Rentenreform verabschiedet: Stärkt Macrons Schwäche Le Pen?

    Rentenreform verabschiedet:Stärkt Macrons Schwäche Le Pen?

    von Luis Jachmann
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    Frankreichs Regierung hat die Misstrauensanträge der Opposition überstanden. Für Präsident Macron stehen trotzdem schwere Zeiten bevor. Profitiert seine ewige Rivalin davon?

    Im Gegenwind wegen der Rentenreform: Emmanuel Macron
    Im Gegenwind wegen der Rentenreform: Emmanuel Macron
    Quelle: dpa

    Am Ende einer aufgeheizten Debatte in der Nationalversammlung konnte einer tief durchatmen, der selbst gar nicht zugegen war: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Seine Premierministerin Elisabeth Borne hat zwei Misstrauensanträge der Opposition überstanden. Denkbar knapp: Neun Stimmen haben zum Sturz der Regierung gefehlt. Damit ist Macrons umstrittene Rentenreform verabschiedet.

    Landesweite Proteste, Hunderte Festnahmen

    Zuletzt hatte sich der Protest vielerorts radikalisiert. In vielen Großstädten haben sich Tausende zu unangemeldeten Versammlungen getroffen, Mülltonen angezündet, Autobahnstraßen blockiert. Innerhalb weniger Tage wurden weit über 500 Menschen festgenommen - ein Vielfaches gegenüber den Protestwochen zuvor.
    Auch nach der Abstimmung rief Marine Le Pen vom extrem rechten Rassemblement National zu Protesten auf:

    Wir haben das Recht zu demonstrieren, nicht aber in Form von Blockaden. Dass es so ausartet, ist die Regierung schuld.

    Marine Le Pen, Rassemblement National

    Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum zündeten Randalierer Mülltonnen in Paris an.

    Gewerkschaften in Frankreich rufen zu Protesten auf

    Nicht zu den heftigen Ausschreitungen aber zu Blockaden hatten die Gewerkschaften aufgerufen. Eine Reaktion auf den Sonderparagrafen 49.3, den Premierministerin Borne angewendet hat, um die Rentenreform ohne Abstimmung im Parlament durchzudrücken. Bereits elf Mal hat Macrons Regierung den Kniff in der aktuellen Amtszeit genutzt.

    Er wird "Dicke Bertha" genannt, in Anspielung auf ein deutsches Geschütz des Ersten Weltkriegs: Mit dem Artikel 49.3 der französischen Verfassung kann die Regierung ein Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung durchsetzen. Der Gebrauch des Artikels ist jedoch stark eingeschränkt. Zudem riskiert die Regierung damit ein oder mehrere Misstrauensvoten und damit letztlich auch ihr eigenes Überleben.

    Um ihn geltend zu machen, muss zunächst der Ministerrat grünes Licht geben. Die Premierministerin oder der Premierminister kündigt anschließend in der Nationalversammlung an, mit seiner Regierung die Verantwortung für das betreffende Gesetz zu übernehmen. Das bedeutet, dass die Opposition 24 Stunden Zeit hat, um einen oder mehrere Misstrauensanträge zu stellen.

    Sollte die Regierung diese Anträge überstehen, ist das Gesetz damit verabschiedet. Wenn sie ihn nicht übersteht, läuft es auf Neuwahlen hinaus.

    Quelle: AFP

    Für die Opposition ein rotes Tuch: "Die Menschen stehen nicht hinter dieser Regierung, die die Demokratie missachtet", skandierte Charles de Courson im Parlament, Initiator eines Misstrauensantrags. Premierministerin Borne konterte: "Der Paragraf verhindert die Ohnmacht des Parlaments."

    Bildet Macron die Regierung um?

    Die Mehrheit der Französinnen und Franzosen ist gegen eine Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64. Dass die unpopuläre Reform per Dekret verabschiedet wurde, hat den Eindruck vieler verstärkt, die Regierung setze sich über den Willen der Mehrheit der Bevölkerung hinweg. Jüngste Umfragen legen das nahe.
    In dieser Gemengelage wird Präsident Macron jetzt wieder verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen müssen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er einen Befreiungsschlag wagt und seine Regierung umbildet. Abgeordnete seiner Fraktion sollen schon vor der Abstimmung hinter vorgehaltener Hand über ein Aus der angezählten Regierungschefin Borne diskutiert haben.

    Der Präsident in der Zwickmühle

    Die zurückliegenden Tage haben Macron den Spiegel vor Augen gehalten: Auf die Konservativen ist nur bedingt Verlass. Erst scheiterte eine Allianz, sodass der Sonderparagraf notwendig wurde, dann verhinderten konservative Abgeordnete den Umsturz der Regierung. Eine Blaupause für die Zukunft: Frankreichs Präsident wird bei geplanten Projekten erhebliche Eingeständnisse machen müssen, um Mehrheiten zu organisieren. Etwa beim neuen Migrationsgesetz.
    Marine Le Pen am 24.04.2022
    Könnte am Ende Macrons ewige Rivalin, Marine Le Pen, von seiner Schwäche profitieren?
    Quelle: AP

    Politikwissenschaftler Benjamin Morel sieht Macron geschwächt:

    In Frankreich kann sich der Präsident auf eine große Machtbasis berufen, wenn er eine Mehrheit hinter sich hat. Aber diese Mehrheit scheint Macron nicht zu haben. Die Mehrheit ist gespalten.

    Benjamin Morel, Politikwissenschaftler

    Le Pen zieht wegen Rentenreform vor Gericht

    Von seiner Schwäche könnte ausgerechnet eine ewige Rivalin profitieren: Marine Le Pen. Sie hat sich während der hitzigen Debatten im Parlament betont zurückgehalten, profilierte sich und gab sich gleichzeitig staatstragend: "Wir respektieren anders als die Regierung unsere Institutionen", so Le Pen.
    Der Streit um die Rentenreform ist noch nicht beendet. Le Pen und auch das Linksaußen-Lager ziehen vor das Verfassungsgericht und erwägen auch ein Referendum über die Reform. Die Gewerkschaften planen für Donnerstag den nächsten großen Protesttag. Zumindest der Sonderparagraf 49.3 dürfte alsbald aus den Schlagzeilen verschwinden: Macron kann den vorerst nicht mehr verwenden.
    Luis Jachmann arbeitet im ZDF-Studio Paris
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