Frauen-Sport: Geschlechts-Tests und Testosteron-Limits

    Ein Dilemma im Frauen-Sport:Wie fair sind Hormonlimits?

    von Susanne Rohlfing
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    Athletinnen müssen sich oft Zweifel an der Wahrhaftigkeit ihres Frauseins gefallen lassen. Es geht um ein Dilemma zwischen Chancengleichheit und Menschenwürde.

    Laurel Hubbard hat mit ihrer Teilnahme an Olympia 2021 Geschichte geschrieben.
    Laurel Hubbard hat mit ihrer Teilnahme an Olympia 2021 Geschichte geschrieben.
    Quelle: Reuters

    Frauen im Spitzensport - das war lange undenkbar. Der weibliche Körper sei nicht dafür gemacht, Sport schade der Gebärfähigkeit - und dem grazilen Aussehen sowieso. All das waren ernsthaft (von Männern) vorgetragene Argumente. Als sich Frauen dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach ihren Platz im Wettkampfsport eroberten, mussten sie wiederum ihre Weiblichkeit beweisen, teils auf demütigende Art.

    IOC überlässt Fachverbänden Regelung

    Die seit Ende März gültigen neuen Regeln des Leichtathletik-Weltverbandes für Frauen mit einer von der binären Norm abweichenden Geschlechtsentwicklung und Trans-Frauen fügen sich also ein in eine lange Geschichte. "Geschlechts-Tests gibt es bei modernen Sport-Großveranstaltungen schon seit über 80 Jahren", sagt Daniel Quanz, Historiker an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
    Seit 2021 vertrete das IOC eine liberalere Position als mancher Verband. Die Ringe-Organisation unter dem deutschen Präsidenten Thomas Bach legt beim Umgang mit verschiedenen Geschlechts-Identitäten und unterschiedlicher Geschlechterentwicklung verstärkt Wert auf Inklusion und Nicht-Diskriminierung - überlässt die Festlegung der tatsächlichen Regeln aber den einzelnen Fachverbänden.

    Quanz sieht Dilemma

    Der Kölner Historiker Quanz will sich auf keine Seite schlagen. "Das ist eine Dilemma-Situation", sagt er: "Einerseits ist es legitim, wenn Frauen ihre Wettbewerbe und Medaillenchancen schützen wollen."
    Andererseits seien Geschlechtstest immer entwürdigend und man wisse heute, dass die Natur keine absolut binäre Trennung in männlich und weiblich möglich macht.

    Es gibt daher nicht den einen richtigen Weg, wie Sportverbände vorgehen sollten.

    Historiker Daniel Quanz

    Intergeschlechtliche Olympiasiegerinnen

    1928 in Amsterdam durften erstmals Leichtathletinnen bei Olympia antreten. Aber erst mit den Spielen 1936 in Berlin seien die Frauenwettbewerbe verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, erzählt der Historiker.
    Die Nazi-Spiele wurden allgemein politisiert, jede Medaille für die eigene Nation zählte. Dabei wurde auch erstmals öffentlich über die Geschlechtsidentität dreier Athletinnen diskutiert: 100-Meter-Olympiasiegerin Helen Stephens aus den USA und ihre Kontrahentin Stella Walsh wurden ebenso kritisch beäugt wie die deutsche Hochspringerin Dora Ratjen - die später als Heinrich Ratjen lebte. Bei Walsh und Ratjen ist heute bekannt, dass sie intergeschlechtliche Menschen waren.

    Entwürdigende Testverfahren

    Ab 1948 mussten Athletinnen medizinische Zertifikate vorlegen, wenn es Zweifel an ihrem Geschlecht gab. Bei den Commonwealth Games 1966 wurde gar ein manueller Test durchgeführt. Die britische Leichtathletin Mary Peters bezeichnete das als die "gröbste und entwürdigendste Erfahrung meines Lebens".
    Der manuelle Test wurde schnell durch eine visuelle Inspektion weiblicher Mediziner ersetzt und 1967 wurde der Barr-Test eingeführt, eine genetische Untersuchung.

    Ab 1972 Nachweispflicht

    Schon damals kritisierten Wissenschaftler, dass nicht alle Menschen in die XX- (Frauen) und XY- (Männer) Chromosomen-Kategorien passten. Und doch wurde ab 1972 für alle Athletinnen ein medizinisches Zertifikat verpflichtend, mit dem sie ihr Geschlecht nachweisen mussten.
    Erst vor den Spielen 2000 wurde das umstrittene Test-Regime für weibliche Athleten abgeschafft.
    Caster Semenya
    Caster Semenya (Bildmitte) beim Empfang in Johannesburg nach dem Gewinn des WM-Titels 2009
    Quelle: dpa

    Benachteiligung oder Ausgrenzung?

    Das Dilemma jedoch blieb. Athletinnen, die wie die indische Mittelstreckenläuferin Santhi Soundarajan oder die südafrikanische 800-Meter-Spezialistin Caster Semenya hyperandrogen sind, also von Natur aus erhöhte Testosteronwerte haben, fallen auf. Trans-Athletinnen wie Gewichtheberin Laurel Hubbard aus Neuseeland, Starterin bei den Spielen in Tokio, ebenfalls.
    Frauen mit deutlich niedrigen Testosteronwerten fühlen sich benachteiligt. Immer strengere Grenzwerte für das männliche Geschlechtshormon, wie sie World Athletics nun vorschreibt, sind also der jüngste Versuch, in der Frauenklasse für Gerechtigkeit zu sorgen. Soweit das eben möglich ist in einer Welt, in der die Natur Frau nicht gleich Frau konzipiert hat.
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