Nelson Mandelas zehnter Todestag: Der lange Schatten

    Zehnter Todestag:Mandelas langer Schatten

    Porträt der ZDF-Studioleiterin Johannesburg Verena Garrett
    von Verena Garrett
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    Vor zehn Jahren starb Nelson Mandela. Sein Vermächtnis ist auch heute noch groß - aber das politische Vakuum, das er hinterlassen hat, beeinflusst das Leben der Südafrikaner.

    Archiv: Nelson Mandela
    Nelson Mandela war und ist eine Ikone. Doch zehn Jahre nach seinem Tod geht es Südafrika schlecht
    Quelle: reuters

    Er lebte und starb in Johannesburg. Nelson Mandelas Hauptwohnsitz war im Stadtteil Houghton. Hellgelbe Wände, eine schwarzes Tor, eine ruhige, sorgfältig begrünte Straße. Ein paar hundert Meter weiter: Johannesburgs Innenstadt, einst boomende Glitzermeile. Heute fließt stinkendes Abwasser durch die Straßen, tote Ratten liegen auf dem Bürgersteig, die Müllabfuhr kommt nicht nach, Kinder spielen im Dreck. Hier leben die, die von der Gesellschaft vergessen wurden.
    Dicht beieinander und doch weiter entfernt denn je - so sieht es aus, das Südafrika zehn Jahre nach dem Tod von Nelson Mandela.
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    Nelson Mandela stand für Hoffnung

    Er war der erste schwarze Präsident des Landes, Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts. Wie kein Anderer stand Nelson Mandela für Mut, Würde und Versöhnung in der Politik. Knapp 30 Jahre ist es her, dass er Südafrika von der rassistischen Unterdrückung durch das Apartheid-Regime befreite und in die Demokratie führte. Die Welt feierte mit ihm, voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
    Mandela hatte die Vision eines Rechtsstaats. Er wollte Chancengleichheit, Bildung für alle, Gesundheitsversorgung. Das nationale Interesse sollte über allem stehen. Doch von seinem Erbe ist nicht viel geblieben, sagt seine älteste Enkeltochter und Aktivistin Ndileka Mandela.

    Wir haben uns von seinen Grundsätzen entfernt. Der Geist von 'Ubuntu', also dass wir Dinge gemeinsam schaffen, ist nicht mehr vorhanden.

    Ndileka Mandela, Enkelin von Mandela

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    Nach Mandelas Rückzug begann der Abstieg

    Fünf Jahre lang war Mandela Präsident von Südafrika. Als er 1999 freiwillig ging, verlor das Land einen Verfechter der Stabilität. Er hinterließ nicht nur sein Vermächtnis, sondern ein politisches Vakuum: Thabo Mbeki wurde Vorsitzender der Partei Mandelas, des ANC (African National Congress) und der Abstieg von Partei und Land begann. Auf Mbeki folgte Jacob Zuma. Seine Amtszeit stand für Machtmissbrauch. Wegen Korruption, Geldwäsche und Betrug drohen ihm 25 Jahre Haft.
    2018 übernahm Cyril Ramaphosa die Präsidentschaft. Die Hoffnung, die viele Südafrikaner in ihn setzten, war gewaltig. Er sollte dem Land neuen Auftrieb verschaffen. Doch auch Ramaphosa konnte dem moralischen Verfall des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der Selbstbereicherung in der Partei kein Ende setzen.
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    In Südafrika herrscht extreme Ungerechtigkeit

    Der ANC regiert das Land seit 1994 mit absoluter Mehrheit. Die Partei hat Südafrika mit seinen 62 Millionen Einwohnern systematisch heruntergewirtschaftet, die Regierung ist von Korruption, Vetternwirtschaft und Inkompetenz zerfressen.
    Bildungs- und Gesundheitssystem bröckeln. Stromausfälle, Wasserknappheit, Wirtschaftskrise. Das Land ist geprägt von Gewalt und Massenarbeitslosigkeit. Das größte Problem ist nicht mehr Schwarz gegen Weiß, sondern wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Nach Angaben der Weltbank ist Südafrika das Land mit der weltweit größten Schere zwischen Arm und Reich.

    ANC wird weiter gewählt - wegen Mandela

    Bisher aber hat sich die Enttäuschung der Südafrikaner kaum im Wahlergebnis gezeigt. Immer wieder wird der ANC gewählt - was auch daran liegt, dass die Partei für die meisten Wähler eben die Partei von Mandela ist.

    Die Leute wählen nach sentimentalen Gesichtspunkten und nicht danach, was der ANC für sie getan hat. Sie stellen die Partei nicht in Frage. Wir können aber nicht weiterhin nach Gefühl wählen, denn das funktioniert nicht. Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die moralisch handeln.

    Ndileka Mandela, Enkelin von Mandela

    Führungspersönlichkeiten also, die die Visionen Mandelas teilen, die die Nation wieder an die erste Stelle rücken. Solche Politiker aber fehlen in Südafrika. Es gibt bislang zu wenig politischen Willen nach Reform und Innovation.

    Den Blick nach vorne richten

    Damit sich etwas ändert, muss sich Südafrika davon lösen, immer wieder ihren Großvater als Maßstab zu nehmen, sagt Ndileka Mandela:

    Wir sollten uns nicht mehr fragen 'Was würde Mandela sagen?'. Er ist tot, er spricht nicht mehr.

    Ndileka Mandela, Enkelin von Mandela

    Sie betont weiter: "In unserer Verfassung steht, dass Südafrika allen gehört, die dort leben. Es gehört nicht den Politikern. Und wir sind es, die die Politiker für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen müssen. Wenn sie die nicht ablegen können, müssen wir sie aus dem Amt wählen."

    Neue Lichtfigur nicht in Sicht

    Bei den Wahlen Mitte 2024 könnte sich im Land etwas ändern. Zwar dürfte der ANC voraussichtlich weiter regieren, müsste wahrscheinlich aber erstmals Koalitionen mit kleineren Parteien schließen, meinen Beobachter.
    Ein neuer Mandela, der dem Land Zuversicht, Integrität und Würde verleihen könnte, und der auch die, die in den letzten Jahren vergessen wurden, wieder wahr nimmt, ist allerdings nirgends in Sicht.
    Verena Garrett leitet das ZDF-Studio in Johannesburg

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