Sterbehilfe-Gesetz: Ärzte warnen und drohen mit Boykott

    Gesetz zur Sterbehilfe:Ärzte warnen vor Eile und drohen mit Boykott

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Zu übereilt, zu wenig Debatte: Ärzteverbände warnen davor, Sterbehilfe per Gesetz jetzt zu regeln. Kritik: Die Pläne gefährden psychisch Kranke und Ärzte. Sie drohen mit Boykott.

    Der Oberkörper eines Arztes und eines Patienten ist zu sehen. Sie sitzen sich an einem Tisch gegenüber, die Gesichter sind abgeschnitten
    Ärzteverbände befürchten, dass sie sich strafbar machen könnten, sollte Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden.
    Quelle: dpa

    Nächste Woche könnte eine seit Jahren schwelende Diskussion beendet werden: Der Bundestag will kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause Sterbehilfe per Gesetz neu regeln. Doch jetzt melden sich Ärzteverbände und Kirchen: Die vorliegenden Gesetzesentwürfe würden nichts wirklich regeln und seien noch viel zu wenig diskutiert.
    Angesichts der Tragweite der Entscheidung sei das "völlig unangemessen", sagt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer.

    Wir sehen überhaupt keine Eilbedürftigkeit und überhaupt keine Notwendigkeit, das jetzt in Hektik zu tun.

    Klaus Reinhardt, Bundesärztekammer

    Derzeit zwei Gesetzentwürfe zur Abstimmung

    Zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe liegen derzeit vor, wobei einer davon rund um den CDU-Abgeordneten Lars Castelucci noch überarbeitet werden soll. Dieser sieht vor, dass Sterbehilfe grundsätzlich unter Strafe stehen soll. Ausnahmen sollen aber möglich sein.
    Helge Lindh und Renate Künast
    Im Bundestag soll bald über eine Neuregelung für Suizidhilfe abgestimmt werden. Eine überparteiliche Initiative schlägt einen liberalen, straffreien Umgang vor. 13.06.2023 | 1:29 min
    Der Gesetzentwurf von Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) erlaubt allen, die älter als 18 Jahre alt sind, Sterbehilfe. Der Wunsch, tödliche Medikamente zu bekommen, muss jedoch aus freiem Willen gefasst werden. Beratungs- und verpflichtende Gespräche, die dem Verfahren rund um den Schwangerschaftsabbruch gleichen, sind dabei vorgesehen.
    Unklar ist derzeit, welcher von den beiden eine Mehrheit im Bundestag bekommen könnte.

    Kritik: "Vernünftiges" Hilfskonzept fehlt

    Die Ärzteverbände kritisieren, dass das von der Künast/Helling-Plahr-Gruppe vorgelegte Präventionsprogramm nicht ausreiche. In der jetzigen Form stelle der Gesetzentwurf sogar "eine gravierende Gefährdung für psychisch kranke Menschen" dar, schätzt Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie.

    Sehr häufig sind suizidale Menschen aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung nicht in der Lage, diese Entscheidung frei und selbstbestimmt zu treffen

    Andreas Meyer-Lindenberg, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie

    Im Schnitt begehen pro Jahr 9.000 Menschen in Deutschland Suizid. Mindestens doppelt so hoch seien die Versuche, so Meyer-Lindenberg. Der häufigste Grund seien Depressionen, die sich aber etwa durch Medikamente oft behandeln ließen. Suizidabsichten würden dann schnell sinken.
    "Entscheidend ist ein vernünftiges Hilfskonzept", sagt er. Das aber sei im Entwurf von Künast/Henning-Plahr "überhaupt nicht zu erkennen". Außerdem fehlten genaue Qualitätskriterien für die vorgesehene Beratung.
    Noah im Rollstuhl
    *Hinweis: Thema assistierter Suizid*: Noah will sterben. Der 23-jährige war Profi-Sportler, sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl. Beim Suizid hilft ein Sterbehilfeverein.17.01.2023 | 29:29 min
    Der "Grundfehler" sei, so Heiner Melching von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, dass die Bundestagsabgeordneten versuchten, das Sterbehilfe-Gesetz rein juristisch zu regeln. "Sie entspringen ausschließlich einer juristischen Denkwelt." Suizid habe aber immer mit Emotionen zu tun. Prävention brauche es also noch viel früher, noch bevor es um die Frage geht, ob jemand tödliche Medikamente bekommt.

    Ärztekammer droht mit Boykott

    Nach den jetzt vorliegenden Gesetzentwürfen hätten künftig Ärztinnen und Ärzte das letzte Wort, ob jemand die tödlichen Medikamente bekommt. "Ärzte werden zu Wunscherfüllern und Dienstleistern degradiert", so Melching.
    Wenn sie letztlich verantworten, ob ein Suizidwunsch erfüllt wird oder nicht, sei, so Ärzte-Präsident Reinhardt, das Gesetz eben "nicht rechtssicher". Es bleibe ein strafrechtliches Risiko, dass sich zum Beispiel ein Arzt der Beihilfe zum Mord schuldig macht.

    Wenn Künast/Henning-Plahr sich im Bundestag durchsetzen, wird die Bundesärztekammer der Ärzteschaft raten, sich nicht zu beteiligen.

    Klaus Reinhardt, Bundesärztekammer

    Man wolle Menschen nicht helfen, von der Brücke zu springen, so Reinhardt. Man wolle aber den Menschen durch "echte Präventionsprogramme" helfen.
    Der Bundestag diskutiert seit Jahren über eine Neuregelung der Sterbehilfe. Ein Beschluss von 2015, der die geschäftsmäßig ausgelegte Suizidbeihilfe verboten hatte, wurde 2020 vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt. Die Richter hatten das Selbstbestimmungsrecht, das Leben zu beenden, betont. Seitdem ist die Sterbehilfe ungeregelt.
    Derzeit fordern einige Experten, keine Neuregelung zu verabschieden, weil es auch ohne Gesetz derzeit Sterbehilfe gebe. Auch Ärztepräsident-Reinhardt kann sich darin finden: "Kein Gesetz wäre besser als die beiden."

    Forderung nach Debatte über Wert des Lebens

    Der Marburger Bund kritisiert zudem, dass eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über "den Wert des Lebens" fehle, so die Vorsitzende Susanne Johna. Diese würde sie sich wünschen, bevor das Parlament eine Entscheidung trifft. So, wie die Debatte derzeit geführt werde, könnte Suizid Normalität werden und Druck auf Menschen ausgeübt werden, "die sich die Gedanken sonst nicht machen würden".
    Ricarda-Huch-Preis geht an Ferdinand von Schirach. Archivbild
    Autor Ferdinand von Schirach spricht sich für Sterbehilfe aus. Wenn die Entscheidung aus freien Stücken geschehe, dürfe der Staat sich nicht einmischen, sagt er im ZDF-Interview.23.01.2023 | 7:08 min
    Das befürchten auch Kirchen. Es gebe derzeit "praktisch keine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema", sagt die Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche, Susanne Bei der Wieden zur Nachrichtenagentur epd.

    Der assistierte Suizid darf nicht zum Normalfall werden. Niemand darf gedrängt werden, beim Suizid zu assistieren.

    Susanne Bei der Wieden, Theologin

    Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ist nicht prinzipiell gegen assistierten Suizid. Diesen Menschen müsse aber "vorurteilsfrei" begegnet werden und sie bräuchten eine "seelsorgerliche" Begleitung. Es dürfe nicht zur gesellschaftlichen "Normalität" werden, sich das Leben zu nehmen und dabei zu helfen. "Für Grenzsituationen des Lebens kann es keine Regelungen geben, die sie einfach und nach allen Seiten befriedigend auflösen", heißt es in einer Stellungnahme der EKD.

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