, zuletzt lag der monatliche Wert sogar unter drei Prozent.
Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes scheint nach Plan zu laufen, mehr als die Hälfte der Argentinier stimmen ihrem Präsidenten und seiner Politik zu: Zuletzt lag Mileis Zustimmungswert bei gut 57 Prozent.
"Entscheidend ist die wirtschaftliche Leistung der Regierung. Ich glaube, dass die Gesellschaft in dieser ersten Zeit von Milei bereit ist, ihn zu unterstützen, wenn die Inflation zurückgeht, und später wird sie mehr von ihm verlangen", sagt Juan Negri, Politologe an der Universidad Di Tella.
Junge Menschen vertrauen Mileis Plänen
Gerade junge Menschen vertrauen auf die Pläne Mileis. So auch Bautista Mattio, der in Buenos Aires Betriebswirtschaft studiert. "In den letzten Jahren war es immer der Plan, das Studium hier zu beenden und danach ins Ausland zu gehen."
Ich fände es am besten, wenn ich nicht weggehen müsste, sondern in meinem Heimatland bleiben und hier meine Zukunft planen könnte.
Bautista Mattio, Student
Man müsse jetzt Geduld haben, sagt der 19-Jährige. Abwarten, bis Mileis Pläne aufgehen und nach der Inflation auch die Lebensqualität wieder besser werde, sei für ihn derzeit die einzige Option.
Quelle: dpa
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