Fall Dorota: Proteste gegen Abtreibungsgesetz in Polen

    Tausende gegen Abtreibungsgesetz:"Fühle mich als Frau in Polen nicht sicher"

    von Milena Drzewiecka, Warschau
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    Nach dem Tod einer schwangeren Frau sind in Polen Tausende gegen das rigide Abtreibungsgesetz auf die Straße gegangen. Das Motto: "Keine einzige mehr. Hört auf, uns zu töten!".

    Frauenproteste in Warschau
    Frauenproteste in Warschau
    Quelle: Reuters

    Ihr Name: Dorota. Ihr Alter: 33. Ihr Schicksal: Sie war schwanger. In der 20. Schwangerschaftswoche war Dorota ins Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem sie Fruchtwasser verlor. Drei Tage später war sie tot. Sepsis lautete der offizielle Grund. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber Frauenorganisationen erheben Vorwürfe gegen die behandelnden Ärzte - und gegen das Abtreibungsrecht in Polen.
    Die Aktivistinnen haben zur Demonstration aufgerufen: für Dorota und für andere Frauen. "Keine einzige mehr" ist abends in Warschau, Olsztyn, Posen und Dutzenden anderer Städte zu hören. Schon seit dem Jahr 1993 hat Polen mit dem sogenannten "Abtreibungskompromiss" eines der strengsten Abtreibungsgesetze europaweit. Unter der national-konservativen PiS-Regierung wurde das Gesetz noch verschärft.

    Abtreibung in Polen in den meisten Fällen illegal

    Im Jahr 2020 entschied das Verfassungsgericht: Eine Abtreibung ist nur noch legal im Falle von Vergewaltigung oder wenn das Leben der werdenden Mutter bedroht ist - aber nicht mehr bei einem kranken Fötus. Das entsetzte viele Frauen und machte die Abtreibung nicht nur praktisch unmöglich, sondern setzte auch das Leben von Schwangeren aufs Spiel. Die Angst, für eine Abtreibung verurteilt zu werden, ist auch von Gynäkologen zu hören.
    Die Regierung versucht, die Stimmung zu beruhigen. "Ein Schwangerschaftsabbruch ist nie eine leichte Entscheidung, aber manchmal ist er einfach eine Notwendigkeit und das polnische Recht ist hier eindeutig (…). Das Leben und die Gesundheit der Frau sind das Wichtigste", sagte Premierminister Mateusz Morawiecki gestern.
    Gesundheitsminister Adam Niedzielski versprach neue Richtlinien und sagte:

    Jede Frau in Polen hat ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, wenn Gefahr für ihre Gesundheit oder ihr Leben besteht.

    Aber nicht alle glauben an diese Worte.
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    Fall der schwangeren Dorota erschüttert Demonstrantinnen

    Bei der Demonstration in Warschau sagt die 33-jährige Demonstrantin Justyna: "Ich bin heute hier, weil ich Mitgefühl mit Dorota verspüre. Sie war im selben Alter wie ich. Wenn ich darüber nachdenke, irgendwann einmal schwanger zu sein, bekomme ich Angst, denn ich fühle mich momentan als Frau in Polen nicht sicher", sagt sie uns. Sara, 26 Jahre alt, kann, so ihre Worte, nicht fassen, was gerade in Polen passiert. "Wir kämpfen für sehr grundlegende Menschenrechte", sagt sie uns.
    Es ist weniger als ein Jahr her, dass die heute Protestierenden zuletzt auf den Straßen waren. Und zwar unter einem ähnlichen Motto. Damals marschierten sie für Izabela, eine 30-jährige Schwangere, die gestorben war. Izabela war in der 22. Schwangerschaftswoche nach Fruchtwasserverlust ins Krankenhaus gebracht worden. Laut ihrer SMS-Nachrichten an die Familie hatte die Ärzte offenbar den Tod des Kindes erwartet und weigerten sich, etwas zu tun. Als der Kindstod festgestellt worden war und der Fötus durch einen Kaiserschnitt entfernt werden sollte, starb Izabela.
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    "Schwarze Proteste" gegen die PiS-Regierung

    "Ich will nicht an einer Schwangerschaft sterben", "Stoppt die Gewalt gegen Frauen" ist auf den Plakaten der Demonstrierenden zu lesen. Jeder, der die Situation in Polen verfolgt, kennt diese Parolen gut. Sogenannte schwarze Proteste sind zum Symbol des Frauenwiderstands gegen die PiS-Regierung geworden. Die PiS-Partei regiert schon seit acht Jahren. Einige Experten sind der Meinung, ihre Frauenpolitik könnte sie die Macht kosten. Diesen Herbst wird in Polen gewählt.
    Die Debatte über Abtreibung sorgt für weitere Spaltungen in der polnischen Gesellschaft. Die Weltbilder prallen aufeinander. In Warschau, wo die Frauenproteste am größten sind, ist auch täglich ein sogenannte Anti-Abtreibungs-LKW mit den Bildern von blutigen Föten zu sehen. So versuchen die "Pro-Life"-Aktivistinnen und Aktivisten gegen Abtreibung zu werben. Der innerpolnische Streit und der Kulturkampf gehen weiter.
    Milena Drzewiecka arbeitet im ZDF-Studio Warschau.

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