Fehlgeburt: Neue Mutterschutzregel gefordert

    Neue Mutterschutzregel gefordert:Trotz Fehlgeburt am nächsten Tag zur Arbeit?

    von Winnie Heescher
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    Fehlgeburten sind ein Tabu-Thema. Mutterschutz erhalten betroffene Frauen erst ab der 24. Schwangerschaftswoche. Eine Initiative von Frauen will das ändern. Die Politik auch?

    Gräber für Sternenkinder
    Wenn ein Kind vor der Geburt stirbt: ein Grab für Sternenkinder
    Quelle: Imago

    Natascha Sagorski hat vier Minuten, um ihr Anliegen vorzutragen. Die digitale Anzeige, die in der Saalmitte des Bundestagsausschusses hängt, zählt die Zeit Sekunde um Sekunde herunter. Vier Minuten, um zu erklären, warum sie möchte, dass die Abgeordneten des Familien- und Gesundheitsausschusses sich stark machen für die Änderung eines Gesetzes.
    Vier Minuten, um eine persönliche Erfahrung zu erzählen, die sie hier stellvertretend für viele andere Frauen und Paare erzählt: Natascha Sagorski war 2019 schwanger. In der zehnten Schwangerschaftswoche sucht ihr Gynäkologe beim Ultraschall vergeblich nach einem Herzschlag ihres Embryos. Natascha Sagorski wird schnell für eine Ausschabung an eine Klinik verwiesen.
    Und dort passiert etwas, was sie seitdem antreibt, für das sie sich mittlerweile bis vor das Bundesverfassungsgericht und heute hierher nach Berlin vorgekämpft hat.

    Betroffene: "Die Ärztin sagte, Sie brauchen keine Krankschreibung"

    "Ich dachte immer, dass Frauen nach einer Fehlgeburt automatisch krankgeschrieben werden", sagt die PR-Managerin und studierte Politikwissenschaftlerin im Ausschuss. "Die Ärztin sagte mir, das brauchen Sie nicht, Sie können morgen wieder ins Büro gehen", so Sagorski. "Aber ich war dazu gar nicht in der Lage."

    Und so geht es vielen Frauen, die eine Fehlgeburt erleben. Wenn eine Frau nicht arbeiten kann, braucht sie Schutz vom Staat. Es sollte nicht Glück oder Pech sein, je nachdem, wie der Arzt drauf ist.

    Natascha Sagorski, Betroffene

    Fehlgeburt 23. Woche: Null Tage Mutterschutz

    Auf Mutterschutz hatte Natascha Sagorski keinen Anspruch. Denn der steht nach aktueller Rechtslage nur Frauen zu, deren still geborenes Kind 500 Gramm wiegt oder bei der Geburt wenigstens ein einziges Mal geatmet hat. Oder aber, wenn die 24. Schwangerschaftswoche erreicht ist. In diesen Fällen umfasst der Mutterschutz bis zu 18 Wochen.

    23. Woche - null Tage Mutterschutz; 24. Woche - 18 Wochen Mutterschutz. Das ist nicht nur unfair, sondern auch medizinisch sinnfrei.

    Natascha Sagorski, Betroffene

    Sie suchte Kontakt mit anderen Frauen, schrieb ein Buch, startete eine Online-Petition und sammelte mehr als 70.000 Unterschriften. Diese Aktion hat sie in dieses Fachgespräch des Bundestags gebracht.
    Hebammen sind wichtige Ansprechpartner für Schwangere - auch nach Fehlgeburten. Doch insbesondere in Großstädten mangelt es an Hebammen. Was das Studium nun ändert:
    Lia, Studentin der Hebammenwissenschaften, mit Babypuppe auf dem Arm
    Studentin Lia auf dem Weg zur Hebamme04.05.2023 | 5:33 min
    Die Ampel-Koalition hatte schon eine Änderung in den Koalitionsvertrag geschrieben: Mutterschutz nicht ab der 24., sondern ab der 20. Schwangerschaftswoche. Aber dann bleiben aus Sagorskis Sicht wieder Tausende von Frauen zurück, die ihr Kind vor der 20. Woche still gebären. Deshalb kämpft sie für einen gestaffelten Mutterschutz, den eine Expertenkommission erarbeiten soll.

    Expertenkommission findet positives Echo

    Im Ausschuss stößt sie fraktionsübergreifend auf offene Ohren. Die Abgeordneten stellen Fragen, wer in einer solchen Expertenkommission mitarbeiten sollte, wie die Nachsorge bei Fehlgeburten besser gestaltet werden, wie die Öffentlichkeit mehr sensibilisiert werden könnte. Auch Mitstreiterinnen von Sagorski und Sachverständige aus Medizin, Recht und von ehrenamtlichen Initiativen kommen zu Wort.
    Es wird klar, was neben einem größeren Schutz durch den Staat für Mütter auch noch fehlt: mehr Öffentlichkeit, mehr Information. In Arztpraxen gebe es Faltblätter von Wechseljahren bis hin zum Einfrieren von Eizellen, aber keine Broschüre über Fehlgeburten, erzählt eine Medizinerin.
    Steinherz mit der Aufschrift: Mama & Papa.
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    Ob Fehlgeburt, Totgeburt oder Abort wirklich die richtigen Begriffe sind, auch das klingt an. Viele im Ausschuss sprechen von kleiner Geburt, von Sternenkindern. Auch über die Beerdigungsmöglichkeiten für Kinder, die vor, bei oder kurz nach der Geburt sterben, werde zu wenig informiert.

    AfD versucht Debatte umzulenken - ohne Erfolg

    Es wird zwischendurch sehr still und nachdenklich in dieser Ausschusssitzung und auch mal laut, denn die AfD versucht, die Sitzung zu kapern und zu einer Abtreibungsdebatte zu machen. Darauf lässt sich der Ausschuss nicht ein. Auch Natascha Sagorski nicht. "Wir können nicht Frauen gegen Frauen ausspielen."
    Sie findet ohnehin, dass die Politik das schaffen sollte, was Frauen untereinander tun.

    Mütter, die Fehlgeburten erleiden, erkennen sich untereinander als solche an, gleich, ob sie früh oder spät ihr Kind verloren haben.

    Natascha Sagorski, Betroffene

    Das sagt eigentlich auch das Gesetz: "Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat." Paragraf 1591 Bürgerliches Gesetzbuch. Aber beim Mutterschutz von Sternenkind-Müttern macht das Gesetz noch Unterschiede.

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