Berlin: Demo für ein wirksames Frauen-Schutzschild

    Kundgebung in Berlin:Demo für ein wirksames Frauen-Schutzschild

    von Stephanie Schmidt
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    Etwa 100 Frauen haben in Berlin für mehr Gewaltschutz für Frauen und Kinder demonstriert. Bei Bundesfamilienministerin Paus liefen sie offene Türen ein.

    Demo zur Istanbuler Konvention
    Frauen haben weiße Lilien an das Justiz- und an das Familienminsterium verteilt und für die Einhaltung der Istanbuler Konvention demonstriert.
    Quelle: Melanie Ferreira Caetano

    Sie sind laut und sie tragen Schutzschilder. Knapp 100 Frauen haben an diesem Donnerstag weiße Lilien an das Justiz- und an das Familienministerium verteilt: Anna ist extra aus Hannover gekommen und erklärt:
    "Weiße Lilien sind das Zeichen, dass Frauen an diesem Ort Gewalt erleben. Wir verteilen sie stellvertretend an diese Institutionen, da wir sie erinnern müssen, sich für die Belange von Frauen und Kindern einzusetzen." Die Istanbul-Konvention müsse endlich in Deutschland umgesetzt werden, fordert Anna.

    Istanbul-Konvention soll Frauen und Kinder vor Gewalt schützen

    Zugegeben, der Begriff ist sperrig und kaum jemand kann mit "Istanbul-Konvention" etwas anfangen. Doch vielleicht liegt hier genau das Problem. Denn seit 2018 ist sie geltendes Recht in Deutschland.
    Die Istanbul-Konvention (IK) ist ein völkerrechtlicher Vertrag und soll Frauen und Kinder vor Gewalt schützen. Die Umsetzung ist jedoch mangelhaft und Deutschland ist deswegen vom Europarat gerügt worden.
    Frau sitzt ängstlich auf dem Sofa. Ein Schatten an der Wand zeigt Mann mit erhobener Faust.
    Gewalt gegen Frauen und Mädchen kann jede treffen - unabhängig von Alter, sozialem oder kulturellem Hintergrund. Und sie hat durch die Pandemiesituation zugenommen. 25.11.2021 | 5:32 min

    Täter-Opfer-Umkehr immer noch verbreitet

    Besonders das Phänomen der Täter-Opfer-Umkehr wird in Deutschland kritisiert. Der Mord einer Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner werde immer noch als "Familiendrama" bezeichnet und nicht als das, was es ist: ein Femizid, kritisiert Stefanie Ponikau, stellvertretende Vorsitzende der Mütterinitiative für Alleinerziehende (MIA).
    Das spiegele sich auch in der Rechtsprechung wider. "Hier wird oft alles getan, um zu erklären, warum der Mann gar nicht anders konnte, als zu einem solchen Mittel zu greifen. Selbst posthum findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt."
    MIA hatte unter dem Titel #SchutzschildfürFrauen zu der Demo in Berlin aufgerufen. Unterstützt wurde die Kundgebung von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, darunter UN Women Deutschland, die Bundesstiftung Gleichstellung und die Deutsche Kinderhilfe, die alle dringenden Handlungsbedarf sehen.

    Istanbul-Konvention gilt seit mehr als fünf Jahren

    "Was immer noch vielfach vergessen wird: Die Istanbul-Konvention dient auch dem Schutz unserer Kinder", sagt Rainer Becker, der Ehrenvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe. Deutschland habe diesen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert und sei damit seit dem 1. Februar 2018 an dessen Regeln gebunden.
    Doch mehr als fünf Jahre danach sei die Bundesrepublik "von einer Umsetzung weit entfernt". Stefanie Ponikau von MIA sagt:

    Bis heute hebelt das Umgangsrecht regelmäßig den Gewaltschutz aus.

    Stefanie Pinikau, MIA

    "Dabei hat sie den Status eines Bundesgesetzes, das von Politik, Verwaltung und Richterschaft verbindlich zu beachten ist." Doch die Realität sehe anders aus sagt Stefanie Ponikau. "Bei uns melden sich jede Woche verzweifelte Mütter, die nach der Trennung einen institutionellen Albtraum erleben."
    haeusliche gewalt - symbolfoto
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    Familienministerin: "Gewalt an Frauen leider Alltag in Deutschland"

    Besonders die Justiz ist bei diesem Thema aber gefragt, so Ponikau: "Die Istanbul-Konvention wird bisher in der Rechtsprechung nahezu nicht berücksichtigt. Bundesweit kennen wir erst fünf OLG-Urteile, die die IK anwenden, davon zwei aus den letzten Monaten, und auch diese teils als Feigenblatt. Angesichts der jährlich vermeldeten, konstant hohen Fallzahlen zu Gewalt gegen Frauen und Femiziden ist diese geringe Anzahl erschreckend."
    Die Frauen haben bei der Abgabe der Lilien im Justizministerium wenig Glück. Immerhin der Pförtner nimmt die Blumen entgegen. Anders Bundesfamilienministerin Lisa Paus, die das Anliegen sehr ernst nimmt: "Ja, die Istanbul-Konvention ist ein Schutzschild für Frauen und Kinder und ich möchte es auch sein. Es kann nicht sein, dass fast jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird. Ich spreche da bewusst von Femiziden. Leider ist geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen Alltag in Deutschland."

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