Wählen die Griechen "Stabilität" oder "Wende"?

    Parlamentswahlen am Sonntag:Wählen Griechen "Stabilität" oder "Wende"?

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    Die konservative Regierung hat Griechenland wirtschaftlich aufgepäppelt - das spüren aber noch nicht alle. Der Ausgang der Wahlen am Sonntag ist alles andere als vorhersehbar.

    Kyriakos Mitsotakis, Präsident von Griechenland
    Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis liegt mit seiner konservativen Partei in den Umfragen zwar vorn, dennoch wird keine klare Mehrheit erwartet.
    Quelle: epa

    Kaum zu glauben, aber wahr: Nach zehn Jahren schwerer Finanzkrise, Fast-Pleite und drohendem Euro-Austritt sowie drei Jahren Corona-Pandemie ist Griechenlands Wirtschaft 2022 fast doppelt so stark gewachsen wie der europäische Durchschnitt.
    Das Wirtschaftsmagazin "Economist" bejubelt eine "europäische Erfolgsstory", die "Financial Times" schreibt gar vom "Wachstums-Tiger Europas".

    Regierung laut Umfragen vor linker Oppositionspartei

    Auf das Erreichte können Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und seine Partei Nea Dimokratia (ND), mit der er das Land seit vier Jahren alleine regiert, durchaus stolz sein.
    Doch obwohl die ND laut Umfragen mit rund 33 Prozent gut sieben Prozentpunkte vor der linken Oppositionspartei Syriza liegt, ist eine zweite Amtszeit nach den Parlamentswahlen an diesem Sonntag längst nicht gesichert.
    Parlamentswahl in Griechenland
    Am 21. Mai wählen die Griechinnen und Griechen ein neues Parlament. Vor allem die Jungen im Land sind frustriert und prangern Strukturmängel in der Verwaltung, Korruption und Politfilz an.17.05.2023 | 2:12 min
    Innerhalb der EU gehört Griechenland noch immer zu den Ländern, wo das Risiko für die Menschen am höchsten ist, in Armut abzurutschen. Stärker von Armut bedroht sind nur die Menschen in Bulgarien und Rumänien. Das zeigt: Die Maßnahmen der Regierung kommen bei den Griechen noch nicht an - obwohl sie beachtlich sind.

    Arbeitslosigkeit unter Mitsotakis stark gesunken

    Unter Mitsotakis sank die Arbeitslosigkeit von 18,9 Prozent auf aktuell 10,9 Prozent. Renten und Mindestlohn wurden erhöht, die Unternehmenssteuer von 29 auf 22 Prozent gesenkt und trotzdem der gewaltige Schuldenberg des Landes weiter gemindert.
    Zudem investierte die Regierung in die Digitalisierung des Landes und der Behörden - den Führerschein und den Personalausweis können die Griechen mittlerweile auf dem Handy dabei haben, online ihr Auto ummelden.
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    In der Folge haben Unternehmen wie Microsoft, Google und Pfizer Griechenland als Standort entdeckt. Internationale Ratingagenturen stehen kurz davor, das Land wieder als "investitionswürdig" einzustufen - allerdings nur, wenn es so weiterläuft wie bisher.

    Tsipras fordert "Vertrag für die Wende" und verspricht höhere Löhne

    Ein Weiter so aber kommt für die Opposition nicht in Frage. Die die linke Syriza unter Parteichef und Ex-Ministerpräsident Alexis Tsipras fordert einen "Vertrag für die Wende" und "Gerechtigkeit überall". Syriza selbst liegt laut Umfragen derzeit bei rund 25 Prozent.
    Mitsotakis sei ein Technokrat, ja, Autokrat, dem das Wohl der Menschen gleichgültig sei, kritisiert Tsipras und kündigt an, den Mindestlohn noch stärker erhöhen zu wollen und die Löhne im öffentlichen Dienst sofort um zehn Prozent zu steigern.
    Wie Tsipras das bezahlen wolle, hält Mitsotakis dagegen und wird nicht müde, die Menschen auf "Stabilität und Kontinuität" einzuschwören. Er will weitere vier Jahre alleine regieren, um den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen. Es sei klar, dass die Bürger das nicht sofort im Geldbeutel spüren würden. Er verwies auch auf die weltweite Teuerungswelle seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs.
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    Abhörskandal und Zugunglück hängen Mitsotakis nach

    Viele Wähler erkennen das an, in anderen Punkten gibt es aber auch massive Kritik. So hängt Mitsotakis weiter der Abhörskandal im vergangenen Jahr nach, als aufflog, dass der griechische Nachrichtendienst die Handys etlicher Politiker und Journalisten abhörte. Sein Neffe war als Stabschef der Regierung für den Nachrichtendienst verantwortlich.
    Auch das katastrophale Zugunglück mit 57 Toten im Februar in der mittelgriechischen Gemeinde Tempi wirkt nach, weil es die schweren Versäumnisse des Staates bei der Bahn und den desolaten Zustand des Schienennetzes offenlegte.
    Dozens killed in train collision in Larissa
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    Neues Wahlgesetz kommt erstmals zum Tragen

    Gefährdet ist ein neuer Regierungsauftrag an die Konservativen jedoch vor allem wegen einer Änderung im Wahlgesetz aus dem Jahr 2018, die jetzt erstmals zum Tragen kommt. Früher wurden der stärksten Partei nach der Wahl automatisch 50 Sitze im 300-köpfigen Parlament zugeschlagen, nun gilt eine Verhältniswahl. Eine klare Mehrheit für die Regierungspartei ist nicht zu erwarten. Doch Griechenland hat in den vergangenen Jahrzehnten kaum und wenn dann schlechte Erfahrungen mit Koalitionen gemacht.
    Als wahrscheinlichstes Szenario nach der Wahl gilt daher ein zweiter Urnengang im Juli und als schlimmstes ein dritter im September, sollte zweimal keine Regierung zustandekommen. Dann aber läuft das Land Gefahr, das hart erkämpfte Vertrauen der internationalen Politik- und Wirtschaftswelt wieder zu verspielen.
    Quelle: Alexia Angelopoulou und Takis Tsafos, dpa

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