EU-Parlament will Zwangssterilisation verbieten

    Frauen mit Behinderung:Zwangssterilisation: EU-Parlament will Verbot

    von Torben Heine und Laura Kress
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    Frauen mit Behinderung dürfen in vielen EU-Staaten noch immer zwangssterilisiert werden. Das EU-Parlament drängt auf ein Verbot der Praxis. Jetzt sind Rat und Kommission gefragt.

    Eine Krankenpflegehelferin hält chirurgischen Instrumenten in der Hand vor eine Sterilisation im Operationssaal
    Sterilisation im Operationssaal (Archivfoto)
    Quelle: Imago

    Weniger als eine Stunde dauert der Eingriff, die Auswirkungen sind dauerhaft. Lassen sich Frauen sterilisieren, verlieren sie für den Rest ihres Lebens die Fähigkeit, Kinder auf die Welt zu bringen. Zahlreiche Frauen entscheiden sich zur Mitte ihres Lebens bewusst für diesen Schritt. Das Durchtrennen der Eileiter gilt als sehr sichere Verhütungsmethode.
    Was aber, wenn sich Frauen nicht freiwillig dazu entscheiden, ihre Gebärfähigkeit zu verlieren? Wenn andere über diese intime Frage bestimmen?
    Zwangssterilisation von Frauen
    Körperliche Selbstbestimmung? Längst nicht für alle. Frauen mit Behinderung dürfen in 13 EU-Mitgliedsstaaten noch immer gegen ihren Willen sterilisiert werden. Hier sprechen Betroffene.13.07.2023 | 2:09 min

    Istanbul-Konvention: Sterilisation nur mit Zustimmung

    Frauen, die eine körperliche oder geistige Behinderung und einen gesetzlichen Vormund haben, können unter gewissen Voraussetzungen auch in EU-Ländern zwangssterilisiert werden. Ob sie eigentlich Kinder haben wollen oder nicht, und ob sie sich der Folgen eines solchen Eingriffs bewusst sind, spielt dann oft keine Rolle.
    Derzeit gibt es mehr EU-Mitgliedsstaaten, die Zwangssterilisationen erlauben, als Länder, die sie unter Strafe stellen. Und das, obwohl die Mehrheit der Mitgliedsstaaten die Istanbul-Konvention, die eine Sterilisation nur mit Zustimmung der Frau erlaubt, unterzeichnet hat. Diesen Juni trat die EU sogar dem völkerrechtlichen Vertrag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bei.

    EU-Ausschuss kann nur Empfehlungen aussprechen

    Das Problem der Istanbul-Konvention: ihre Durchsetzungskraft. Über die Einhaltung der Regelungen wacht der "Grevio"-Expertenausschuss, der bei Verstößen lediglich Empfehlungen aussprechen kann.
    Bevormundung ist oft Alltag im Leben von Menschen mit Behinderung:
    Bei dem Erlass einer europäischen Richtlinie können die Konsequenzen schwerwiegender sein. Die Mitgliedsstaaten müssten die Richtlinie in nationales Recht umwandeln. Erfolgt die Umsetzung nicht ordnungsgemäß, kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das betreffende Land einleiten und gegebenenfalls ein Bußgeld verhängen.

    In der Europäischen Union erlauben derzeit noch 13 Länder die Zwangssterilisation unter bestimmten Voraussetzungen. Dazu gehören neben den deutschen Nachbarländern Dänemark und Tschechien auch Portugal, Malta, Kroatien, Finnland, Bulgarien, Zypern, Estland, Ungarn, Litauen, Lettland und die Slowakei.

    Die Praxis widerspricht klar der Istanbul-Konvention, die von zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten zwar unterschrieben, aber nicht überall konsequent in geltendes Recht umgesetzt wurde.

    Unklar, wie viele Frauen betroffen sind

    Wie viele Frauen in der EU von Zwangssterilisationen betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen. Kaum ein Land erfasst dazu eindeutige Statistiken. In Spanien wurden laut einem Bericht des Europäischen Behindertenforums (EDF) von 2006 bis 2016 über 1.000 Menschen mit Behinderung zwangssterilisiert. 2020 wurde die Praxis in Spanien verboten.

    Anforderungen für Sterilisation in Deutschland hoch

    In Deutschland sind die Hürden für den Eingriff hoch: Erst Anfang dieses Jahres nahm Deutschland eine Gesetzesänderung zur Sterilisation von "einwilligungsunfähigen" Erwachsenen vor. Von nun an kommt es nicht nur auf den "Willen", sondern auf den "natürlichen Willen" der Frau an.

    "Natürlicher Wille" bedeutet, dass die betroffene Frau irgendwie zu erkennen gibt, dass sie die Sterilisation nicht will. Eine irgendwie geartete Ablehnung oder Gegenwehr der betreuten Person schließt daher die Sterilisation aus, auch wenn sich diese allgemein gegen ärztliche Maßnahmen richtet.

    Und auch darüber hinaus gelten hohe Anforderungen: So ist für eine Sterilisation zum Beispiel eine Genehmigung durch ein Betreuungsgericht erforderlich und es muss die konkrete Möglichkeit einer Schwangerschaft bestehen. Tatsächlich erfolgt aber nur ein sehr geringer Anteil der Sterilisationen behinderter Frauen auf dieser rechtlichen Grundlage. Das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht daher trotz der Reform noch Nachbesserungsbedarf in Deutschland.

    Es gibt immer noch zu viele Missbrauchsmöglichkeiten und - nicht zu vergessen - einen großen emotionalen Druck auf die Frauen, um sie zur Einwilligung in die Sterilisation zu bewegen.

    Helene Middelhauve, Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt am Deutschen Institut für Menschenrechte

    Tatsächlich lassen sich acht Mal so viele Frauen mit Behinderung wie Frauen ohne Behinderung sterilisieren. Deswegen fordert Middelhauve, das Recht von Frauen mit Behinderungen zu stärken und selbstbestimmt über Familienplanung zu entscheiden, unter anderem durch barrierefreie Aufklärung und Bereitstellung von Unterstützungsangeboten. Es müsse sichergestellt werden, dass keine Sterilisation ohne freie und informierte Zustimmung erfolgt.

    EU-Parlament will einheitliches Verbot

    Das Europäische Parlament will jetzt eine einheitliche Regelung für alle Mitgliedsstaaten schaffen. In der vergangenen Woche hat sich der zuständige Ausschuss auf eine gemeinsame Position verständigt, das Plenum dürfte in der kommenden Woche zustimmen. Dann wird das EU-Parlament voraussichtlich fordern, neben anderen Formen sexualisierter Gewalt auch die Zwangssterilisierung zu kriminalisieren.
    "Wir fordern den Rat und die Kommission dringlichst auf, unsere Vorschläge anzunehmen und dieser spezifischen Gewalt ein Ende zu setzen", sagt die Europa-Abgeordnete Katrin Langensiepen (Grüne).

    Kommt das Verbot noch vor den Europawahlen 2024?

    Auch das Europäische Behindertenforum (EDF) drängt auf ein schnelles Verbot.

    Es handelt sich um eine Menschenrechtsverletzung, die im Verborgenen, hinter verschlossenen Türen, geschieht und die durch den Rechtsrahmen in mehreren Mitgliedstaaten noch ‚erleichtert‘ wird oder wurde.

    Marine Uldry, Europäisches Behindertenforum

    Ende kommender Woche steht die erste Verhandlungsrunde mit der Kommission und dem Rat auf dem Plan. Vom Rat heißt es: "Der Straftatbestand Zwangssterilisierung war nicht im Kommissions-Vorschlag enthalten und findet sich auch nicht in der Position der Mitgliedstaaten wieder."

    Von der Kommission heißt es derweil nur, man habe "den Standpunkt des Europäischen Parlaments zur Kenntnis genommen" und werde "zu gegebener Zeit" die nächsten Schritte mitteilen. Eine Sprecherin sagt: "Wir äußern uns grundsätzlich nicht während eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens."

    Das EDF hofft dennoch, dass ein Verbot noch vor den Europawahlen im nächsten Jahr kommt. Langensiepen bremst aufgrund der langwierigen gesetzgeberischen Prozesse allerdings die Erwartungen.

    Realistisch gesehen wird die Richtlinie erst in der nächsten Legislatur in Kraft treten.

    Katrin Langensiepen (Grüne), Abgeordnete im Europäischen Parlament

    "Wenn wir es allerdings schaffen, Zwangssterilisation als Straftat auszuführen, wird dieses Gesetz ein echter Durchbruch für den Schutz von Mädchen und Frauen mit und ohne Behinderungen", sagt Langensiepen.

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