EZB: Der Leitzins-Spagat zwischen Eurozone und USA

    Unabhängig von US-Geldpolitik?:EZB und Fed: Der schwierige Leitzins-Spagat

    Frank Bethmann berichtet von der Frankfurter Börse
    von Frank Bethmann
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    Hoch oder runter? In der Regel sind sich EZB und Fed einig über die Zinsentwicklung. Vorübergehend kann das auch mal anders sein, auf Dauer aber gibt es keine zwei Meinungen.

    Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), gibt nach der Ratssitzung eine Pressekonferenz.
    Wegen der zuletzt sukzessive sinkenden Inflation im Euroraum hat die Europäische Zentralbank den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte gesenkt. Was Sparer besorgt, freut die Wirtschaft. 06.06.2024 | 1:06 min
    Erstmals in ihrem 25-jährigen Bestehen hat die Europäische Zentralbank (EZB) 2024 eine Zinswende vor der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) eingeleitet.
    Bei den vergangenen großen Richtungswechseln in der Leitzinsfrage hatte jeweils die Fed den ersten Schritt gemacht. Eine Besonderheit, die erst mal nicht überraschen muss.
    Grundsätzlich richten Notenbanken ihre Zinspolitik nach den eintreffenden Wirtschaftsdaten aus, die können in den unterschiedlichen Weltregionen durchaus anders aussehen und andere - nicht abgestimmte - Zinsentscheidungen der Währungshüter rechtfertigen. So stagniert die Konjunktur in der Eurozone gerade, während die Wirtschaft in den USA derzeit brummt.
    Börsenexperte Frank Bethmann im Gespräch mit Moderatorin Sara Bildau.
    Zinswende in der Eurozone: Die EZB senkt die Leitzinsen erstmals seit fünf Jahren. Welchen Kurs werden Europas Währungshüter künftig einschlagen? Frank Bethmann an der Börse.06.06.2024 | 1:01 min

    Divergierende Meinungen eher selten

    Allerdings hängen der US-amerikanische und Europäische Wirtschaftsraum enger zusammen als man vermutet, sodass die beiden großen Notenbanken in ihrer Geldpolitik eher selten unterschiedliche Wege einschlagen.
    Und wenn doch, bleibt es im Gedächtnis. So hatte die Fed im Jahr 2016 die Zinsen erhöht, wogegen die EZB an ihren Negativzinsen festhielt. Vier Jahre zuvor war es andersherum. Die EZB senkte während der Staatsschuldenkrise die Zinsen, während die Fed sie konstant hielt.

    Unter Leitzinsen versteht man die von der zuständigen Zentralbank festgelegten Zinssätze, zu denen sich Geschäftsbanken bei einer Zentral- oder Notenbank Geld beschaffen oder anlegen können. In der Eurozone ist die Europäische Zentralbank (EZB) zuständig für die Festlegung der Leitzinsen. Davon setzt die EZB drei fest: Einlagenzins, Hauptrefinanzierungssatz und Spitzenrefinanzierungssatz

    Für Sparer ist der Einlagenzins wichtig. Zum Hauptrefinanzierungssatz können sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen. Der Spitzenrefinanzierungssatz dient Geschäftsbanken zur kurzfristigen Beschaffung von Geld. Vorrangiges Ziel der Zentralbanken ist es, ein stabiles Preisniveau mit einer niedrigen Inflationsrate sicherzustellen.

    Die EZB strebt dafür ein Inflationsziel von zwei Prozent in der mittleren Frist an. Um die Inflationsrate bei einer vorgegebenen Zielgröße zu halten, kann die Zentralbank die Leitzinsen anheben ("restriktive Geldpolitik") oder auch senken ("expansive Geldpolitik"). 

    Quelle: Glossar des Bundesfinanzministeriums, AFP

    Die vielleicht größte divergierende Meinung 2008: Die EZB hatte die Zinsen während der weltweiten Finanzkrise kurz angehoben, während die Fed sie durchgehend gesenkt hatte. Nach dem damaligen Präsidenten der EZB, Jean-Claude Trichet, ging dieser Schritt als "Trichet-Fehler" in die Geschichtsbücher ein.
    Europäische Zentralbank in Frankfurt
    Im April hatte die Europäische Zentralbank am Leitzins von 4,5 Prozent festgehalten.11.04.2024 | 0:55 min

    Fed und EZB: Ähnliche volkswirtschaftliche Lage

    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland der niederländischen Großbank ING ordnet ein. "Ja, die EZB ist in ihren Entscheidungen unabhängig von der Fed, aber nein, die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in Europa sind nicht so anders als in den USA."
    Trotz des Anscheins, Konjunktur und Inflation würden sich dies und jenseits des Atlantiks unterschiedlich entwickeln: die Probleme, so Brzeski, ähneln sich grundsätzlich.

    Wir haben auch Fachkräftemangel, wir haben auch Druck auf dem Arbeitsmarkt, um nur mal eine wichtige Parallele zu ziehen.

    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING für Deutschland

    Leitzins der EZB
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    Währungen werten auf oder ab - infolge der Zinsunterschiede

    Das wirtschaftliche Gesamtumfeld ist das eine, das andere, was jetzt passiert, sagt Robin Winkler. Er ist der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "In dem Moment, in dem die Zinsen runtergehen, überlegen sich viele Sparer, will ich wirklich schon wieder anfangen mehr zu investieren oder konsumieren? Oder gehe ich nicht einfach in die USA und lege meine Ersparnisse in US-Dollar an und genieße weiterhin ein höheres Zinsniveau."
    Die Vereinigten Staaten locken durch ihre vorübergehend attraktiveren Sparzinsen europäisches Geld an. "Als Folge der Kapitalabflüsse aus der Eurozone dürfte der Euro abwerten gegenüber dem US-Dollar", beschreibt Winkler, was in der Regel folgt.

    Gefahr einer importierten Inflation

    Für die schwächelnde Konjunktur in Europa könnte das sogar von Vorteil sein. Kurzfristig würde das den Export von Waren begünstigen. Doch Brzeski warnt, jede Medaille habe zwei Seiten, so auch ein schwacher Euro: "Die Inflation in der Eurozone dürfte dadurch wieder angetrieben werden."
    Banknoten und Bankkarten liegen in einer Geldbörse.
    Die Reallöhne in Deutschland sind, so das Statistische Bundesamt, deutlich gestiegen. Der Zuwachs von 3,8 Prozent ist das höchste Plus seit Beginn der Erhebung vor 16 Jahren.29.05.2024 | 0:24 min
    Wobei es diesbezüglich durchaus andere Meinungen gibt. Die Gefahr einer importierten Inflation sieht Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, nicht. "Selbst wenn sich bei den Leitzinsen vorübergehend die Zinsdifferenz etwas vergrößern sollte, wird das den Wechselkurs nicht wirklich in ein anderes Fahrwasser schubsen."
    Über einen längeren Zeitraum werden die Zinsen ohnehin nicht auseinanderdriften, ist Krüger überzeugt: "Zinssenkungen sind auch bei der Fed vorprogrammiert." Dass sich die Leitzinsen über kurz oder lang wieder angleichen, davon ist auch Brzeski überzeugt. Der Ökonom verweist dabei auf eine interessante Beobachtung:

    Weil wir in der Vergangenheit gesehen haben, dass die Inflation in Europa immer mit einer Verzögerung von sechs Monaten jedenfalls die gleiche Richtung hat wie in den USA.

    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland der niederländischen Großbank ING

    Frank Bethmann ist Moderator und Redakteur der ZDF-Börsenredaktion.

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