Karsruhe: Prüfungserleichterung darf im Zeugnis stehen

    Bundesverfassungsgericht:Prüfungserleichterung darf im Zeugnis stehen

    von Laura Kress
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    Wenn eine Leistung nicht bewertet worden ist, darf das im Abi-Zeugnis stehen, so das Bundesverfassungsgericht. Das soll für alle Erleichterungen gelten - ohne Nennung des Grundes.

    Ein bayerisches Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife (Abiturzeugnis) liegt auf einem Tisch.
    Laut Verfassungsgericht dürfen Vermerke über vereinfachte Prüfungsbedingungen in Zeugnissen stehen. Aber nur wenn alle Einschränkungen, nicht nur eine Legasthenie, Erwähnung finden.22.11.2023 | 1:31 min
    Probleme beim Lesen und Schreiben - damit haben Menschen mit Lese-Rechtschreibstörung zu kämpfen. In Deutschland betrifft das insgesamt 3,5 Millionen Menschen. In manchen Bundesländern wird die Rechtschreibung von Schülern mit Legasthenie deshalb nicht bewertet.

    Schüler aus Bayern hatten geklagt

    Dass sich das am Ende aber im Abiturzeugnis niederschlägt, empfanden drei Beschwerdeführer aus Bayern ungerecht. Sie sehen in dem Vermerk eine unzulässige Benachteiligung von Personen mit Behinderung sowie einen Verstoß gegen die prüfungsrechtliche Chancengleichheit. Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen dabei aber nur teilweise Recht gegeben (Az. 1 BvR 2577/15 u.a.).
    Schulen dürfen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch künftig in Abiturzeugnissen darauf hinweisen, dass Schüler mit Behinderung eine Prüfungserleichterung erhalten haben oder ihre Rechtschreibfehler wegen einer Legasthenie nicht bewertet wurden. Das öffentliche Interesse an Transparenz bei Prüfungen sei wichtiger als das Interesse von Betroffenen, ihre behinderungsbedingte Einschränkungen nicht offenzulegen, entschied der Erste Senat des Gerichts in seinem an diesem Mittwoch verkündeten Urteil. Die Zeugnisvermerke seien mit dem Grundgesetz und mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar.
    Tanja Scherle, Bundesvorsitzende des Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL), wartet im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der mündlichen Verhandlung in Sachen ·Zeugnisvermerke bei Legasthenikern·. Es geht dabei um die Frage, ob Legasthenikerinnen und Legastheniker einen Zeugnisvermerk darüber akzeptieren müssen, dass ihre Rechtschreibleistungen nicht in die Noten eingeflossen sind.
    Bei Schülern mit Legasthenie kann im Abiturzeugnis ein Vermerk auftauchen, der auf ihre Lese-Rechtschreib-Schwäche hinweist. Viele empfinden das als diskriminierend. 28.06.2023 | 1:24 min

    Kläger bekommen neues Zeugnis

    Dennoch gaben die Richter den Verfassungsbeschwerden der drei Kläger statt. Karslruhe sah in diesen konkreten Fällen von 2010 eine Diskriminierung, weil nach dem damals in Bayern geltenden Schulrecht nur Hinweise auf Prüfungserleichterungen wegen Legasthenie, aber nicht wegen anderer Behinderungen in die Abiturzeugnisse aufgenommen wurden. Laut dem Urteil muss Bayern den drei Klägern daher ein neues Zeugnis ohne entsprechenden Hinweis ausstellen.

    Notenschutz und Nachteilsausgleich

    Die Nichtbewertung der Rechtschreibung zählt zu den Maßnahmen des Notenschutzes. Daneben gibt es auch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs. Diese können zum Beispiel so aussehen, dass Schüler:
    • eine mündliche statt einer schriftlichen Prüfung ablegen,
    • einen Laptop mit automatischer Rechtschreibkorrektur nutzen dürfen
    • oder mehr Zeit bekommen.
    Dieser Nachteilsausgleich wird im Zeugnis nicht erwähnt.
    In den meisten Bundesländern endet der Notenschutz in der Oberstufe; dann gibt es nur noch Nachteilsausgleich. Dass Schüler in Bayern auch noch nach der zehnten Klasse Notenschutz erhalten, sei also eigentlich etwas Gutes, sagt die Pressesprecherin des Bundesverbands für Legasthenie und Dyskalkulie, Annette Höinghaus. Nur der Zeugnisvermerk müsse eben verschwinden.

    Wir fordern, dass die Nichtbewertung der Rechtschreibung als Nachteilsausgleich zählt und somit nicht im Zeugnis vermerkt wird. Das ist keine Privilegierung, sondern lediglich eine Kompensation.

    Annette Höinghaus, Pressesprecherin Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie

    Denn: Aus dem Vermerk lasse sich weiterhin problemlos auf eine Legasthenie schließen.

    Betroffene haben Angst vor Benachteiligung im Job

    Viele Legastheniker haben Angst, deswegen Nachteile in ihrer beruflichen Laufbahn zu haben, zum Beispiel keine Einladung zu Bewerbungsgesprächen zu bekommen. Das Problem: Es ist nicht nachweisbar, ob eine Ablehnung tatsächlich aufgrund der Legasthenie erfolgt. Annette Höinghaus bestätigt aber:

    Ein großes Problem sind zum Beispiel Bewerbungsverfahren für den öffentlichen Dienst, bei denen es Rechtschreibtests gibt. Hier werden Legastheniker oft gar nicht erst eingeladen.

    Annette Höinghaus, Pressesprecherin Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie

    Die Beschwerdeführer selbst hatten in dieser Hinsicht keine Probleme. Sie wählten aber auch technische Studiengänge. "Ich hatte Glück, dass die Universität bei meiner Bewerbung nur auf die Noten schaute", sagte einer der Beschwerdeführer, der anonym bleiben will.
    In der künftigen Praxis dürfte es weiterhin entsprechende Vermerke auch für Schüler mit Lese- und Rechtschreibeschwächen geben - und darüber hinaus auch für alle Schüler, denen wegen anderer Behinderungen und Einschränkungen Prüfungserleichterungen wie längere Prüfungszeiten oder Nicht-Anrechnung von Rechtschreibfehlern gewährt wurden.
    Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfte nicht nur für Bayern, sondern auch für alle anderen Bundesländer Signalwirkung haben.
    Laura Kress ist Mitarbeiterin der ZDF-Redaktion Recht und Justiz
    Quelle: Mit Material von AFP und KNA

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