Bundesverwaltungsgericht: Das Gericht der Großprojekte

    Bundesverwaltungsgericht:Das Gericht der Großprojekte

    von Jan Henrich und Laura Kress
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    Rechte von Asylsuchenden, Corona-Regeln, Energiewende - die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts betreffen viele Lebensbereiche. Ein Einblick zum 70-jährigen Bestehen.

    Bundesverwaltungsgericht in Leipzig
    Sitz des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig.
    Quelle: ZDF

    Es ist einer der markantesten Justizpaläste Europas - das alte Reichsgerichtsgebäude in Leipzig. Nach aufwändiger Sanierung waren 2002 die obersten deutschen Verwaltungsrichter eingezogen. Inmitten historischer Atmosphäre überprüfen sie staatliches Handeln. Von der Baubehörde bis hin zu Geheimdiensten. Vor 70 Jahren hatte das Gericht ursprünglich in Berlin seine Arbeit aufgenommen und in seiner Geschichte eine ganze Reihe weitreichender Urteile gefällt.

    Grundsatzentscheidungen in vielen Lebensbereichen

    Die Entscheidungen betreffen viele Lebensbereiche: Durfte Bayern beispielsweise zu Beginn der Corona-Pandemie seinen Bürgern verbieten, das Haus zu verlassen? Ein klares Nein kam vom Bundesverwaltungsgericht. Die Ausgangssperren waren unverhältnismäßig.
    Oder die Frage, wer eigentlich für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen im Fußball zahlt: Die Vereine können prinzipiell an den Kosten beteiligt werden, entschieden die Richter in Leipzig.
    Als es um die Aufnahme von 300 Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria ging, urteilte das Gericht vor einigen Jahren: Der Bund durfte die Aufnahme ablehnen.
    Blick auf das markante Eingangsportal des Bundesverwaltungsgericht.
    In oft langen, komplizierten Verfahren regelt das Gericht Streitfragen, die hunderttausende Menschen betreffen können. Heute wird das BVerwG 70 Jahre alt.08.06.2023 | 1:37 min

    Streitthema Dieselfahrverbote

    Große Aufmerksamkeit bekam das Gericht im Streit um Dieselfahrverbote in deutschen Innenstädten. Die sind in Ausnahmefällen möglich, so das Urteil von 2018. Für den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Andreas Korbmacher, war es ein prägendes Verfahren. Gegenüber ZDFheute sagte er:

    Das war eine besondere Drucksituation. Und da hat aus meiner Sicht auch zum ersten Mal die Presse sehr stark personalisiert.

    Andreas Korbmacher, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts

    Man habe ihn damals abgestempelt als "Richter, der den Diesel verbieten will".

    Naturschutz trifft Großbauprojekte

    Aktuell beschäftigen das Gericht insbesondere Streitfragen rund um die Energiewende und große Infrastrukturprojekte: Windkraftanlagen, Stromtrassen oder auch Flüssiggas-Terminals. Wenn große Bauvorhaben und Naturschutzinteressen aufeinandertreffen, formiert sich bei Anwohnern und Umweltschutzverbänden oftmals juristischer Widerstand.
    Bau der Stromtrasse
    In einem idyllischen Ort in NRW geht eine Bürgerinitiative gegen den Bau einer neuen Stromtrasse vor. 01.12.2022 | 1:03 min
    Klagewütiger als sonst wo in Europa sei man hierzulande allerdings nicht, betont Korbmacher. Tatsächlich ist die Zahl der Streitigkeiten sogar rückläufig. 2018 verzeichnete das Bundesverwaltungsgericht noch 1.344 neue Fälle, 2022 lag die Zahl bei 980.

    Gerichtsverfahren sollen schneller werden

    Alle Aspekte rund um den Schutz bedrohter Tierarten, Lärmfragen oder Abstandsregelungen abzuwägen und gleichzeitig möglichst schnell zu entscheiden, stellt die Gerichte dennoch vor eine Herausforderung. Damit Großprojekte nicht jahrelang in Gerichtssälen festhängen, macht die Politik derzeit Druck.
    Im vergangenen Jahr hat der Bundestag mehrere Gesetze verabschiedet, um Verwaltungsverfahren abzukürzen. In mehr Fällen als bisher soll das Bundesverwaltungsgericht als erste und einzige Instanz zuständig sein. Kleinere Verfahrensfehler sollen künftig auch vom Gericht direkt behoben werden.
    Baden-Württemberg, Stuttgart: Akten liegen auf einem Tisch.
    Bisher kommen nur wenige ausländische Fachkräfte nach Deutschland. Der Grund: Besonders bürokratische Hürden erschweren die Einwanderung. 05.06.2023 | 1:31 min

    Bleibt der Rechtsschutz auf der Strecke?

    Gerichtspräsident Andreas Korbmacher ist allerdings skeptisch, was das Thema angeht. Viele der Verfahren würden mehrere Zehntausend Seiten Aktenmaterial umfassen. Das lasse sich kaum weiter beschleunigen.
    Zum 70. Jubiläum stellt sich bei den Verwaltungsrichtern in Leipzig deshalb vor allem eine Frage: Wie viel schneller können Gerichte arbeiten und wann bleibt Rechtsschutz auf der Strecke?
    Jan Henrich und Laura Kress sind Redakteur*innen in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF.

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