Nach 50 Jahren: Ist ein neues Nordiren-Referendum denkbar?

    Nach 50 Jahren:Ist ein neues Nordiren-Referendum denkbar?

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    Knapp 99 Prozent der Nordiren stimmten am 8. März 1973 für den Verbleib im Vereinigten Königreich. Den Konflikt in Nordirland löste das Referendum nicht.

    Stadtansicht von Belfast.
    Eine mehr als fünf Meter hohe "Friedensmauer" trennt den katholischen Stadtteil Ballymurphy vom restlichen Belfast.
    Quelle: dpa

    Volksabstimmungen können in der Rückschau oft tragische Ironie erhalten. Als 2014 die Schotten über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich abstimmten, sprach sich eine Mehrheit von rund 55 Prozent dagegen aus. Hauptargument war der Verbleib in der EU, der dadurch als gesichert galt. Zwei Jahre später dann die Entscheidung zum Brexit, mit ganz knapp 51 Prozent Zustimmung im ganzen Land - in Schottland zwar mit einer breiten pro-europäischen Mehrheit, aber: mitgehangen, mitgefangen.

    Verstärkte Debatte über Anschluss an Republik Irland

    Neben Schottland - und London - war Nordirland Hochburg der Brexit-Gegner. Über einen Anschluss an die Republik Irland wird seitdem wieder verstärkt debattiert, vor einer Abstimmung allerdings noch zurückgeschreckt. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass es eine solche bereits gab: Vor 50 Jahren stimmten knapp 99 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich.
    Ein Traumergebnis für die Unionisten, das mit der Realität im Norden der Insel aber wenig zu tun hatte. Tatsächlich war die Gefahr eines Bürgerkrieges zwischen republikanisch, pro-irisch eingestellten Katholiken und den meist unionistischen Protestanten zu Beginn der 1970er Jahre greifbar.
    Seit dem Brexit gibt es Streit über die Regeln für Nordirland, vor Kurzem nun die Einigung zwischen der EU und Großbritannien:

    Unruhen in mehreren Städten - "Bloody Sunday"

    In mehreren Städten Nordirlands kam es zu Unruhen und Straßenschlachten. Die britische Regierung schickte die Armee, trauriger Höhepunkt der Intervention wurde der "Blutsonntag" (Bloody Sunday) am 30. Januar 1972: In Derry eröffneten britische Fallschirmjäger das Feuer auf eine friedliche Demonstration, 13 Menschen starben.
    Nordirland: Häuser mit Wandgemälden, die an den "Bloody Sunday" erinnern
    Nordirland: Häuser mit Wandgemälden, die an den "Bloody Sunday" erinnern.
    Quelle: dpa

    Aus seinen Erinnerungen war 1972 das schlimmste Jahr, sagt der 72-jährige Donal McKeown. Damals studierte er in Belfast. Später wurde er Priester und ist seit 2014 Bischof von Derry - der Stadt des "Blutsonntags".
    Spätestens in dieser Zeit hatte die britische Regierung ihre Glaubwürdigkeit unter den nordirischen Katholiken vollends verloren, so McKeown. Insofern war das Interesse an einem Volksentscheid, wie er Anfang 1973 durchgeführt wurde, auch gering. "Die Probleme waren zu tief, und so ein Referendum würde nichts Neues ans Licht bringen", erklärt der Bischof.

    Katholiken boykottierten Referendum

    Folglich boykottierten die Katholiken die Abstimmung; am Ende stand lediglich ein Prozent für den Anschluss an Irland. Allerdings waren die Katholiken damals ohnehin in der Minderheit. Gerechnet auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten im Land stimmten immerhin gut 57 Prozent für den Verbleib. Insofern hätte auch die Teilnahme der Katholiken nichts geändert.
    Maskierte und bewaffnete IRA-Mitglieder Anfang der 70er Jahre in einer Straße in einer nordirischen Stadt.
    Von 1970 bis 1972 kam es in NordIrland zu einer Welle der Gewalt, die 1972 ihren Höhepunkt erreichte.
    Quelle: imago

    Ruhe kehrte in Nordirland trotzdem nicht ein. Die berüchtigte Irisch-Republikanische Armee (IRA) führte weiterhin einen Guerilla-Krieg. Ihm fielen etliche Sicherheitskräfte und Funktionsträger der britischen Regierung zum Opfer. Gleichzeitig wurden katholische Nordiren unter echten oder vorgeblichen Terrorismusvorwürfen festgenommen, gefoltert und auch getötet.
    Meterhohes Signalfeuer in Nordirland
    12.07.2022 | 2:30 min
    Jedes Jahr halten die Protestant*innen ihre traditionellen Oranier-Märsche ab - für Katholik*innen sind sie pure Provokation:

    Karfreitagsabkommen schließt Anschluss an Republik Irland nicht aus

    Befriedet wurde die bewaffnete Auseinandersetzung erst im Jahr 1998 durch das sogenannte Karfreitagsabkommen. Dieses hält ausdrücklich fest: Die Möglichkeit einer Wiedervereinigung mit der Republik Irland ist nicht ausgeschlossen, wenn sich die Mehrheit der Nordiren dafür ausspricht.
    Bislang galt das zwar als wenig wahrscheinlich. Seit vergangenem Jahr bilden aber Katholiken erstmals wieder die größte Glaubensgruppe im Norden. Laut aktuellem Zensus sind 45,7 Prozent der knapp zwei Millionen Nordiren katholisch und 43,5 Prozent protestantisch. Zudem fiel im Zehnjahresvergleich die Zahl derer, die sich als britisch identifizierten, von 40 auf knapp 32 Prozent. Demgegenüber stieg die Zahl der "Iren" von 25 auf über 29 Prozent.
    Verbunden mit der mehrheitlichen Unzufriedenheit der Nordiren über den Brexit erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass es nun erneut zu einem Referendum kommen könnte. Die aktuelle konservative britische Regierung wird wohl versuchen, dies zu verhindern. Denn diesmal könnte man sich in London des Ausgangs deutlich weniger sicher sein.
    Quelle: Johannes Senk, KNA

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