Schach-WM 1984: Als Kasparow auf Karpow traf

    Rebell gegen das System:Schach-WM 84: Als Kasparow auf Karpow traf

    |

    Bei der Schach-WM 1984 trafen am 10. September Garri Kasparow und Anatoli Karpow erstmals aufeinander. Ein sportlicher wie auch politischer Schlagabtausch. Die Hintergründe.

    Garri Kasparow (l) und Anatoli Karpow
    Garri Kasparow (l) spielte bei der WM 1984 erstmals als Herausforderer gegen Schachweltmeister Anatoli Karpow.
    Quelle: imago/Golovanov + Kivrin

    Es ist ein sonniger Tag, als am 10. September 1984 die beiden Anwärter auf die Weltmeisterschaft im Schach am Haus der Gewerkschaften in Moskau vorfahren: Anatoli Karpow, der seit zehn Jahren amtierende Titelträger, und sein erst 21 Jahre alter Herausforderer Garri Kasparow.
    Das Interesse an der WM ist groß. Schach ist eine Art Volkssport in der Sowjetunion und dient der politischen Führung auch als Beweis für die intellektuelle Überlegenheit des sozialistischen Systems.
    Schach-Profi Vincent Keymer
    Ein deutsches Schachtalent ist Vincent Keymer. Der 19-Jährige über das Spiel der Könige, seine Gedanken beim Ziehen und den Ausnahmekönner Magnus Carlsen.06.01.2024 | 17:31 min
    Groß war der Schock, als zwölf Jahre zuvor der US-Amerikaner Robert Fischer die Phalanx sowjetischer Siege durchbrach. Und umso größer die Wertschätzung für Karpow, der den Titel 1975 wieder zurück nach Moskau holte. Für den WM-Titel bekommt Karpow einen Orden von Staats- und Parteichef Leonid Breschnew.

    Wenn du die Krone errungen hast, halt sie fest!

    Leonid Breschnew, ehemaliger Staatschef der Sowjetunion

    Linientreuer Sowjetbürger

    Karpow verkörpert das Idealbild des Sowjetbürgers. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie im Ural, ist zurückhaltend, schüchtern und zu 100 Prozent linientreu. Auch am Brett kontrolliert er seine Emotionen.
    Kasparow ist das Gegenteil - am Brett beeindruckt er mit kraftvollen Angriffen, mit der er die Stellung seiner Gegner zerstört. Er gilt als Rebell, verkörpert mit seiner Haltung schon den Geist der ein Jahr später unter Parteichef Michail Gorbatschow einsetzenden Perestroika.
    Das Match beginnt schlecht für Kasparow. Schon bald liegt er mit 0:4 hinten. Also ändert er seine Taktik. Er spielt nun auf Remis, um Zeit zu gewinnen. Das Kalkül geht auf. Der Wettkampf zieht sich über Monate und plötzlich hat Kasparow sein erstes Spiel gewonnen. Dann siegt er zweimal nacheinander, bevor das Match völlig überraschend abgebrochen wird.
    Ming Sheng
    Einfach denken. Keiner redet, keiner stört, das liebt das Nachwuchsgenie Ming Sheng am Schach. Der Elfjährige aus Saarlouis ist nun auch im deutschen Schach-Nachwuchskader.24.04.2024 | 2:07 min

    Überraschender Abbruch

    Der Chef des Schachweltverbandes FIDE Florencio Campomanes begründet dies mit der Sorge um die Gesundheit der Spieler. Doch bis heute liegen die wahren Motive im Dunkeln.
    Beide Spieler fühlen sich benachteiligt. Es ist jedoch Kasparows Protest, der im Gedächtnis bleibt. Wutentbrannt springt er auf die Tribüne und spricht von einem Spektakel, das Karpow den Titel retten soll. Erstmals geht ein sowjetischer Schachspieler offen in einen Konflikt mit den mächtigen Funktionären des Verbands.

    Schach-WM April 2023
    :Erste Begegnung von "Nepo" und Ding

    König Carlsen hat abgedankt, die Schachwelt sucht einen neuen. Das Duell Nepomnjaschtschi gegen Ding ist eine Konstellation, die es noch nie in der Geschichte der Schach-WM gab.
    Großmeister Jan Nepomnjaschtschi beim WR Chess Masters in Düsseldorf am 24.02 2023
    Ein gefährlicher Affront - doch für Kasparow endet er siegreich. Der WM-Kampf wird 1985 neu angesetzt - und diesmal siegt Kasparow mit 13:11. Er ist neuer Weltmeister. Dreimal verteidigt er bis 1990 seinen Titel gegen den Dauerkonkurrenten, dann scheidet er im Streit aus der FIDE aus.
    Er revolutioniert das Schach, gründet einen eigenen Profiverband und spielt die ersten Matches gegen Schachcomputer. Erst im Jahr 2000 verliert er den Titel an den wesentlich jüngeren Wladimir Kramnik.
    Ein Mann mit spärlichen grauen Haaren, gekleidet in einen dunkelblauen Anzug, steht auf einer Treppe.
    Gibt es noch eine russische Opposition und wer könnte nach Nawalnys Tod ihr neues Gesicht werden? Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow im Gespräch.20.02.2024 | 4:40 min

    Harter Kritiker Putins

    Zu der Zeit interessiert sich Kasparow längst schon für die große Politik. In den 1990er Jahren unterstützt er Russlands Präsident Boris Jelzin, doch dessen Nachfolger Wladimir Putin kritisiert er scharf für die zunehmend autoritäre Politik.
    Kasparow engagiert sich bei der liberalen Opposition um Boris Nemzow und will 2008 bei der Präsidentenwahl antreten. Doch als Politiker ist er nicht annähernd so erfolgreich wie als Schachspieler. Bei Protesten wird er festgenommen. Ausgerechnet Karpow bringt ihm Essen in die Arrestzelle.
    Wladimir Putin und Fahnenträger
    Putins Umgang mit Oppositionellen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist das Leben in Russland repressiver geworden. Viele Gesetze verbieten Kritik am Krieg und am Kreml. 22.02.2024 | 2:23 min
    Schließlich flieht Kasparow aus Russland. Hart kritisiert er Putin und dessen Krieg gegen die Ukraine.

    Karpow sitzt weiter in der Staatsduma

    Und Karpow? Der inzwischen 73-Jährige ist weiterhin der Kandidat der Obrigkeit. Seit 2011 sitzt er in der kremltreuen Duma und trägt deren Gesetze mit. Leise Kriegskritik zu Beginn verstummt schnell nach einem ominösen häuslichen Unfall.
    Nach Putins Wiederwahl Anfang des Jahres gratuliert er artig auf seinem Telegramkanal. Die EU hat Karpow mit Sanktionen belegt, doch in Russland ist er weiter gut im Geschäft.

    Whatsapp Logo
    Quelle: Reuters

    Sie wollen über Sport stets auf dem Laufenden bleiben? Dann ist unser sportstudio-WhatsApp-Channel genau das Richtige für Sie. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten News direkt auf Ihr Smartphone. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: sportstudio-WhatsApp-Channel.

    Quelle: dpa

    Mehr zu Schach

    Mehr zu politischer Verfolgung in Russland