Frauenkirche: Lukas Rietzschel und Uwe Tellkamp diskutieren

    Rietzschel und Tellkamp:Von Fakten und Versen - Ein Streitgespräch

    Thomas Bärsch
    von Thomas Bärsch
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    "Wie viel Meinungen verträgt die Wirklichkeit", fragt die Dresdner Frauenkirche und erhofft sich Antworten von zwei ostdeutschen Schriftstellern. Ein Wagnis.

    Passanten vor der Dresdner Frauenkirche.
    Die Dresdner Frauenkirche.
    Quelle: dpa

    Manche der Zuschauer, die es in die Dresdner Frauenkirche gezogen hatte, erwarteten ein "Gemetzel", das Uwe Tellkamp ("Der Turm") und Lukasz Rietzschel ("Mit der Faust in die Welt schlagen") miteinander austragen sollten. Hier der wortgewaltige Systemkritiker, dort der progressive Ostdeutschland-Erklärer.
    Der Abend begann dann zwar gewaltfrei, für manchen wohl aber etwas verstörend. Uwe Tellkamp schien entschlossen, vorerst nur in Versform zu antworten. Wie er sich fühle, wegen seiner Meinungen geschnitten zu werden, fragte die Moderatorin Alexandra Gerlach. Tellkamp darauf unter anderem: "Der größte Lump in ganzem Land, das ist und bleibt der Denunziant. Heut gerne mit Moral und Haltung, in voller Qualitätsentfaltung. Und bist du 'anti', 'trans' und 'klima', dann grünst du richtig, läuft es prima."

    Rietzschel: Meinungen äußern bleibt nicht folgenlos

    Er habe keine Reime dabei, bekannte Lukas Rietzschel schnell, zeigte aber Verständnis für seinen Gesprächspartner und dessen Eindruck. Meinungen zu äußern, bliebe eben nicht folgenlos.

    Erlauben wir wirklich eine Gegenhaltung?

    Lukas Rietzschel, Schriftsteller

    Rietzschel mutmaßt: "Manchmal schreien wir Leute so in eine Ecke, aus der sie dann gar nicht mehr allein rauskommen. Das muss für uns als Gesellschaft Herausforderung sein, da einzuschreiten."
    Es wurde schnell deutlich, wo die Konfliktlinien verlaufen. Im Grundsätzlichen. Ob bei Klimafragen oder der Gendersprache, Tellkamp beklagt, dass Veränderungen nicht aus der Gesellschaft entstünden, sondern "von oben" durchgedrückt würden, mit Hilfe willfähriger Medien. So zeigte sich der Schriftsteller auch überzeugt, dass Journalisten in Coronazeiten aus dem Kanzleramt Sprachregelungen zur Panikvermeidung empfangen hätten.

    Unüberbrückbare Gräben der Gesellschaft

    Die Anrufe aus dem Kanzleramt gäbe es nicht, wirft die Moderatorin, die auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet ein. Darauf Tellkamp: "Den Anruf braucht es nicht. Wenn ich selber schon auf Linie bin, dann brauch ich keinen Anruf, dann schreibe ich eh, was erwartet wird." Es sind Zitate wie diese, für die Uwe Tellkamp auch längeren Applaus einfährt.
    Lukas Rietzschel vermied den Konflikt und suchte die Antwort auf die Frage nach den unüberbrückbaren Gräben, die sich durch die Gesellschaft ziehen. Er findet sie im Phänomen des Internets, der sozialen Medien, und der Algorithmen. "Wir werden immer mit dem gleichen Inhalt, minimal abgewandelt konfrontiert, um möglichst viel Zeit im Netz zu verbringen. Und Sie können dort lange verweilen, ohne mit der Gegenmeinung konfrontiert zu werden."

    Sie kriegen die Fakten, die Sie brauchen. Es erscheint Ihnen alles in sich geschlossen logisch.

    Lukas Rietzschel, Schriftsteller

    Überhaupt sieht Rietzschel das Problem beim Umgang mit Tatsachen und Fakten: "Mir fällt schwer in Diskussionen einzusteigen, weil nicht klar ist: Wo ist unser Fundament? Aber wenn eine Faktenlage nicht anerkannt wird, dann weiß ich nicht, wo wir ansetzen sollen."

    Gemetzel bleibt aus

    Eine Frage wollte der Autor dann seinem Gesprächspartner doch nicht ersparen. Sie verrät viel darüber, welcher Eindruck sich bei Lukas Rietzschel über Uwe Tellkamp verfestigt hat.
    Ob denn Tellkamp bereit wäre, sich von Fakten überzeugen zu lassen, oder ob er grundsätzlich alles anzweifle - wie eben den Klimawandel, den er für eine unumstößliche Tatsache halte. Tellkamp kontert: "Für Sie ist der Klimawandel unumstößlich."

    Ich bin immer skeptisch, wenn ich höre, etwas sei unumstößlich. Die Weltanschauung der Sozialisten war vor 30 Jahren auch unumstößlich.

    Uwe Tellkamp, Schriftsteller

    Auch hier bekommt Tellkamp Applaus.
    Ein Gemetzel, wie von dem Zuschauer erwartet, blieb an diesem Abend aus. Vermutlich hat jeder Zuschauer in der Frauenkirche genau das aus diesem Gespräch mitgenommen, was er ohnehin erwartet hatte.

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