Wirecard: Marsalek koordinierte Spionageaktionen

    Agententhriller Wirecard :Jan Marsalek koordinierte Spionageaktionen

    von Christian Rohde
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    Der Ex-Wirecard-Vorstand lieferte sensible IT-Technik an den russischen Geheimdienst, darunter Laptops mit Kryptotechnik. Das belegen Recherchen von ZDF, "Spiegel" und "Standard".

    Spionageaffäre in Österreich
    Ein österreichischer Verfassungsschützer soll für Russland spioniert haben. Sein Auftraggeber war wohl kein geringerer als der Ex-Wirecard Manager Jan Marsalek.10.04.2024 | 4:17 min
    Hinter den Mauern des Londoner Hochsicherheitsgefängnisses Belmarsh sitzt seit gut einem Jahr der Kopf einer mutmaßlichen Spionagebande in Untersuchungshaft. Britische Ermittler sind überzeugt, dass Orlin Roussev und weitere vier bulgarische Staatsbürger für Russland spioniert haben.
    Roussev hatte beste Kontakte zum wohl meistgesuchten Mann Europas: dem flüchtigen Ex-Wirecard Manager Jan Marsalek. Die Ermittler haben Tausende Chatdateien zwischen Marsalek und Roussev ausgewertet. ZDF frontal, "Spiegel" und "Standard" konnten sie einsehen. Die Chats belegen detailreich, wie Marsalek für den russischen Geheimdienst agierte.
    Collage aus Fotos - auch Fahndungsfotos - von Jan Marsalek
    Der nach Russland geflohene Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek tarnte sich als Priester - und arbeitete wohl jahrelang für die russischen Geheimdienste.05.03.2024 | 10:34 min

    Marsaleks Netzwerk hat Verbündete in Wien

    Am 15. November 2022 startet eine von mehreren Spionageaktionen, die auch deutsche Sicherheitsbehörden sorgen sollten. Marsalek fragt seinen Kumpanen Roussev um 16.19 Uhr an:

    Haben wir jemanden, der Berlin besuchen könnte und Cash/20k am Donnerstag oder Freitag nach Wien bringen könnte?

    aus einer Chatnachricht von Jan Marsalek

    Antwort Roussevs: "Sicher, kein Problem." Und einen Tag später: "Die Geldwäsche-Typen bestätigen: sie werden das Cash / 20k heute abholen und stellen es morgen in Berlin bereit." Die Reise von Berlin nach Wien hat einen Grund. In der Hauptstadt Österreichs hat das Netzwerk um Marsalek Verbündete und eine konspirative Wohnung. Im 6. Stock der Skraup Straße 24 in Wien findet nicht zum ersten Mal eine Übergabe statt.
    Bildmontage aus zwei Profilbildern (ohne und mit Bart) von Jan Marsalek
    Jan Marsalek - früher Gesicht des Wirtschaftswunders Wirecard, heute ist er untergetaucht, hat verschiedene Identitäten und soll in Spionage-Aktionen für Russland verwickelt sein.05.03.2024 | 16:51 min

    Fall könnte Auswirkungen auf Deutschlands Sicherheit haben

    Laut Ermittlungsakten, die dem Rechercheteam vorliegen, werden in der Wiener Wohnung konspirativ Treffen organisiert. Weitergereicht werden beispielsweise Handys, die österreichischen Ministern auf verschlungenen Wegen entwendet wurden, oder USB-Sticks mit sicherheitsrelevanten Daten und sogenannte SINA-Laptops. SINA-Laptops sind extra abgesicherte Workstations, mit Kryptotechnik made in Germany. Deutsche Sicherheitsbehörden nutzen sie.
    Alles brisante Ware und für russische Dienste von Interesse. Und weil das neueste Kapitel im Fall Wirecard nicht nur klingt wie ein Agententhriller, sondern reale Auswirkungen auf Deutschlands Sicherheit haben könnte, war Marsalek heute Thema im Parlamentarischen Kontrollgremium (PGKr) des Bundestags.
    PGKr-Chef Konstantin von Notz von den Grünen sagte zu den neuesten Entwicklungen:

    Ganz offensichtlich handelt es sich bei Marsalek um einen russischen Top-Spion, der an der Führung operativer Maßnahmen mitten in Europa unmittelbar beteiligt ist.

    Konstantin von Notz (Grüne), PGKr-Chef

    Und weiter: "Und das, würde ich sagen, eröffnet schon die Ausmaße eines ganz außergewöhnlichen Spionagefalls, den man so in der Form in den letzten Jahrzehnten eigentlich nicht gesehen hat."
    Roderich Kiesewetter (CDU), stellv. Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei ZDFheute live
    Es müsse ein parlamentarisches Nachspiel geben und geklärt werden ob russische Dienste Geld gewaschen haben, fordert Roderich Kiesewetter vom Parlamentarischen Kontrollgremium. 01.03.2024 | 8:04 min

    Polizei-Inspektor bestreitet Vorwürfe

    In Wien ermittelt die Staatsanwaltschaft schon länger gegen ehemalige Agenten des österreichischen Geheimdienstes, die der Bande um Marsalek geholfen haben sollen. Im Fokus steht der ehemalige Polizei-Inspektor Egisto Ott. Er soll die Übergabe von Laptops, Handys und geheimem Daten für Marsalek mitorganisiert haben. In einer Festnahme-Anordnung der Österreicher heißt es, Ott stehe im Verdacht, "zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen Nachrichtendienst der russischen Föderation (…) unterstützt zu haben".
    Ott hat das stets bestritten. Dem ORF sagte er schon 2021: "Das ist vollkommener Schwachsinn. Ich habe noch nie irgendwelche dienstlichen Daten weitergegeben, geschweige denn, irgendein Geld dafür genommen." Jetzt sitzt er in Wien in Untersuchungshaft.
    Nils Metzger und Thomas Schulz erzählen über ihre Recherche zu Jan Marsalek bei ZDFheute live.
    Die Reporter Nils Metzger (ZDF) und Thomas Schulz (Spiegel) erzählen über ihre gefährliche Recherche über das Doppelleben Jan Marsalek nach seiner Flucht nach Russland. 01.03.2024 | 18:58 min

    Marsalek lebt unter neuer Identität

    In Österreichs Hauptstadt kommen dieser Tage fast stündlich neue Details zur Affäre ans Licht. Der Sicherheitsrat tagt, Politiker erklären sich. Das Land, in dem die FPÖ einst mitregierte und wieder nach der Macht strebt, gilt manchem deutschen Sicherheitspolitiker als eine Art Vorposten Moskaus in der EU. Auch Marsalek ist Staatsbürger der Alpenrepublik, nach seiner Flucht hat er mit Hilfe russischer Geheimdienste eine neue Identität angenommen - die eines russischen Priesters wie ZDF-Frontal und seine Partner im März enthüllten.
    Die neuen Recherchen zeigen: Auch die deutsche Hauptstadt ist Schauplatz des Spionageplots um Ex-Wirecard-Manager Marsalek. In Berlin hat er Helfer. Die sollten offenbar die geklauten Laptops und die sensiblen Daten mit dem Zug aus Wien holen, verpassen aber mehrfach Termine und Zugfahrten. So steht es in den Chatnachrichten.
    Marsalek schreibt am 17. November 2022 genervt an Roussev: "Sie schlagen vor, die Übergabe morgen zu machen, weil wir die Details 'so spät' übermittelt haben …" Roussev antwortet: "Amateure (…) diese Idioten kommen morgen besser zum Berliner Hbf oder zu unserem Hotel." Es folgt eine kleinlaute Nachricht von Marsalek nachts kurz vor zwei Uhr: "Ich muss mich für dieses enttäuschende Verhalten entschuldigen." Doch am nächsten Tag steigen Marsaleks Helfer in den Zug von Berlin nach Wien.
    The logo of Wirecard AG, an independent provider of outsourcing and white label solutions for electronic payment transactions, is pictured at its headquarters in Aschheim, near Munich, Germany, July 1, 2020.
    Vor knapp vier Jahren erschütterte der Wirecard-Skandal die Wirtschaft. Jetzt zeigen ZDF-Recherchen: Ex-Vorstand Marsalek arbeitete wohl jahrelang für die russischen Geheimdienste.01.03.2024 | 1:26 min

    Deutsche hoffen auf Hilfe im Fall Marsalek

    Für Sicherheitspolitiker von Notz zeigt die Aktion "das Ausmaß und auch die Skrupellosigkeit des Agierens von ausländischen Nachrichtendiensten mitten in Europa, in Wien, in London, in Berlin". Hier würden Agenten geworben.

    Und das ist einfach eine relevante Gefahr für unsere aller Sicherheit und deswegen müssen die Sicherheitsbehörden hier ganz anders drauf scharfstellen auf diese Problematik.

    Konstantin von Notz (Grüne), PGKr-Chef

    Wie tief deutsche Sicherheitsbehörden den Spionagefall Wirecard bisher durchdrungen haben, ist nicht ganz klar. Hoffen können die Deutschen auf Amtshilfe aus London und die dort ermittelten Handydaten mit den Chatnachrichten von Marsalek. Die zeigen, dass der Ex-Wirecard-Vorstand ziemlich erfolgreich agierte. Die Krypto-Laptops mit den sensiblen Daten werden von Wien über den Flughafen in Istanbul weitergeschmuggelt, extra verpackt in abhörsichere Taschen. Die Bande will sichergehen, dass sie niemand verfolgen kann.
    Das gelingt offenbar. Am 13. Dezember 2022 um 19.12 Uhr schreibt Jan Marsalek: "Der Laptop hat den Zoll ohne Probleme passiert und ist jetzt im Auto nach Lubjanka". In Lubjanka in Moskau steht die Zentrale des russischen Geheimdiensts FSB. Und noch eins zeigen die Chats: Neben Handys und Laptops gab Marsalek in Wien eine ganz besondere Bestellung auf: "Noch etwas Persönliches: hättet ihr Zeit beim Café Sacher anzuhalten und dort zwei Torten für mich zu kaufen?" Der ehemalige Wirecard Manager ist nicht nur ein Agent Russlands. Er liebt auch das süße Leben.

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