China: "Mindestens 6.000 Hinrichtungen jedes Jahr"

    Interview

    Menschenrechtslage in China:"Mindestens 6.000 Hinrichtungen jedes Jahr"

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    Amnesty International hat einen hohen Anstieg an Todesstrafen dokumentiert. Auch in China ist die Zahl hoch. Seit Xi Staatschef sei, habe sich die Lage verschärft, so Anwalt Teng.

    Henkersknoten auf einem rustikalen Holztisch, aufgenommen am 13.06.2021
    Der chinesische Menschenrechtsaktivist Teng Biao sagt, dass China seit 2007 mehr als 6.000 Menschen hinrichtet – pro Jahr. Vorher sei die Zahl noch höher gewesen. Sehen Sie das Interview hier im Video und lesen Sie es unten in Auszügen.17.05.2023 | 13:36 min
    ZDFheute: Herr Teng, nach einem aktuellen Bericht von Amnesty International ist China erneut das Land, in dem die meisten Menschen hingerichtet werden. Das ist für Sie vermutlich nicht überraschend?
    Teng Biao: Nein, das ist keine Überraschung. China vollstreckt 80 Prozent seiner Todesurteile. Im Internet kursieren Zahlen, aber sie sind noch weit untertrieben.

    Nach meiner Recherche exekutiert China seit 2007 jedes Jahr mindestens 6.000 Menschen.

    Teng Biao, Menschenrechtsanwalt

    Vor 2007 waren die Zahlen sogar noch höher. Die Volksrepublik richtete mehr als 10.000 Menschen pro Jahr hin.

    Teng Biao, aufgenommen am 14.08.2013
    Quelle: picture alliance / AP Images | Gillian Wong

    ... ist chinesischer Menschenrechtsaktivist und Anwalt. Teng lehrte an der Chinesischen Universität für Politikwissenschaften und Recht in Peking. Nachdem er zusammen mit 20 anderen Anwälten erklärte, Tibeter vor Gericht verteidigen zu wollen, entzog die Regierung ihm 2008 die Lizenz zur Verteidigung in politischen Fällen. Zuvor war ihm bereits der Reisepass entzogen worden.

    Teng wurde mindestens zweimal verhaftet: 2008 und 2011. Der heute 50-Jährige floh danach über Hongkong in die USA. Seit 2014 lebt er im Exil in New Jersey, wo er über das "Scholars at Risk"-Programm eine Professur an der Harvard University erhielt.

    ZDFheute: Warum hält die chinesische Staatsführung an der Todesstrafe fest?
    Teng: Ein möglicher Grund ist, dass die meisten Menschen in China tatsächlich für die Todesstrafe sind. Aber die Kommunistische Partei Chinas will die Todesstrafe auch dazu nutzen, um vor Verbrechen abzuschrecken, um die Menschen einzuschüchtern, damit sie keinen Widerstand leisten und nicht gegen den Staat protestieren.
    In China werden nicht nur Gewaltverbrechen mit dem Tod bestraft, sondern auch andere, bei denen keine Gewalt im Spiel ist [beispielsweise Drogendelikte, Anm.d. Red.]. Im Moment droht bei 22 Gewaltverbrechen und 24 anderen Verbrechen eine Hinrichtung.





    ZDFheute: Sie haben auch Klienten vertreten, bei denen es sogar Beweise für ihre Unschuld gab. Warum haben die Gerichte in China diese ignoriert?
    Teng: In China werden die Polizei, die Strafverfolger, die Richter alle von der Kommunistischen Partei Chinas kontrolliert. Wenn es sich um einen wichtigen, einflussreichen Fall handelt, dann diktiert das Justizbüro der Partei das Gericht. Folter ist außerdem weit verbreitet in China. Folter ist institutionalisiert in China!

    Wenn dann irgendwo ein Verbrechen passiert und es Druck von der Regierung und den Bürgern gibt, dann verhaften Polizisten manchmal einfach wahllos irgendwelche Leute. Dann werden sie so lange brutal gefoltert, bis sie erzwungene Geständnisse machen.

    Es gibt keine unabhängige Justiz, es gibt keine unabhängigen Medien und es gibt keine Gewaltenkontrolle im politischen System. Es ist sehr, sehr schwierig, die Wahrheit zu erzählen.
    ZDFheute: Wie hat sich die Menschenrechtslage in China verändert, seit Staatschef Xi an der Macht ist?
    Teng: Die Kommunistische Partei Chinas hat immer schon versucht, Menschenrechtsaktivitäten im Keim zu ersticken. Wir wissen, dass die Regierung beim Tiananmen-Massaker Panzer und Maschinengewehre eingesetzt hat, um friedlich protestierende Menschen in Peking und anderen Städten zu töten.
    Amnesty International
    Die "Verdreifachung der Hinrichtungen im letzten Jahr durch Saudi-Arabien" müsse von der Außenministerin angesprochen werden, fordert Julia Duchrow von Amnesty International.16.05.2023 | 5:17 min
    Damals hatten Menschenrechtsaktivisten allerdings einen gewissen Spielraum, um eine Bewegung zu beginnen, um die Rechte und Freiheiten der Menschen zu verteidigen, so wie sie das Gesetz festgeschrieben hatte.

    Seit Xi Jinping an der Macht ist, hat sich die Menschenrechtslage radikal verschlechtert.

    Die Behörden nehmen Menschenrechtsanwälte und Dissidenten fest, viele NGOs mussten schließen und die Zensur im Internet, bei Medien, in Universitäten und Schulen wurde massiv intensiviert.
    Wir kennen die Menschenrechtslage in Hongkong und Tibet und natürlich in Xinjiang, wo mehr als eine Million Uiguren in Umerziehungslagern festgehalten werden. Das ist die schlimmste humanitäre Katastrophe unserer Zeit.

    Insofern ist die Situation heute verglichen mit der Ära Jiang Zemin und Hu Jintao deutlich totalitärer.

    Xi Jinping hat einen beinharten, Stalin-ähnlichen Stil an den Tag gelegt, um Einzelpersonen und die gesamte Gesellschaft zu kontrollieren. Diese totalitäre Hightech-Überwachung ist wirklich etwas noch nie Dagewesenes in China.
    ZDFheute: Glauben Sie, dass China die Todesstrafe noch zu Ihren Lebzeiten abschaffen wird?
    Teng: Sie wird nicht abgeschafft werden, solange die Kommunistische Partei an der Macht ist. Ich weiß nicht, wie lange sie das noch sein wird, aber ich glaube daran, dass das chinesische Volk irgendwann eine liberale Demokratie sein wird. Dann wird die Kommunistische Partei gestürzt und die Todesstrafe abgeschafft.
    Das Interview führte Elisabeth Schmidt. Sie ist ZDF-Ostasienkorrespondentin und arbeitet im Studio Peking.
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