EU-Pläne: Scheitert das Lieferkettengesetz an der FDP?

    EU-Pläne:Scheitert das Lieferkettengesetz an der FDP?

    von Marie Sophie Hübner
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    Die EU war sich einig: Ein eigenes Lieferkettengesetz soll Europas Arbeits- und Umweltstandards in die Welt tragen. Jetzt blockiert die FDP.

    Krüger Lieferkettengesetz Veto FDP
    Die Verhandlungen für ein EU-Lieferkettengesetz sind bereits weit fortgeschritten, fast abgeschlossen. Nun will die FDP das Vorhaben nicht mehr mittragen. Scheitert das Gesetz nun?01.02.2024 | 2:36 min
    Marie-Christine Ostermann steht zwischen Regalen, die bis unter die Decke der Lagerhalle ragen. Ihr Handelsunternehmen hat alles, was Krankenhaus-Kantinen brauchen: Schnittbohnen aus dem Rheinland, Tomaten aus Italien, Hering aus der Ostsee - bezogen von über 1.000 Zulieferern. Das neue EU-Lieferkettengesetz bereitet ihr Sorgen.
    Ostermann, früher aktiv in der FDP, ist hier geschäftsführende Gesellschafterin und sitzt nebenbei einem Interessensverband deutscher Familienunternehmer vor. Über den Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes sagt sie: "Wir haben 20.000 Produkte im Sortiment. Das ist bei knapp über 200 Mitarbeitern für ein mittelständisches Unternehmen unserer Größe nicht möglich, das umzusetzen."
    Ziel der EU ist unter anderem, Zwangs- und Kinderarbeit zu verhindern und die Umwelt zu schützen - in der EU und außerhalb. In Deutschland gibt es so ein Gesetz bereits. Doch das europäische Gesetz wäre strenger: Firmen sind nicht nur für die Einhaltung der Standards bei ihrem direkten Zulieferer, sondern für die gesamte Lieferkette verantwortlich.
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    FDP lehnt strengere EU-Richtlinie ab

    Noch im Februar soll aus dem Entwurf ein Gesetz werden. Dafür braucht es eine einfache Mehrheit im EU-Parlament und eine qualifizierte Mehrheit im Rat, also mindestens 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Mitte Dezember einigten sich beide EU-Institutionen im sogenannten Trilog auf einen Kompromiss. Mehrheiten gelten damit gewöhnlich als gesichert, der Beschluss als Formsache.
    Doch Mitte Januar lehnt der kleinste Koalitionspartner in der deutschen Bundesregierung den Entwurf ab. Die FDP spricht vom "Bürokratie-Burnout". Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf die gesamte Wertschöpfungskette sei "völlig realitätsfern". Die Richtlinie treffe den deutschen Mittelstand. Deswegen könnte das Gesetz auch am Widerstand Deutschlands scheitern, wie aus einem Brief der liberalen Bundesminister Buschmann und Lindner hervorgeht, der dem ZDF vorliegt.

    Unverständnis beim Koalitionspartner

    Anna Cavazzini, die für die Grünen im Europäischen Parlament sitzt, ärgert die Nachforderung der FDP: "Deutschland hat sehr lange bis kurz vor Schluss mitverhandelt, hat einige rote Linien aufgestellt. Die wurden alle nicht gerissen, auch um die FDP an Bord zu halten."

    Und dass man jetzt so kurz vor Schluss die Reißleine zieht, ist europapolitisch unverantwortlich.

    Anna Cavazzini, Europaabgeordnete der Grünen

    Deutschland sei ohnehin berühmt-berüchtigt für den "German-Vote". Das heißt: Die Bundesregierung enthält sich im Rat, weil die Koalition sich nicht einig ist. "Das schafft Unsicherheit, die viele andere Staaten mit sich zieht", so Cavazzini.
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    Wen betrifft das Gesetz?

    Zurück in Hamm, in der Lagerhalle. Marie-Christine Ostermann ist gegen das Gesetz, auch wenn sie noch nicht davon betroffen wäre: Sie beschäftigt 235 Mitarbeitende. Doch die Schwelle liegt - anders als im deutschen Gesetz - nicht viel höher, in Risikobereichen wie der Lebensmittelproduktion bei 250 Mitarbeitenden.
    Ostermann hat durchgerechnet, was es ihr Unternehmen kosten würde, müsste es Nachweise von allen Zulieferern vorlegen: 70.000 Euro. Der Jahresumsatz beträgt rund 100 Millionen Euro. "Wir wollen natürlich Umweltschutz und Menschenrechte einhalten. Das ist wichtig, ...

    aber wir brauchen hier Lösungen, die machbar, die praktikabel und die auch bezahlbar sind.

    Marie-Christine Ostermann, Unternehmerin

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    Vereinheitlichung für fairen Wettbewerb

    Andere deutsche Firmen sehen die Vorteile eines europäischen Lieferkettengesetzes - nicht nur im guten Image beim Verbraucher. Die Geschäftsführerin des Outdoor-Ausstatters Vaude, Antje von Dewitz, forderte die Bundesregierung auf, dem Gesetz zuzustimmen. Ein europäischer Rechtsrahmen schreibe gleiche Wettbewerbschancen in ganz Europa vor. Ein Vorteil, so Dewitz. National unterschiedliche Regelungen erhöhten für deutsche Unternehmen die Komplexität und den Bürokratieaufwand wesentlich. Auch Unternehmen wie Aldi Süd und S.Oliver sprechen sich für eine Regelung auf EU-Ebene aus.
    Eine Entscheidung könnte nächsten Freitag im Kreis der EU-Botschafter fallen. Enthält sich Deutschland tatsächlich beim Lieferkettengesetz, braucht es nur wenige Nachahmer - und es wäre gekippt.

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