Mangelernährte Patienten: Wenn Krankenhaus-Essen krank macht

    Mangelernährte Patienten:Wenn das Krankenhaus-Essen krank macht

    von H-C Schultze, Gregor Witt, Katja Belousova
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    Etwa jeder vierte Klinikpatient ist hierzulande mangelernährt. Um dem zu begegnen, bräuchte es geschultes Personal. Doch das ist rar - mit teils drastischen Folgen für Patienten.

    Krankenschwester im Anschnitt, die Tablett mit Essen aus Wagen holt
    Noch immer werden die Risiken falscher Ernährung in vielen Kliniken unterschätzt. Dabei ist seit Langem bekannt, dass Mangelernährung durch Krankenhausessen ernsthafte Folgen haben kann.18.04.2023 | 8:43 min
    Labbriger Käse, trockenes Graubrot, Tütensuppen, pappiges Kartoffelpüree mit Billigfleisch - das Essen in deutschen Krankenhäusern genießt keinen besonders guten Ruf. Doch während Krankenhausessen für Patienten mit normalem Betreuungsbedarf vor allem ein geschmackliches Problem ist, kann es für Menschen mit schweren Erkrankungen zur Gefahr werden. Das zeigt das Beispiel von Julia Held.
    Vor fünf Jahren mussten der 33-Jährigen wegen einer chronischen Entzündung große Teile des Darms entfernt werden. Es folgte eine jahrelange Leidenszeit - und die hatte auch mit der Kost zu tun, die ihr über die Jahre in verschiedenen Kliniken angeboten wurde. "Es gab Phasen, da habe ich Mahlzeiten vorgesetzt bekommen, die ich nicht essen konnte wegen meiner Darmerkrankungen", erzählt sie ZDF frontal.

    Abweisung durch Ärzte

    Eigentlich brauchte sie durchgehend eine speziell auf sie zugeschnittene künstliche Ernährung. Nur damit hätte ihr Körper genug Mineralstoffe aufgenommen. Weil sie die aber nicht immer bekam, nahm sie stark ab. Ihr Gewicht sank von 55 auf 37 Kilogramm.
    Immer wieder sei sie in den Kliniken nicht ernst genommen worden, wenn sie auf künstliche Ernährung bestanden hätte, erinnert sich Held.

    Es ging einmal so weit, dass eine Ärztin mir tatsächlich einen Apfel hingestellt und gesagt hat: "Ja, dann essen Sie doch den, dann brauchen sie auch keine Infusion".

    Julia Held

    Mangelernährung gefährlich für Krebspatienten

    Julia Helds Fall ist nur einer von vielen: Schätzungen zufolge sind bis zu einem Viertel der Klinikpatienten von Mangelernährung betroffen. Kommt dann noch falsche Ernährung hinzu, drohen verlangsamte Heilprozesse und allgemeine Entkräftung - zum Teil mit tödlichen Folgen.
    So sind etwa Mangelernährung und der damit verbundene Abbau von Fett- und Muskelmasse laut Deutscher Krebsgesellschaft die zweithäufigste Todesursache bei Krebspatienten. Etwa jeder vierte Tod von Krebserkrankten ist darauf zurückführen.
    Daher fordern Fachleute flächendeckende Ernährungsscreenings in deutschen Kliniken - und den Einsatz dafür spezialisierter Ernährungsteams.
    Notaufnahme Eingangsschild, 12.08.2022
    Jedes zweite Krankenhaus in Deutschland ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht überlebensfähig. 14.02.2023 | 8:55 min

    Nur wenige Krankenhäuser verfügen über Ernährungsteams

    Es war das geschulte Personal der Uniklinik Tübingen, das bei Julia Held schließlich schwerste Schäden abwenden konnte. Unter Leitung von Michael Adolph arbeitet dort ein Team von Ernährungsfachkräften auf allen Stationen, wo Risikopatienten sein könnten. In Abstimmung mit Ärztinnen und Ärzten versuchen sie, Mangelernährung zu identifizieren und ihr beizukommen - auch wenn die Krankenkassen dafür nichts zahlen.

    Unsere Tätigkeit wird tatsächlich aus dem Gesamt-Erlös des Klinikums, aus dem gesamten Pool der Fallpauschalen derzeit quasi mitfinanziert. Das ist im Moment gut, wir sind sehr glücklich darüber, aber das kann nicht die Zukunft sein.

    Dr. Michael Adolph, Uniklinik Tübingen

    Das Problem ist nur: In Deutschland gibt es immer noch zu wenige Ernährungsteams in den Kliniken. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss hat das erkannt. Das Gremium, das entscheidet, welche Leistungen gesetzlich Versicherten bezahlt werden, hielt im Juli 2022 fest:
    "In Deutschland werden die Therapie und Diagnostik der Mangelernährung nicht speziell vergütet und daher verfügen derzeit nur wenige Krankenhäuser über auf Ernährung spezialisiertes Fachpersonal oder ein Ernährungsteam."

    Gesundheitsministerium sieht keinen Handlungsbedarf

    Als Reaktion darauf, beschloss der Ausschuss Maßnahmen gegen Mangelernährung lediglich zu erproben. Auf eine verbindliche Finanzierung konnte sich das Gremium nicht festlegen. Auch das Bundesgesundheitsministerium sieht bislang keinen konkreten Handlungsbedarf. Auf Anfrage von ZDF frontal zu einer möglichen Finanzierung teilt es schriftlich mit:
    "Die Bundesregierung plant nicht, verpflichtende Ernährungsteams in Kliniken vorzuschreiben. Die Kliniken sind im Rahmen ihrer Organisationshoheit selbst für die Verpflegung im Krankenhaus verantwortlich."
    Damit sind Betroffene weiterhin darauf angewiesen, mit Glück an eine Klinik zu geraten, die für Mangelernährung sensibilisiert und spezialisiert ist - und damit Leben retten kann. Wie im Fall von Julia Held. Sie kann seit Kurzem fast wieder normal essen - und wenn alles nach Plan läuft, bald wieder ins Arbeitsleben einsteigen.

    frontal
    Quelle: ZDF

    Mehr zu dem Thema sehen Sie bei frontal am Dienstag, 18. April 2023, um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

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