FC Bayern: Fixpunkt Kane - aber viele Baustellen

Thomas Tuchel erwartet beim Bundesliga-Auftakt eine Reaktion auf die Niederlage im Supercup. Warum es zum 0:3 gegen Leipzig gekommen und seine Mannschaft ganz anders aufgetreten war als gedacht, das vermochte der Trainer des FC Bayern nicht zu begründen.

"Wir haben den einen Schlüssel noch nicht gefunden, um das Schloss endgültig zu knacken", so Tuchel am Tag vor dem ersten Punktspiel der Saison beim SV Werder. In Bremen unternehmen die Bayern den nächsten Versuch, diesen ominösen Schlüssel zum Erfolg endlich aufzuspüren - und das mitten auf einer Baustelle. Und damit ist nicht das Weserstadion gemeint.

Denn noch immer ist die Münchner Mannschaft ja ein unfertiges Gebilde, obwohl die größte Baulücke im Angriff durch die Verpflichtung von Harry Kane imposant geschlossen wurde.

Bei genauem Hinsehen verhält es sich mit Kane allerdings wie mit anderen Megaprojekten: Erstens wird's meistens teurer als geplant. Zweitens wird man oft erst viel später fertig als erhofft. Und drittens bekommt man manchmal gar nicht wirklich das, was man wollte.

Punkt eins (teurer) und zwei (später) haben die Bayern bei Kane schon zu spüren bekommen. An Punkt drei glauben sie nicht. "Der Harry-Kane-Effekt wirkt auf so vielen Ebenen", schwärmte Tuchel bereits und verwies auf das Charisma des Engländers.

Der Kane-Effekt erhöhe die Chance, das Spiel zu gewinnen, "massiv". Tuchel weiter: "Ich bin sehr sicher, dass er die Spieler, die um ihn herum spielen, besser machen wird."

Weniger eindeutig: Die Situation im Tor. Immerhin soll der jüngste Eingriff bei Manuel Neuer zu einer Verbesserung geführt haben.

"Die Prognose für den Wiedereinstieg ins Training hat sich verkürzt", berichtete Tuchel. Man rechne damit "in den nächsten Wochen". Vorerst wird Sven Ulreich das Tor hüten. Die Bayern suchen derweil nach mehreren gescheiterten Anwerbungsversuchen einer vorläufigen Nummer eins nun wohl gezwungenermaßen einen Vertreter für Neuers Vertreter.

Ein Kandidat könnte Daniel Peretz sein. Nach Informationen des Pay-TV-Senders Sky sollen sich der Klub und der israelische Torwart von Maccabi Tel Aviv bereits über einen Wechsel einig sein. Für den 23-Jährigen bieten die Münchner laut Sky rund zwei Millionen Euro plus lukrativer Bonuszahlungen.

Als "extrem komplex" hatte Tuchel die Torwartfrage jüngst bezeichnet, und in seiner Schilderung wurde das ganze Neuer-Dilemma samt aller Unwägbarkeiten deutlich. "Wir suchen jemand, der jetzt das Potenzial, die Persönlichkeit hat, Nummer eins zu sein bei Bayern und dann - falls Manu, und hoffentlich, wenn Manu zurückkommt in voller Stärke und voller Fitness - eventuell auch seinen Stolz schlucken kann" und Neuers Nummer-eins-Status akzeptiert.

Hinzu kommt die weitere Baustelle im defensiven Mittelfeld, für das sich Tuchel eine "Holding Six" wünscht, einen durchweg abwehrorientiert denkenden Sechser. Entstanden ist aus dieser Debatte die Verunsicherung des bisherigen Sechsers, Joshua Kimmich.

Wie Kane sich einbringen wird, das war nach seiner Einwechselung gegen Leipzig bei seinen drei Ballkontakten in rund einer halben Stunde kaum ersichtlich. Was sich auf Basis seines Spielstils bei Tottenham Hotspur sagen lässt: Der lange vermisste Neuner nach Robert Lewandowskis Wechsel zum FC Barcelona im Sommer 2022 ist Kane nur bedingt.

Der Engländer hat bei den Spurs ja mehr den Spielmacher als den Stürmer gegeben. Er ließ sich oft ins Mittelfeld fallen und initiierte jene Angriffe, die er beim FC Bayern als Zielspieler im Angriffszentrum abschließen soll.

Nicht nur die neue Mannschaft muss sich nun also auf Kane einstellen, sondern Kane auch auf sie und auf ein neues Jobprofil in neuer Umgebung. Auf einer Baustelle ist eben immer viel zu tun.