Sterbehilfe-Prozess: Drei Jahre Haft für Berliner Arzt

    Wegen Totschlags verurteilt:Sterbehilfe-Prozess: Drei Jahre Haft für Arzt

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    Weil er einer depressiven Frau beim Suizid geholfen hat, ist ein Arzt in Berlin zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sprach den Mann wegen Totschlags schuldig.

    Der Arzt Christoph Turowski (l.) und sein Anwalt Thomas Baumeyer beim Prozessauftakt im Feburar 2024.
    Der Arzt Christoph Turowski (l.) und sein Anwalt Thomas Baumeyer beim Prozessauftakt im Feburar 2024.
    Quelle: dpa

    In einem umstrittenen Sterbehilfe-Fall hat das Berliner Landgericht den Arzt Christoph Turowski zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Es sprach den 74-Jährigen am Montag wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft schuldig.
    Der Mediziner habe "die Grenzen des Zulässigen überschritten", sagte der Vorsitzende Richter. Nach Überzeugung des Gerichts war die 37-jährige Frau wegen ihrer Depression zu einer "vollständig rationalen Entscheidung" krankheitsbedingt nicht in der Lage. Ihr Entschluss sei nicht von der erforderlichen "innerlichen Festigkeit und Dauerhaftigkeit" getragen gewesen.
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    Suizid wenige Wochen nach Kontaktaufnahme

    Die Studentin der Tiermedizin hat dem Urteil zufolge Anfang Juni 2021 Kontakt zu dem Arzt aufgenommen. Knapp zwei Wochen später stellte der Mediziner ihr die tödlich wirkenden Tabletten zur Verfügung, die sie jedoch erbrach.
    Am 12. Juli 2021 legte der Arzt dann der 37-Jährigen in einem Hotelzimmer eine Infusion mit einem tödlich wirkenden Medikament. Diese hat die Frau laut Urteil selbst in Gang gebracht - und starb wenig später.
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    Urteil nicht rechtskräftig

    Der Arzt, der einer Sterbehilfeorganisation angehört, zeigte sich enttäuscht und kündigte Rechtsmittel an. Aus seiner Sicht habe er in dem Fall richtig gehandelt. Er habe bei der Frau "die große seelische Not und die Entschlossenheit" gesehen, notfalls einen Gewaltsuizid zu begehen. Sein Verteidiger hatte im Plädoyer kritisiert, dass eine gesetzliche Regelung bislang fehlt.

    In Deutschland hat jeder Mensch das Recht, frei über seinen Tod zu entscheiden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit seinem Urteil 2020 klargestellt. Aktive Sterbehilfe ist verboten. Um Regelungen zu einer assistierten Sterbehilfe wird seit Jahren gerungen.

    Aus Sicht des Gerichts hätte der Berliner Mediziner den Fall kritischer prüfen müssen. Ein psychiatrisches Gutachten habe die Frau aus finanziellen Gründen, und weil dies aus ihrer Sicht zu lange gedauert hätte, abgelehnt, hatte der Arzt im Prozess geschildert.
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    Gericht betont Unsicherheit der Patientin

    Bei dem ersten Versuch am 24. Juni 2021 ist aus Sicht des Gerichts nicht auszuschließen, dass die Frau frei verantwortlich gehandelt hat. Deshalb wurde der Arzt von dem Vorwurf eines ebenfalls angeklagten versuchten Totschlags freigesprochen. Im zweiten Fall sei das anders, so das Gericht.
    Nach dem gescheiterten Versuch schwankte die Frau zwischen dem Willen, sterben zu wollen und im Weiterleben einen tieferen Sinn zu erkennen. Dies geht aus der Kommunikation zwischen dem angeklagten Mediziner und der 37-Jährigen hervor, die das Gericht teilweise verlas.
    Noch am Morgen des Todes habe sie ihren Suizidwunsch zunächst erneuert - und nur 28 Minuten später gab es laut Gericht "einen Meinungsumschwung". "Das zeigt deutlich, wie labil sie emotional war."
    Menschen halten Schilder hoch, auf denen z.B. "Mein Tod, meine Wahl" drauf steht.
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    Richter erkennt altruistische Motivation an

    Das Gericht hielt dem Arzt zugute, dass er aus altruistischer Motivation gehandelt und das Geschehen umfassend gestanden habe. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten gefordert, die Verteidigung Freispruch.
    Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert und die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen wieder zugelassen. Zugleich diskutiert die Politik derzeit, wie verhindert werden kann, dass sich Menschen auf äußeren Druck hin oder durch Depressionen das Leben nehmen.

    In einer akuten Krise können Sie sich jederzeit kostenlos an die Telefonseelsorge unter der Nummer 0800-111 0 111 oder den Notruf 112 wenden. Krisendienste und Beratungsstellen in Ihrer Nähe finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Depressionshilfe. Hilfe bei der Suche nach einem Therapieplatz bieten die Kassenärztliche Vereinigung Ihres Bundeslandes und die Patientenservice-Nummer 116 117.

    Quelle: dpa, KNA

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