Internationaler Frauentag: Die Geschichte zur Rolle der Frau

    Interview

    Zum Internationalen Frauentag:Emanzipation ist viele Tausend Jahre alt

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    Gleichberechtigung ist nichts Modernes. Schon in der Steinzeit waren Mann und Frau auf Augenhöhe. Das Patriarchat kam erst viel später nach Europa, schreibt die Autorin Karin Bojs.

    Steinzeitliche Höhlenmalereien in Form von Handabdrücken in der "Cueva de las manos" in Patagonien, Argentinien
    Autorin Bojs geht davon aus, dass Frauen bereits vor Zehntausenden Jahren eine wichtige Stellung hatten.
    Quelle: imago

    ZDFheute: In der Steinzeit kämpften kräftige Männer mutig gegen Säbelzahntiger, Frauen saßen in der Höhle. Was ist dran an dieser herkömmlichen Vorstellung?
    Karin Bojs: Sie beruht auf eingefahrenen Vorurteilen und auf alten Funden von sogenanntem persistentem, also schwer abbaubarem Material wie Steinwaffen und großen Wildknochen. Diese älteren Untersuchungsmethoden führen daher zu der Annahme, dass es sich um eine stark männlich ausgerichtete Welt handelte.
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    Wenn allerdings auch verderbliche Materialien wie Textilien und Getreide mituntersucht werden, zeigt sich ein deutlich ausgeglicheneres und korrektes Bild der Zeit. Es gibt Hinweise auf Textilien bereits aus der Eiszeit vor 30.000 Jahren, die zum Beispiel nahelegen, dass die "Venus von Willendorf" einen geflochtenen Hut trug. Frauen waren auch mit Netzen an der Jagd von Kleinwild beteiligt.

    Die 'Venus von Willendorf' wurde lange Zeit als reines Sexsymbol interpretiert.

    Karin Bojs, Autorin

    Später vermuteten andere Wissenschaftler, dass sie eine allmächtige weibliche Göttin war - also eine weitere Interpretation für die starke Stellung der Frau in der Steinzeit.

    Archiv: Die Venus von Willendorf aufgenommen am  22. 09. 2015, im neuen Venuskabinett des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien.
    Quelle: picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

    Bei der Erforschung prähistorischer Zeit hat es in den vergangenen Jahren große Fortschritte gegeben. Da man heute Funde durch Künstliche Intelligenz oder moderne DNA-Analyse genauer interpretieren kann, weiß die Archäologie inzwischen viel mehr über das Leben unserer Vorfahren als früher.

    Daher ist heute auch mehr über die Rolle von Frauen bekannt. Sie versorgten nicht nur den Nachwuchs und sammelten Beeren, wie lange Zeit dargestellt. Frauen waren auch sehr aktiv an der Jagd beteiligt. Heute gibt es viele Hinweise darauf, dass der Mensch den Großteil seiner Geschichte in weitgehend gleichberechtigten Gesellschaften gelebt hat.

    Ungleichheit und Patriarchat entstanden vor allem mit dem Beginn der Sesshaftigkeit, die in vielerlei Hinsicht einen großen Einschnitt in der Menschheitsgeschichte darstellt.

    Die Venus von Willendorf ist eine rund 11 cm große Frauenplastik aus Kalkstein, die etwa 29.500 Jahre alt ist. Sie wurde 1908 in der Nähe von Willendorf in Österreich zufällig entdeckt. Seitdem ist die Venus von Willendorf ein Star. Zu sehen ist sie im Naturhistorischen Museum Wien.

    ZDFheute: Woher wissen wir das heute so genau?
    Bojs: Es gab zuletzt wissenschaftliche Quantensprünge. Heute haben wir zum Beispiel viel bessere Mikroskope, die Spuren von Getreide und Textilien finden können. Es gibt Zahnsteinstudien, die zeigen, was die Menschen wirklich gegessen haben - und nicht zuletzt die moderne DNA-Technologie, die die Grundlage für mein aktuelles Buch bildet.

    Karin Bojs
    Quelle: Thron Ullberg

    ...hat viele Jahre die Wissenschaftsredaktion der Tageszeitung "Dagens Nyheter" geleitet und schreibt weiterhin Kolumnen für diese Zeitung. Für ihre Arbeit und ihre Bücher wurde sie mit einer Reihe bedeutender Preise ausgezeichnet, darunter dem August-Preis, dem renommiertesten schwedischen Literaturpreis.

    Sie trägt die Ehrendoktorwürde der Universität Stockholm. Im Februar erschien auf Deutsch ihr neustes Buch: "Mütter Europas. Die letzten 43.000 Jahre".

    ZDFheute: Die meisten weiblichen Säugetiere bekommen Nachwuchs bis zum Tod. Warum das bei Frauen aber anders ist, war lange Zeit ein Rätsel.
    Bojs: Seit einigen Jahren gibt es die sogenannte "Großmutter-Hypothese", die besagt, dass Großmütter für das Überleben der Enkelkinder wichtig sind. Daher macht es aus Sicht der Evolution durchaus Sinn, dass Frauen nach der Menopause weiterleben.
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    Kürzlich wurde die "Großmutter-Hypothese" durch wissenschaftliche Beweise gestützt: Es handelt sich dabei um Bevölkerungsaufzeichnungen aus Kanada und Finnland aus der Zeit zwischen 1600 und 1800, als noch viele Kinder früh starben.

    Diese Aufzeichnungen zeigen deutlich, dass Kinder mit einer Großmutter in weiblicher Linie deutlich bessere Überlebenschancen hatten.

    Karin Bojs, Autorin

    ZDFheute: Das Patriarchat begann mit der Einwanderung von "Steppencowboys": Das müssen Sie uns erklären!
    Bojs: "Steppencowboys" ist ein sehr guter Begriff für die Indoeuropäer. Sie kamen vor etwa 4.800 Jahren in unseren Teil Europas. Deshalb spricht man bei ihnen Deutsch und bei uns Schwedisch, denn es gibt gemeinsame sprachliche Wurzeln von Europa bis Indien.

    Die Indoeuropäer, die uns unsere Sprachen gaben, waren Hirten aus den Steppen der heutigen Ukraine und Russlands.

    Karin Bojs, Autorin

    Sie waren sehr patriarchalisch geprägt, mit einem Clansystem, Bruderschaften und starken Vater-Sohn-Strukturen. Aber es gab zuletzt auch Beweise für patriarchale Systeme bei Steinzeitbauern im heutigen Frankreich und Großbritannien - noch bevor die "Steppencowboys" kamen.
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    ZDFheute: Viele finden es heute schick, die eigene DNA untersuchen zu lassen. Insbesondere angebliche Wikinger-Wurzeln werden romantisch gedeutet. Was für Menschen waren die Wikinger tatsächlich?
    Bojs: Von dieser Romantik profitieren DNA-Unternehmen, aber auch Fernsehsender und sogar manche Wissenschaftler, die gerne in der Öffentlichkeit stehen. Unter einigen eher Rechtsgerichteten gibt es Bewunderung für die Männlichkeit und Brutalität der Wikinger - ähnlich wie bei den Nazis. Andere wiederum versuchen, starke Frauen in der Wikingergesellschaft hervorzuheben.

    Es mag zwar einige solcher starken Frauen gegeben haben, aber auch hier gibt es ideologische Tendenzen - selbst von feministischer Seite.

    Karin Bojs, Autorin

    Viele Frauen in der Wikingergesellschaft litten als Sklavinnen und Opfer von Menschenhandel unter der Brutalität. Meiner Meinung nach sollten wir uns an das halten, was die Wissenschaft sagen kann und vorsichtig mit Werturteilen umgehen - unabhängig davon, aus welcher politischen Richtung sie kommen.
    Das Interview führte Eva Schmidt.

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