Studie der Universität Frankfurt:Polizeigewalt: Was die Aufarbeitung erschwert
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Es passiert auf Demos, bei Fußballspielen und anderen Großveranstaltungen. Nicht selten erfahren besonders junge Männer Polizeigewalt. Diese Faktoren erschweren die Aufarbeitung.
Polizisten der Bundespolizei während einer Übung (Archivfoto)
Quelle: dpa
Übermäßige polizeiliche Gewalt wird nur selten aufgearbeitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine an diesem Dienstag vorgestellte Studie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Das Forschungsteam befragte mehr als 3.300 Betroffene und interviewte zudem unter anderem Polizeikräfte, Richter sowie Opferberatungsstellen.
Zwar habe die Polizei aufgrund ihrer Aufgaben ein Gewaltmonopol - doch auch die Beamten dürften Gewalt "nur ausnahmsweise einsetzen", sagt Studienautor Tobias Singelnstein.
Gewalt durch Polizeibeamte: Junge Männer am häufigsten betroffen
Die Befragten berichteten vor allem hinsichtlich Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspielen von übermäßiger Polizeigewalt. Konfliktsituationen oder Personenkontrollen wurden ebenfalls oft genannt.
Am häufigsten gaben junge Männer an, polizeiliche Gewalt erfahren zu haben. 19 Prozent der Betroffenen berichteten demnach von schweren physischen Verletzungen. Psychische Belastungen spielten aber auch eine Rolle. Wut und Angst vor der Polizei, das Meiden bestimmter Situationen oder Orte sowie der Verlust des Vertrauens wurden hier genannt.
"Für ein systematisches Übertreten dieses Gewaltauftrags haben wir derzeit keine Anhaltspunkte“, sagt Prof. Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle.21.08.2020 | 3:55 min
Gewalt ist Teil der Polizeiaufgabe, sagte Kriminologe Martin Rettenberger in einem Interview (Archiv):
Bei der Anwendung übermäßiger polizeilicher Gewalt spielen laut Studie sowohl "individuelle wie auch situative und organisationale Faktoren" eine Rolle. Mängel in der Kommunikation, Stress, Überforderung, aber auch diskriminierendes Verhalten von Beamtinnen und Beamten können demnach übermäßige Polizeigewalt begünstigen.
Wenige Anzeigen gegen Polizeigewalt, noch weniger Strafverfahren
Zu Verurteilungen wegen rechtswidriger polizeilicher Gewalt kommt es nur selten. Das sind laut Studie die Gründe:
- Die Befragten hatten eine niedrige Anzeigebereitschaft
- Nur 14 Prozent der befragten Betroffenen gab demnach an, dass in ihrem Fall ein Strafverfahren stattgefunden habe
- Strafverfahren zu Verdachtsfällen werden außerdem zu mehr als 90 Prozent von den Staatsanwaltschaften eingestellt
- Nur in etwa zwei Prozent der Fälle wird Anklage erhoben
Aber auch strukturelle Besonderheiten wirken sich laut Studie auf die Verfahren aus. Hier einige Beispiele:
- Für Polizeikräfte kann es herausfordernd sein, Kollegen zu belasten
- Für die zuständigen Staatsanwälte erweise sich angesichts der alltäglichen engen Zusammenarbeit mit der Polizei eine unvoreingenommene Herangehensweise an solche Verfahren als schwierig
- oft schwierige Beweislage: Häufig steht die Aussage der Betroffenen denen der einsatzbeteiligten Beamten gegenüber und es fehlt an weiteren Beweismitteln
- Wann darf die Polizei schießen? Der Tod eines 16-Jährigen in Dortmund im vergangenen Sommer hat die Debatte über Polizeigewalt neu entfacht
Studie: Lücken bei Erfassung von Polizeigewalt
"In den auf eine polizeiliche Gewaltanwendung folgenden Auseinandersetzungen um die Bewertung der Gewalt in Gesellschaft und Justiz erweist sich die polizeiliche Deutungsweise angesichts dieser Umstände als besonders durchsetzungsfähig", fasst das Forschungsteam seine Ergebnisse zusammen. Diese dokumentiere so die besondere Definitionsmacht der Polizei.
Tobias Singelnstein zum Fall Floyd und über Polizeigewalt in Deutschland;
Studienautor Tobias Singelnstein bemängelt die Lücken bei der Erfassung von Polizei-Gewalt in Deutschland. In anderen Ländern werde transparent statistisch erfasst, wie häufig und in welcher Form die Polizei Gewalt ausübe oder wie häufig Menschen im Kontext von Polizeieinsätzen zu Tode kamen, sagte der Kriminologieprofessor. "So eine Datenbasis, so eine statistische Erfassung wäre schon mal ein erster wichtiger Schritt."
Quelle: AFP, dpa