Bahn-Streiks: Wie weit darf die GDL gehen?

    Bahn-Streiks:Wie weit darf die GDL gehen?

    von Moritz Flocke und Samuel Kirsch
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    Die Streiks der GDL sind beendet, doch neue scheinen nicht fern. Vielen Bahnreisenden gehen die Forderungen der Lokführer zu weit. Wann sind rechtliche Grenzen überschritten?

    Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin: Claus Weselsky (M), Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), und Dietmar Knecht (r), dbb-Landeschef Mecklenburg-Vorpommern
    Wie weit der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky (Mitte) und seine Gewerkschaft gehen dürfen, regelt das Streikrecht.
    Quelle: dpa

    Beim Tarifkonflikt zwischen der Bahn-Gewerkschaft GDL und dem Konzern Deutsche Bahn ist man sich nicht so ganz sicher, wer eigentlich David und wer Goliath ist.
    Auf dem Papier wirkt die GDL zwar klein, zählt nach eigenen Angaben etwa 40.000 Mitglieder, während die Konkurrenz-Gewerkschaft EVG mehr als vier Mal so viele Mitglieder hat. Dennoch gelingt es der GDL im Handumdrehen, die Republik lahmzulegen - für Forderungen, die nicht nur der Bahn zu weit gehen, sondern auch vielen Pendlern.
    Besonders im Fokus steht die Forderung nach weniger Arbeitszeit. Die GDL will neben höheren Gehältern eine 35-Stunden-Woche für Mitarbeitende im Schichtbetrieb durchsetzen. Die Bahn ist darauf bislang nicht eingegangen.
    Und so stellt sich die Frage: Wie weit darf die GDL gehen, um Druck aufzubauen - und wo ist eine rechtliche Grenze erreicht?
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    Im Ausgangspunkt ist das Streikrecht Folge des Rechts auf Bildung einer Gewerkschaft. Im Grundgesetz heißt das "Koalitionsfreiheit". Und wer eine Gewerkschaft gründen darf, muss auch streiken können.

    Forderung einer 35-Stunden-Woche ist zulässig

    Dabei darf eine Gewerkschaft erst einmal fordern, was sie möchte. Gerichte, die die Arbeitgeber gegebenenfalls anrufen, um einen Streik zu verhindern, kontrollieren nicht die Tarifziele der Gewerkschaften.
    Ob es um Arbeitszeiten, die Höhe des Gehalts oder sonstige Zusatzleistungen geht, ist damit unerheblich. Die Forderung, nur 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich arbeiten zu wollen, ist damit eindeutig zulässig.

    Streiks müssen verhältnismäßig sein

    Es gibt aber trotzdem Regeln, nach denen ein Arbeitskampf ablaufen muss. Streiks müssen verhältnismäßig sein. Die Rechtsprechung sagt: Weil jeder Streik den Betrieb des Arbeitgebers schädigt, muss Streik das letzte Mittel sein. Zuvor müssen alle Verständigungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Die GDL muss sich also auf Verhandlungsangebote einlassen und darauf reagieren.
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    Die Grenze des Streikrechts ist auch erreicht, wenn statt einem Warnstreik gleich ein unbefristeter Streik angesetzt wird, oder bei einem Überraschungs-Streik ohne jede Ankündigung.

    Viele Verspätungen keine unerträgliche Grundrechtseinschränkung

    Zudem dürfen die Grundrechte Dritter nicht unerträglich beschränkt sein. Wann das der Fall ist, ist schwierig zu bestimmen. Der bloße Umstand, dass es zu vielen ärgerlichen Verspätungen kommt, reicht nicht aus. Doch je länger ein Streik andauert, desto schwerer sind Grundrechte betroffen.
    Klar ist aber auch: Gerichte können Streiks nur in engen Grenzen kontrollieren. Das ist Konsequenz des hohen grundrechtlichen Schutzes der Koalitionsfreiheit, der den Gewerkschaften einen sehr weiten Spielraum gibt, wie sie den Arbeitskampf gestalten.

    Warum nicht eine Gewerkschaft für alle Bahnmitarbeitenden?

    Bei der GDL, die in Konkurrenz zur größeren EVG steht, stellt sich außerdem die Frage: Darf eine Minderheits-Gewerkschaft selbstständig streiken und verhandeln? Schließlich verursacht das potenziell häufiger Streiks und führt zu unterschiedlichen Tarif-Regelungen innerhalb der Betriebe des Bahn-Unternehmens.
    Die Antwort lautet: Ja, aber. Ja deswegen, weil die grundrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit auch kleinen Gewerkschaften das Recht gibt, sich zu organisieren, eigenständig zu verhandeln und zu streiken.
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    Tarifeinheitsgesetz beschränkt Macht kleiner Gewerkschaften

    Das Aber: Seit 2015 gilt das Tarifeinheitsgesetz, das den Einflussbereich kleiner Gewerkschaften beschränkt. Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass in Betrieben, deren Mitarbeitende bei unterschiedlichen Gewerkschaften Mitglied sind, nur der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Gewerkschaft gilt.
    Das bedeutet für die GDL, dass sie nur für diejenigen Betriebe des Bahn-Konzerns wirksame Regelungen aushandeln kann, in denen sie mehr Mitglieder hat als die EVG.
    Die Bahn erkennt derzeit 18 der rund 300 DB-Betriebe als GDL-Betriebe an. Diese Feststellung bewertet die GDL als willkürlich, auch das ist ein Konfliktpunkt zwischen DB und GDL im laufenden Tarifkonflikt. Das Streikrecht der GDL ist durch das Tarifeinheitsgesetz aber nicht eingeschränkt.
    Moritz Flocke und Samuel Kirsch sind Redakteure in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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