Fußball-WM: England gegen Iran - was geschieht in Minute 22?

    Spiel mit politischer Brisanz:England - Iran: Was geschieht in Minute 22?

    von Frank Hellmann
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    Das iranische Nationalteam ist vor dem WM-Auftakt gegen England (Montag 14 Uhr/ZDF) in ein hochpolitisches Spannungsfeld geraten. Die Protestbewegung erwartet Solidarität.

    WM 2022: Die iranische Mannschaft beim Training. In der Mitte Ehsan Hajisafi.
    Die iranische Mannschaft beim Training. In der Mitte Ehsan Hajisafi.
    Quelle: reuters/Siphiwe Sibeko

    Es könnte ein historischer Moment werden, wenn das Khalifa International Stadium in Doha seine WM-Premiere erlebt. Für das WM-Spiel zwischen Iran und England (Anstoß 14 Uhr/ZDF-Livestream) ist vor allem interessant, was in der 22. Minute passiert.

    Fans mit persischen Wurzeln

    Fans aus England, wo viele Menschen mit persischen Wurzeln leben, haben sich offenbar verabredet, um dann den Namen von Mahsa Amini zu skandieren. Das ist jene nur 22 Jahre alt gewordene Frau kurdischer Abstammung, die von den Sittenwächtern getötet wurde - und deren Fall die anhaltenden Massenproteste auslöste.
    Weite Teile der Bevölkerung erwarten, dass die Nationalmannschaft Solidarität mit den Demonstranten zeigt, deren Proteste teils brutal niederschlagen werden.

    Gut gelaunt bei Empfang vor dem Machthaber

    Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen hat es schon Hunderte Tote gegeben. Doch zuletzt lud Staatspräsident Ebrahim Raisi vor der Abreise nach Katar noch schnell die Kicker in Teheran ein: Viele verneigten sich vor den erzkonservativen Herrschern bei guter Laune, wie Bilder belegen.
    Der Unmut vieler Menschen über diese Verbeugung vor dem Machtapparat ist immens. In den Sozialen Medien wird das Team Melli nun "Mullah-Mannschaft" genannt, zumal iranische Nationalspieler an dem Tag miteinander herumalberten, als die Ermordung eines zehnjährigen Kindes bekannt wurde.
    Rasend schnell verbreiten sich Bilder, in denen die Auswahl blutbeschmiert dargestellt wird - auf einer Fotomontage trampelt ein Spieler auf den am Boden liegenden Frauen herum.

    Protesthaltung wird erwartet

    An einer Brücke in Teheran ging ein Mannschaftsbild in Flammen auf. Nun wird erwartet, dass die im Ausland beschäftigten Spieler wie Alireza Jahanbaksh (Feyenoord Rotterdam) oder Mehdi Taremi (FC Porto) zumindest weigern, die Hymne zu singen.
    "Alles, was wir machen, wird interpretiert. Und jeder interpretiert es anders", sagte Stürmer Karim Ansarifard (Omonia Nikosia) dieser Tage. Eines von vielen ausweichenden Statements.

    Das Regime übt viel Druck aus

    Nicht zu unterschätzen ist der Druck, der auf die Sportler nicht erst jetzt ausgeübt wird. Auffällig ist, dass Sardar Azmoun (Bayer Leverkusen) seit seiner Nominierung keine kritischen Beiträge mehr verfasst hat.
    Sein Instagram-Profilbild ist schwarz. Viele vermuten, dass der Torjäger schweigen muss.

    Rufe nach WM-Ausschluss Irans

    Der Auftakt gegen England ist auch deshalb brisant, weil dort viele Exil-Iraner an Orten wie im Hyde Park regelmäßig demonstrieren. Offenbar wollen englische Fans in der 22. Minute den Namen Mahsa Amin rufen, deren Tod mit erst 22 Jahren die Massenproteste auslöste.
    Zuletzt waren die Rufe nach einem WM-Ausschluss des Iran lauter geworden, doch FIFA-Präsident Gianni Infantino schob derlei Forderungen sofort einen Riegel vor:

    80 Millionen Menschen leben im Iran - das sind nicht alles Monster! Wir werden kämpfen, immer wieder Leute zusammenzubringen.

    Gianni Infantino

    Popularität von Nationaltrainer Queiroz steht auf dem Spiel

    Er habe vor drei Jahren beim iranischen Präsidenten erreicht, dass Frauen ins Stadion dürfen, erklärte Infantino. Doch das erwies sich letztlich als Farce. Der FIFA-Boss sieht seine Institution an diesem Punkt machtlos:

    Wir sind nicht die Vereinten Nationen, die Weltpolizei, die Blauhelme. Die einzige Waffe, die wir haben ist der Ball.

    Gianni Infantino

    Nationaltrainer Carlos Queiroz ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden, zumal auch die Gruppenspiele gegen Wales und USA sportpolitische Brisanz bürgen.

    Rückkehrer Carlos Queiroz

    Der erst vor zwei Monaten zurückgeholte Portugiese will seine Spieler bei Aktionen nicht einbremsen und erinnerte an den Kniefall englischer Nationalspieler, den auch nicht alle auf der Insel gut finden würden.
    Der Weltenbummler hatte sich als Nationalcoach des Iran von 2011 bis 2019 große Popularität erworben, die nun auch auf dem Spiel steht.
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