Hausarbeit: "Männer sehen Geschirr, Frauen Abwasch"

    Interview

    Wie Hausarbeit wahrgenommen wird:"Männer sehen Geschirr, Frauen Abwasch"

    |

    Meist übernehmen Frauen im Haushalt noch immer mehr Aufgaben als Männer. Eine philosophische Erklärung dafür bietet das Konzept der Affordanz.

    Eine Frau mit gelben Putzhandschuhen räumt dreckiges Geschirr ab, während ein Mann die Füße auf den Tisch gelegt hat und auf sein Handy schaut.
    Die Haus- und Sorgearbeit ist immer noch ungleich verteilt.06.03.2023 | 7:47 min
    ZDFheute: Frauen übernehmen meist mehr Aufgaben im Haushalt als Männer - woran liegt das?
    Paulina Sliwa: Wir haben versucht, dieses Phänomen mit der Theorie der Affordanz zu erklären. Ein Beispiel: In der Spüle stehen dreckige Teller. Männer sehen darin einfach das Geschirr, Frauen den Abwasch - also die damit verbundene Aufgabe.

    Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind entscheidend.

    Durch ihre Sichtweise ist es wahrscheinlicher, dass die Frau den Abwasch auch erledigen wird. Die Affordanz-Theorie kann erklären, warum diese Ungleichverteilung bei der Hausarbeit besteht.

    Philosophin Paulina Sliwa vor der Universität Wien.
    Quelle: Universität Wien, Joseph Krpelan

    ... ist Professorin für Philosophie an der Universität Wien. Zusammen mit dem amerikanischen Philosophen Tom McClelland versucht sie, die ungerechte Verteilung der Haus- und Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern mit der Theorie der Affordanz zu erklären.

    ZDFheute: Affordanz - was bedeutet das?
    Sliwa: Die Theorie der Affordanz kommt aus der Psychologie. Sie besagt, dass wir nicht nur einen Gegenstand, sondern auch die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten sehen. Wenn ich beispielsweise einen Apfel angucke, dann sehe ich ihn nicht nur als rot und als glatt, sondern ich sehe ihn als essbar. In unserer Forschungsarbeit nutzen wir diese Theorie der Affordanz, um die ungleiche Verteilung von Haus- und Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern zu erklären.
    ZDFheute: Es gibt aber auch Männer, die ordentlicher sind als Frauen. Kann man die Unterschiede denn so pauschalisieren?
    Sliwa: Das stimmt. Unsere Hypothese ist auch nicht, dass das in jedem Fall so ist. Uns geht es hier vielmehr darum, den statistischen Trend, dass Frauen mehr Hausarbeit leisten, zu erklären. Dafür muss die Aufteilung gar nicht bei jedem Paar ungleich sein.
    Eine Grafik zeigt, wieviele Stunden Männer und Frauen für unbezahlte Hausarbeit aufwenden

    ZDFheute:
    Wie haben Sie die Unterschiede untersucht?
    Sliwa: Die Unterschiede selbst sind empirisch belegt. Wir befassen uns mit den Daten. Diese haben wir uns angeschaut und überlegt, ob es aus der Philosophie Handwerkszeug gibt, das uns helfen kann, das zu erklären. Dabei sind wir auf die Theorie der Affordanz gestoßen.
    ZDFheute: Gibt es Unterschiede zwischen den Altersklassen?
    Sliwa: Obwohl man denkt, Frauen hätten immense Fortschritte gemacht - sie sind in der Arbeitswelt mehr eingegliedert, sie machen Karriere - ist es trotzdem noch so, dass auch in der Altersklasse von Paaren, die eigentlich ein egalitäres Verständnis von ihrer Partnerschaft haben, diese Differenzen in der Arbeitsverteilung bestehen bleiben.
    ZDFheute: Wie können Paare diese Ungleichheit überwinden?
    Sliwa: Genauso, wie man lernen kann, den Abwasch zu machen, kann man auch lernen, zu sehen, dass die Teller abzuwaschen sind. Also diese Wahrnehmung von Affordanzen ist eine Fähigkeit, die man sich genauso aneignen kann und auch muss wie alle anderen Fähigkeiten auch.

    Die Sache hat aber auch eine soziale Komponente: Wenn Männer etwa lernen sollen, sich um Kinder zu kümmern, dann muss es auch entsprechende Richtlinien geben, die das ermöglichen.

    Das heißt, sie müssen die Möglichkeit haben, Vaterschaftsurlaub zu nehmen oder in Elternzeit zu gehen, um eben diese Fähigkeiten erlernen zu können.
    ZDFheute: Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?
    Sliwa: Das fängt schon bei der Sozialisierung von Kindern an. Mädchen werden eher ermutigt, sich mit Babys zu beschäftigen oder mit Mini-Haushaltsgeräten zu spielen als Jungs. Das sensibilisiert natürlich die Wahrnehmung. Zudem müssen in den meisten Familien Mädchen häufiger im Haushalt helfen als Jungs. Das muss sich ändern.
    Grafik: Streitthemen bei Paaren nach Alter

    ZDFheute: Wie weit sind wir von einer gerechten Verteilung entfernt?
    Sliwa: Es gibt auf jeden Fall Fortschritte. Zumindest, was Partizipation von Frauen im Erwerbsleben angeht und auch, was die Beteiligung von Männern an Haus- und an Care-Arbeit angeht. Dennoch bleibt bis heute viel Ungleichheit und der Weg ist noch weit.
    Das Interview führte Charlotte Bauer.

    Gender Gaps am Arbeitsmarkt