Sexismus - unterschätztes Problem in deutschen Unternehmen

    Interview

    Deutsche Unternehmen:"Sexismus ist ein unterschätztes Problem"

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    Marie-Christine Döscher hat einen ungewöhnlichen Beruf: Ermittlerin in Sexismusvorfällen in Unternehmen. Sprachlos mache sie nichts mehr, erzählt die Ex- Staatsanwältin ZDFheute.

    Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (Symbolbild)
    Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (Symbolbild)
    Quelle: imago

    Marie-Christine Döscher ist Ermittlerin für Sexismus-Vorfälle bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC Deutschland. Die ehemalige Staatsanwältin spricht mit Betroffenen, Beschuldigten und wertet Chatverläufe aus. Sprachlos sei sie nicht mehr, erzählt Döscher, das habe sie sich abgewöhnt.
    ZDFheute: Frau Döscher, wenn Sie von Unternehmen gerufen werden, stehen konkrete Sexismus-Vorwürfe im Raum. Was sind das für Fälle?
    Marie-Christine Döscher: Die Bandbreite ist wirklich groß. Sexismus wird subjektiv empfunden. Es kommen Fälle vor, wo es um fehlende körperliche Distanz geht oder aber um gewisse Sprüche. Das kann so was sein wie: 'Mach doch den Knopf bei der Bluse noch ein bisschen weiter auf. Das kommt beim Kunden gut an'.
    Es gibt aber auch derbe Sachen, die ich schon mitunter als vulgär bezeichnen würde.

    Was wir aber auch vermehrt sehen, ist, dass die Chat-Kommunikation zu Problemen führen kann. Dabei verschwimmt - sowohl beim Vokabular, aber auch beim Inhalt - oft das Private mit dem Beruflichen.

    Und das kann eben auch mitunter dazu führen, dass dann auf Nachrichten mit Herzchen, Herzchen-Augen oder Kuss-Smiley reagiert wird, was dann vom Empfänger der Nachricht mitunter als inadäquat oder auch als Überschreitung angesehen wird. Aber was ich hier auch sagen muss: Es kommt immer auch auf den Kontext an.

    Marie Döscher
    Quelle: privat

    ... ist studierte Rechtswissenschaftlerin und wurde mit 26 Jahren Staatsanwältin. Vor drei Jahren wechselte sie als Forensikerin zur Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Dort leitet die 35-jährige heute interne Ermittlungen in Unternehmen insbesondere bei Diskriminierungssachverhalten. Darüber hinaus ist sie Mentorin im Förderprogramm "FWW - Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft" der Hochschule Mainz.

    ZDFheute: Was ist als Forensikerin dann Ihre konkrete Aufgabe in den Unternehmen?
    Döscher: Wir sind beratend zuständig und wollen den Unternehmen, der Unternehmensleitung, den Aufsichtsgremien dabei helfen, ihren Sorgfalts- und Überwachungspflichten nachkommen zu können.
    Wir bei Forensics machen keine rechtliche Beratung, sondern wir machen tatsächlich nur die Sachverhaltsermittlung. Das heißt, wir beantworten am Ende die Fragen: Wer hat was, wann, wie, warum gemacht?
    ZDFheute: Sind es eher Einzelfälle oder strukturelle Probleme, zu denen Sie gerufen werden?
    Döscher: In der Regel gibt es schon einen bestimmten Vorfall, weswegen wir dazukommen. Was dann aber in den Untersuchungen zutage tritt, ist unterschiedlich. Und das ist ja auch gerade die Frage: Haben wir nur einen Einzelfall oder haben wir ein strukturelles Problem?
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    Zweiteres sieht man, wenn man die Kommunikation oder gewisse Chat-Gruppen im Rahmen des datenschutzrechtlich Zulässigem analysiert, die dann "Locker Room"-Talk oder dergleichen heißen. [Anm. der Redaktion: vom englischen "Locker Room", also "Spind-Raum"]
    ZDFheute: Was sind "Locker Room"- Talks?
    Döscher: Wir haben schon Chat-Gruppen gesehen, die als solche bezeichnet worden sind. Das sind dann zum Beispiel bestimmte männliche Führungskräfte, die dann über "typisch männliche Themen" sprechen, aber mitunter dann auch eben über Frauen. Da werden Rankings vergeben, Bildchen versendet und dergleichen.
    ZDFheute: Sind bei den Fällen, zu denen Sie gerufen werden, vor allem Männer die Beschuldigten?
    Döscher: Wir treffen auf alles. Es ist sowohl die Frau gegenüber dem Mann, der Mann gegenüber der Frau oder auch gleichgeschlechtlich. Wir treffen auch immer mehr auf homophobe Äußerungen.

    Grundsätzlich muss man sagen, dass Sexismus - oder Diskriminierung im Generellen - ja immer per Definition ein Ausdruck von Machtgefälle ist.

    Das heißt, eine Person fühlt sich einer anderen überlegen und bringt das zum Ausdruck. Wenn ich jetzt von der Anzahl der Fälle spreche, dann ist es schon häufig der ältere Mann und die jüngere Frau. Aber Studien zeigen, dass auch Männer in einer großen Zahl von Diskriminierungen betroffen sind.
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    ZDFheute: Wie erleben Sie die geschädigten Personen in Ihren Interviews?
    Döscher: Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt auch sehr darauf an, ob die geschädigte Person sich selbst gemeldet hat, oder ob der Hinweis von einer dritten Person eingegangen ist.
    Eine Erfahrung, die wir immer wieder machen, ist, dass die geschädigten Personen nicht verneinen, dass das Ereignis passiert ist, aber das auf eine andere Person übertragen. Ich werte das als eine Art Schutzmechanismus, weil man sich selbst nicht als das Opfer darstellen möchte, weil das auch immer mit einer Verletzlichkeit einhergeht.
    ZDFheute: Ist den Beschuldigten immer bewusst, dass sie mit ihrem Verhalten Schaden angerichtet haben?
    Döscher: Ich glaube, manchen Leuten ist das schon bewusst.

    Aber ich bin überrascht, wie viele Leute doch recht sorglos und nahezu unbekümmert gewisse Äußerungen tätigen.

    Da habe ich tatsächlich das Gefühl, dass denen das so nicht klar ist. Die haben bislang immer so agiert und sind damit auch noch nicht konfrontiert worden.
    ZDFheute: Ist Sexismus in deutschen Unternehmen auch im Jahr 2023 ein Problem?
    Döscher: Ich würde sagen, es ist ein unterschätztes Problem. Ich glaube, das hat es immer gegeben. Es wurde nur lange Zeit unterschätzt, welche Auswirkungen das Ganze haben kann - für die Betroffenen als auch die Unternehmen selbst.
    Das Interview führte ZDFheute-Redakteurin Madleen König.

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