Türkei-Wahlkampf: Machtmensch Erdogan will es nochmal wissen

    Wahlkampf in der Türkei:Machtmensch Erdogan will es nochmal wissen

    von Jörg-Hendrik Brase
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    Der türkische Präsident will es nochmal wissen. Mitte Mai soll gewählt werden. Der Amtsinhaber zieht alle Register, um am Ruder zu bleiben - trotz schlechter Umfragewerte.

    Eine Frau zeigt ihrem Kind ein Bild des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul (Türkei), aufgenommen am 118.01.2023
    Erdogan setzt alles daran, wieder türkischer Präsident zu werden.
    Quelle: epa

    "Genug. Das Wort hat die Nation!" Mit den Worten seines politischen Vorbilds Adnan Menderes beendete vor wenigen Tagen der türkische Präsident Erdogan das Rätseln um den Wahltermin. Am 14. Mai will Erdogan das Volk wählen lassen, 73 Jahre nach dem Sieg des konservativ-religiösen Menderes im Kampf um das Amt des Ministerpräsidenten.
    Und so wie Menderes will auch Erdogan an diesem geschichtsträchtigen Tag als Sieger vom Platz gehen. In diesem so geschichtsträchtigen Jahr, in dem die moderne Türkei ihren 100. Geburtstag feiern wird. Der Machtmensch Erdogan setzt nun alles daran, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen und am Tag der Jubelfeier im November als Nachfolger von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk auf dem Thron zu sitzen.

    Erdogan und AKP stehen bei Umfragen schlecht da

    Die Zeichen, dass ihm das gelingen wird, standen bis vor kurzem nicht gut. Umfragen zeigten ihn und seinen Wahlpartner, der nationalistischen Partei MHP, gleichauf oder gar hinter der politischen Konkurrenz. Doch Erdogan und seine regierende "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP), ziehen alle Register, um das Ruder herumzureißen.
    Zum einen werden wirtschaftliche Geschenke verteilt, zum anderen politische Gegner ausgeschaltet. Und zuletzt wird außenpolitisch harte Kante gezeigt - was vor allem bei der eigenen Anhängerschaft gut ankommt.
    So blockiert Erdogan zunehmend aggressiver den Nato-Beitritt Schwedens, weil dort angeblich Terrororganisationen wie die kurdische PKK oder die Gülen-Bewegung unbehelligt wirken könnten.
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    Erdogans Forderung, über 130 Terrorverdächtige an die Türkei auszuliefern, kann und will die schwedische Regierung nicht so einfach umsetzen. Als ein Fanatiker kürzlich in Stockholm öffentlich einen Koran verbrannte, meinte Erdogan, "Schweden kann von uns keine Unterstützung erwarten."

    Wahlgeschenke, mehr Lohn, Rentenreform

    Doch punkten will er diesmal vor allem an der Heimatfront. Mit milliardenschweren Programmen versucht die türkische Regierung, das Haupthindernis für einen Wahlsieg aus dem Weg zu räumen: den Frust der Bevölkerung über steigende Preise und einen schwachen Kurs der türkischen Lira.
    So nutzt Erdogan seine Macht, um mit Steuergeld Wahlgeschenke zu verteilen. Um die Kaufkraft des Wahlvolkes zu erhöhen wurden die Mindestlöhne nahezu verdoppelt und eine Rentenreform verkündet. Kredite werden gestundet, Steuerschulden entweder erlassen oder auf Ratenzahlung umgestellt, Gaspreise gesenkt. Pünktlich zum Wahlkampf werden neue Gasvorkommen entdeckt und Verträge für Energielieferungen abgeschlossen.

    Politiker und Parteien sollen verboten werden

    Politische Konkurrenten versucht die Regierung mit Hilfe der Gerichte auszuschalten. So wird ein laufendes Parteiverbotsverfahren gegen die pro-kurdische Partei HDP vermutlich noch vor dem Wahltermin Mitte Mai vom Verfassungsgericht entschieden. Ein Verbot der HDP ist wahrscheinlich.
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    Den populären CHP-Politiker Ekrem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul und lange als hoffnungsvoller Gegenkandidat von Erdogan gehandelt, könnte eine Verurteilung wegen Beamtenbeleidigung und ein Politikverbot in den kommenden Wochen aus dem Rennen nehmen. 

    Opposition geschlossen, aber ohne aussichtsreichen Kandidat

    So hadert die Opposition nun, wen sie gegen den versierten Wahlkämpfer Erdogan ins Rennen schickt. Die CHP und fünf kleinere Oppositionsparteien hatten sich im vergangenen Jahr erstmals zu einem Sechserbündnis zusammengeschlossen, um Erdogan an der Wahlurne zu stürzen.
    Am Montag veröffentlichte die Gruppe ihr Wahlprogramm und will nun zeitnah entscheiden, wer der gemeinsame Präsidentschaftskandidat sein soll. Ambitionen hat der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu, der jedoch im Volk nicht besonders populär ist.
    So ist das Rennen zurzeit noch völlig offen. Doch auch die Medienmacht ist auf Erdogans Seite. Und er wird sie einzusetzen wissen. Denn Verlieren ist für den Machtmenschen Erdogan keine Option.
    Jörg Brase ist Studioleiter im ZDF-Studio Istanbul.

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