EZB: Der Leitzins-Spagat zwischen Euro-Zone und USA
Unabhängig von US-Geldpolitik?:EZB: Der schwierige Leitzins-Spagat
von Frank Bethmann
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In Europa und den USA könnten sich die Zinsen demnächst unterschiedlich entwickeln: Die EZB erwägt unabhängige Zinsentscheidungen. Was heißt das für Wirtschaft und Verbraucher?
Die EZB tagt am Mittwoch - mutmaßlich ohne eine Leitzinsänderung zu entscheiden.
Quelle: dpa/Boria Roessler
Sollte es tatsächlich so kommen? Senkt die Europäische Zentralbank tatsächlich im Sommer die Zinsen, ohne dass zuvor die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) selbiges getan hat? In der zugegeben noch jungen Geschichte der EZB wäre das ein Novum.
Bislang gab stets die größere und einflussreichere Fed die Marschrichtung vor. Doch eine Gesetzmäßigkeit ist das keineswegs. Warum sollten nicht auch die europäischen Währungshüter einfach mal vorangehen? Schließlich betonen sie stets ihre Unabhängigkeit - nicht nur von der Politik, sondern auch von anderen Notenbanken.
Im April hat die Europäische Zentralbank am Leitzins von 4,5 Prozent festgehalten. Wer davon profitiert, weiß ZDF-Börsenexpertin Stephanie Barrett.
11.04.2024 | 0:55 min
FED und EZB: Ähnliche volkwirtschaftliche Lage
"Ja, die EZB ist unabhängig von der Fed, aber nein, die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in Europa sind nicht so anders als in den USA", ordnet Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland der niederländischen Großbank ING ein. Die derzeitigen Probleme ähnelten sich, argumentiert der Ökonom:
Und weiter: Die EZB müsse vor allem auf das Warum achten - also warum die Fed etwas macht. Oder eben auch nicht macht.
Notenbanken in USA und Europa auf unterschiedlichem Zinskurs
Noch Ende letzten Jahres hatte die Fed mehrere Leitzinssenkungen für 2024 in Aussicht gestellt. Eine wieder steigende Inflation in den USA lässt sie nun vorsichtiger werden. Und dann sind da noch die anstehenden US-Wahlen im November.
Unter Leitzinsen versteht man die von der zuständigen Zentralbank festgelegten Zinssätze, zu denen sich Geschäftsbanken bei einer Zentral- oder Notenbank Geld beschaffen oder anlegen können. In der Eurozone ist die Europäische Zentralbank (EZB) zuständig für die Festlegung der Leitzinsen. Vorrangiges Ziel der Zentralbanken ist es, ein stabiles Preisniveau mit einer niedrigen Inflationsrate sicherzustellen.
Die Europäische Zentralbank (EZB), die für die Eurozone zuständig ist, strebt dafür ein Inflationsziel von zwei Prozent in der mittleren Frist an. Um die Inflationsrate bei einer vorgegebenen Zielgröße zu halten, kann die Zentralbank die Leitzinsen anheben ("restriktive Geldpolitik") oder auch senken ("expansive Geldpolitik").
Quelle: Glossar des Bundesfinanzministeriums
Um nicht in den Verdacht zu geraten, politisch Einfluss zu nehmen, halten es inzwischen nicht wenige Experten für möglich, dass die Fed in diesem Jahr gar nicht mehr den US-Leitzins senken werde - im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank, die derzeit sehr viel eindeutiger die Fantasien auf eine baldige Zinssenkung befeuert. Präsidentin Christine Lagarde hat zuletzt mehrfach signalisiert, dass im Juni die Euro-Leitzinsen sinken sollen.
Leitzins der EZB
ZDFheute Infografik
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Mögliche Folge: Abwertung des Euro gegenüber US-Dollar
Inzwischen wird bezweifelt, ob sie mit dieser Kommunikationsstrategie gut beraten war. Denn nun wird spekuliert, was das bedeuten könnte, wenn in Europa die Leitzinsen sinken, in den USA aber vorerst nicht.
"Drüben" weiterhin ein höheres Zinsniveau, vorgegeben durch den Leitzins zwischen 5,25 und 5,50 Prozent. "Hier" der wichtigste Leitzins bei demnächst unterhalb der aktuellen 4,5 Prozent? "In dem Moment, in dem die Zinsen runtergehen", ist sich der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Robin Winkler, sicher, "überlegen sich viele Sparer: Will ich wirklich schon wieder anfangen mehr zu investieren oder konsumieren?"
Aus Sicht von EZB-Chefin Lagarde sei eine Zinssenkung verfrüht. Die Kapitalmärkte rechneten jedoch mit Zinssenkungen, berichtet Frank Bethmann. 25.01.2024 | 1:02 min
Die Vereinigten Staaten dürften in dem Fall durch ihre attraktiveren Sparzinsen, europäisches Geld anlocken. "Als Folge der Kapitalabflüsse aus der Euro-Zone würde der Euro abwerten gegenüber dem US-Dollar", beschreibt Winkler die unweigerliche Folge.
Unterschiedliche hohe Zinsen: Chance oder Risiko?
Für die schwächelnde Konjunktur in Europa könnte das sogar von Vorteil sein. Kurzfristig würde das den Export von Waren begünstigen. Doch Brzeski warnt. Jede Medaille habe zwei Seiten, so auch ein schwacher Euro: "Umso mehr in Zeiten, in denen ja auch die Ölpreise wieder gestiegen sind - die in US-Dollar abgerechnet und mit einem schwächeren Euro bezahlt werden müssen und somit die Inflation in der Eurozone wieder antreiben könnten."
Zu viel Konjunktiv, findet Alexander Krüger. Die Gefahr einer importierten Inflation sieht der Chefvolkswirt der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe nicht.
Die globalen Krisen verunsichern die Märkte. Frankreichs Notenbankchef Villeroy de Galhau und Bundesbank-Präsident Nagel zu den Herausforderungen und Zukunftsaufgaben für Europa.
Interview
Krüger: "Geldpolitik kein Wunschkonzert"
Über einen längeren Zeitraum werden die Zinsen ohnehin nicht auseinanderdriften, ist Krüger überzeugt: "Zinssenkungen sind auch bei der Fed vorprogrammiert." Nur eben nicht zeitnah.
Kommt es in diesem Jahr so wie allgemein erwartet, könnten sich die Leitzinsen dies- und jenseits des Atlantiks also weiter auseinanderbewegen - zumindest für einige Monate.
Eine besondere Situation, findet Alexander Krüger. Doch Sorgen davor müssten sich Sparer und Verbraucher nicht machen. "Mit Blick auf den Wechselkurs wäre es zwar besser, die Zinsschritte fänden im Gleichschritt statt. Doch Finanzmärkte und Geldpolitik sind nun mal kein Wunschkonzert", so der langjährige Chefvolkswirt.
Frank Bethmann ist Moderator und Redakteur der ZDF-Börsenredaktion in Frankfurt.